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Mazurken

Frédéric Chopin komponierte insgesamt 59 Mazurken, von denen 58 erhalten sind. Diese Werke entstanden zwischen 1825 und 1849 und wurden teils zu Lebzeiten veröffentlicht, teils posthum. Die Mazurken sind ein zentraler Bestandteil seines Schaffens und spiegeln seine tiefe Verbundenheit mit der polnischen Volksmusik wider.

 

Was ist eine Mazurka?

 

Die Mazurka (polnisch: Mazurek) ist ein polnischer Volkstanz im mäßigen bis schnellen 3/4-Takt, der sich durch eine charakteristische rhythmische Akzentuierung auszeichnet. Ursprünglich stammt sie aus der Region Masowien (polnisch: Mazowsze), also dem Land der Masuren, und wurde dort bereits im 16. Jahrhundert getanzt.

 

Sie ist einer der wichtigsten musikalischen Ausdrucksträger der polnischen Volkskultur – neben dem Kujawiak und dem Oberek – und unterscheidet sich von westlich geprägten Tänzen durch ihre starke Synkopierung, Betonung der zweiten oder dritten Zählzeit und eine häufig rubatohafte, gesanglich freie Melodik. Die Mazurka lebt vom Rubato – kleine, ausdrucksvolle Tempofreiheiten in Phrasen und Übergängen.

 

Die Tänze wurden meist nicht kreisend wie der Walzer, sondern sprunghaft oder stampfend ausgeführt – mit absichtlich stockender oder verschobener Betonung.

 

Frédéric Chopin machte die Mazurka zur hochrangigen Gattung der Klaviermusik. Was bei ihm ursprünglich ein Volkstanz war, verwandelte sich in ein poetisches, klanglich raffiniertes Charakterstück, das Volksidiom, Nationalgefühl und persönliche Empfindung miteinander verband.

 

Chopins Mazurken sind keine Tänze im eigentlichen Sinne mehr, sondern oft nach innen gerichtete Klangbilder, in denen sich Heimat, Erinnerung, Melancholie und Freiheit ausdrücken – besonders in den späten Werken.

Wer Chopins Mazurken in ihrer authentischsten, idiomatischsten Form erleben möchte, sollte zur Gesamtaufnahme von Adam Harasiewicz (geb. 1932) greifen. Der polnische Pianist – Gewinner des Internationalen Chopin-Wettbewerbs 1955 – verbindet virtuose Meisterschaft mit einem tiefen, von innen heraus empfundenen Verständnis für die polnische Tanztradition.

 

Harasiewicz’ Spiel zeichnet sich durch einen natürlichen, ungekünstelten Mazurka-Puls, feines Rubato und eine sangliche Phrasierung aus, die jede dieser Miniaturen wie eine kleine Erzählung wirken lässt. Er meidet jede Übertreibung, findet aber in den melancholischen Stücken eine berührende Tiefe und verleiht den heiteren Mazurken tänzerische Leichtigkeit.

 

Die 57 Mazurken sind in dieser Einspielung vollständig enthalten und in exzellenter Klangqualität. Damit ist diese Aufnahme sowohl für Kenner als auch für Hörer, die Chopins Mazurken neu entdecken möchten, eine Referenz – und ein Beispiel dafür, wie sehr diese Musik in der polnischen Seele verwurzelt ist.

Mazurken op. 6

 

Komponiert 1830, veröffentlicht 1832 in Paris; dem Fürsten Franz von Thun-Hohenstein (1786–1873) gewidmet.

 

Nr. 1 in f-Moll

 

Eine ernste, fast düstere Mazurka, deren schwermütige Hauptmelodie im Bassregister beginnt und von einer schlichten, beinahe improvisierten Begleitung getragen wird. Die Mittelpartie bringt eine plötzliche Aufhellung in As-Dur, bevor das Anfangsthema zurückkehrt. Harmonische Ausweichungen und chromatische Linien geben der Musik einen Anflug von Melancholie, wie eine ferne Erinnerung.

 

Artur Rubinstein (1887 - 1982), Aufnahme 1965:

 

 

Nr. 2 in cis-Moll

 

Ein Stück voller tänzerischer Eleganz und feiner rhythmischer Schattierungen. Die punktierten Rhythmen und Akzente auf ungewohnten Zählzeiten betonen den mazurkischen Charakter, während die Harmonik zwischen sanfter Sehnsucht und leiser Dramatik pendelt. Die Mittelpartie in As-Dur wirkt wie ein poetischer Gegenentwurf zum ernsten Hauptthema.

 

Dr. Kamil Tokarski (* 1977), ist ein polnischer Pianist, derzeit in Taiwan ansässig:

 

Nr. 3 in Es-Dur

 

Heiter, volkstümlich und mit einem unverkennbaren Anklang an den Kujawiak, einen verwandten polnischen Tanz. Die rechte Hand singt in langen, kantablen Bögen, während die linke die tänzerische Grundbewegung festhält. Die harmonischen Ausweichungen sind hier subtil, die Stimmung insgesamt licht und gesellig.

 

Jan Ekier (1913 - 2014) war ein lebender Eckpfeiler der Chopin-Forschung, Aufnahme 1987:

 

 

 

Nr. 4 in Es-Moll

 

Die kürzeste und vielleicht volksliedhafteste Mazurka des Opus: ein melancholischer, gesanglicher Dialog, bei dem die Melodie wie ein schlichtes Volkslied beginnt, sich aber harmonisch verdichtet. Chopin verdichtet hier auf kleinstem Raum den Wechsel von Melancholie und Hoffnung.

 

Dr. Kamil Tokarski (* 1977) - schlank, geradlinig, guter Puls:

Mazurken op. 7

(komponiert zwischen 1830 und 1832, veröffentlicht 1832 in Paris)

 

Dem Fürsten Antoni Radziwiłł (1775 – 1833) gewidmet.

 

Nr. 1 in B-Dur

 

Lebhaft, charmant, fast wie ein spontaner Dorftanz. Das markante rhythmische Muster mit Betonung auf der zweiten Zählzeit und die Wechsel zwischen Dur und Moll schaffen eine fröhlich-wechselhafte Atmosphäre. Die Mittelpartie in g-Moll bringt eine leicht schwermütige Note, bevor das Hauptthema zurückkehrt.

Jan Ekier (1913–2014)

 

Jan Ekier war ein polnischer Pianist, Komponist und Musikpädagoge. Als langjähriger Leiter der Nationalen Chopin-Ausgabe (Wydanie Narodowe), war er nicht nur ein bedeutender Chopin-Forscher, sondern auch ein Pianist von außergewöhnlicher Differenziertheit. In seinen späten Aufnahmen, etwa für Polskie Nagrania, zeigt er eine unvergleichlich subtile, textnahe Lesart. Seine Interpretationen der Mazurken sind geprägt von einem tiefen Gespür für polnische Idiome, feinste rhythmische Nuancen und eine oft bewusst zurückgenommene Virtuosität.

 

Ekiers Ansatz ist analytisch geschärft, ohne jemals trocken zu wirken: Er legt die harmonischen Feinheiten und verborgenen Binnenstimmen frei, die bei anderen Pianisten leicht unter der Oberfläche bleiben. So verbinden sich in seinem Spiel der volksliedhafte Ursprung und die kompositorische Raffinesse auf einzigartige Weise.

 

Gerade in seinen Mazurka-Deutungen erlebt man die Musik nicht als bloße Miniaturen, sondern als authentische Zeugnisse einer lebendigen polnischen Tradition, durchdrungen von persönlicher Wärme und intellektueller Klarheit. Damit steht Ekier als Interpret wie als Herausgeber für eine Verbindung von wissenschaftlicher Strenge und poetischer Musikalität, die Chopins Werk in seiner ganzen Tiefe erfahrbar macht.

 

Jan Ekier, Aufnahme 1987:

Nr. 2 in a-Moll

 

Melancholisch, mit einer einfachen, fast volksliedhaften Melodie, die in der linken Hand einen stetigen, tänzerischen Puls behält. Die Harmonik wechselt unvorhersehbar und gibt dem Stück eine feine, bittersüße Färbung. Das Rubato ist hier besonders wichtig – zu viel nimmt den Tanz, zu wenig die Ausdruckstiefe.

Jan Ekier, Aufnahme 1987:

 

Nr. 3 in f-Moll

 

Ein kurzes, pointiertes Stück mit einem markanten Auftaktmotiv, das an improvisierte Dorftänze erinnert. Trotz seiner Kürze enthält es reizvolle harmonische Wendungen, die den tänzerischen Fluss immer wieder subtil unterbrechen.

 

Jan Ekier war bis 2000 Lehrer an der Fryderyk-Chopin-Musikakademie (heute Fryderyk-Chopin-Universität für Musik) in Warschau, Aufnahme 1987:

 

Nr. 4 in As-Dur

 

Elegant und verfeinert, fast wie eine Mazurka im Ballsaal. Die Melodie ist gesanglich, mit kleinen Verzierungen, und die Begleitung behält einen sanften, wiegenden Puls. Die Mittelpartie in Des-Dur wirkt wie ein zarter Blick in eine andere Welt.

 

Jan Ekier - Ehrendoktor der Fryderyk-Chopin-Universität für Musik, Aufnahme 1987:

Nr. 5 in C-Dur

 

Die kürzeste Mazurka in op. 7 – hell, volksliednah und mit einem heiteren Schluss, der wie eine musikalische Verabschiedung klingt. Chopin lässt hier das einfache, unprätentiöse Tanzvergnügen über raffinierte Harmonik siegen.

 

Jan Ekier war Träger des Goldenen Verdienstkreuzes (1952), Aufnahme 1987:

 

Mazurken op. 17

(komponiert zwischen 1832 und 1833, veröffentlicht 1834 in Leipzig)

 

Gewidmet Lina Freppa, einer Schülerin und Verehrerin Chopins.

 

Nr. 1 in B-Dur

 

Ein ruhiges, fast pastorales Stück mit einer gesanglichen Melodie, die sich aus schlichten Motiven entwickelt. Chopin spielt hier mit unerwarteten harmonischen Schwenks, die wie Erinnerungsblitze wirken. Der Mittelteil in g-Moll bringt eine leise Verdüsterung, bevor das Hauptthema in zarter Form wiederkehrt.

 

Yundi Li - der chinesische Pianist (* 1982) gewann 2000 den ersten Preis beim Internationalen Chopin-Wettbewerb:

Nr. 2 in e-Moll

 

Melancholisch und klagend, mit einer tief empfundenen Hauptmelodie, die von einer schlichten Begleitung gestützt wird. Das kurze Aufblühen in Dur in der Mittelpartie wirkt wie ein verhaltener Hoffnungsschimmer, der rasch wieder verblasst. Besonders wirkungsvoll ist hier ein zurückhaltendes, atmendes Rubato.

 

Jan Ekier (1913 - 2014):

Nr. 3 in As-Dur

 

Heller, tänzerischer Charakter, mit leicht federndem Puls und charmanten Ornamenten. Die Mazurka wirkt hier wie ein Gesellschaftstanz in verfeinerter Form, bleibt aber im Kern dem ländlichen Ursprung treu. Die Modulationen in der Mittelpartie verleihen dem Stück eine besondere Farbigkeit.

 

Jan Ekier:

Nr. 4 in a-Moll

 

Eine der eindringlichsten frühen Mazurken Chopins: introvertiert, harmonisch reich und von einer tiefen, fast schmerzlichen Melancholie durchzogen. Die melodischen Linien scheinen im Dialog zu stehen, als würde Chopin ein inneres Gespräch führen. Das leise Verklingen am Schluss lässt den Hörer in nachdenklicher Stille zurück.

 

Jan Ekier:

Mazurken op. 24

(komponiert 1834–1835, veröffentlicht 1836 in Paris bei Schlesinger)

 

Die korrekte Widmung ist an Graf Léon-Amable de Perthuis (1787–1870), einen französischen Aristokraten und Mäzen.

 

Nr. 1 in g-Moll

 

Dramatisch und spannungsvoll, mit markantem Auftakt und energischem Puls. Die Hauptmelodie wirkt wie ein Aufruf zum Tanz, doch harmonische Ausweichungen und kleine Pausen schaffen eine ständige Unruhe. Die Mittelpartie in Es-Dur bringt eine vorübergehende Aufhellung, bevor das Anfangsmotiv umso entschlossener zurückkehrt.

 

Jan Ekier (1913 - 2014):

 

 

 

Nr. 2 in C-Dur

 

Heiter, volksliednah und von beinahe improvisatorischem Charakter. Die Melodie ist schlicht und eingängig, aber Chopin schmückt sie mit feinen Verzierungen. Der Mittelteil in A-Dur wirkt wie eine warme Erinnerung an ein Sommerfest.

 

Martha Argerich (* 1941) ist eine argentinisch-schweizerische Pianistin:

 

https://www.youtube.com/watch?v=44X4LG5BqhY

 

Nr. 3 in As-Dur

 

Eine der elegantesten Mazurken des Zyklus – tänzerisch, dabei mit einer feinen, leicht schwermütigen Unterströmung. Die Ornamentik ist subtil, und die Harmonien gleiten mühelos zwischen Dur und Moll. Besonders im Mittelteil blitzt Chopins harmonische Raffinesse auf.

 

Jan Ekier:

 

Nr. 4 in b-Moll

 

Tief empfundene, melancholische Mazurka, deren dunkle Grundstimmung durch unerwartete harmonische Wendungen aufgelockert wird. Die Musik scheint zwischen Trauer und zarter Hoffnung zu schwanken. Der leise, fast resignative Schluss wirkt wie ein poetischer Ausklang.

 

Garrick Ohlsson (* 1948) ist ein US-amerikanischer Pianist:

 

 

Mazurken op. 30

(komponiert 1836–1837, veröffentlicht 1838 in Paris)

Gewidmet Prinzessin Zénaïde Ivanovna Chernyshova (1809–1880), einer russischen Aristokratin und Mäzenin.

 

Nr. 1 in c-Moll

 

Von Beginn an dunkel gefärbt, mit einer markanten, fast rezitativischen Melodie in der rechten Hand. Die linke Hand gibt einen stetigen, aber leicht unruhigen Puls. In der Mittelpartie hellt sich die Stimmung in As-Dur auf, nur um wieder in die ursprüngliche Mollfärbung zurückzusinken. Eine Mazurka von ernstem, fast nachdenklichem Charakter.

 

Jan Ekier:

 

 

Nr. 2 in h-Moll

 

Ein Wechselspiel aus Zartheit und volkstümlichem Schwung. Das Hauptthema ist gesanglich, doch der Rhythmus bleibt lebendig. Die Harmonik moduliert oft in überraschende Tonarten, was der Mazurka eine gewisse Unruhe und Leuchtkraft verleiht.

 

Jan Ekier:

 

Nr. 3 in Des-Dur

 

Warm, lyrisch und von fast balladenhaftem Erzählton. Die rechte Hand entfaltet lange Melodiebögen, während die linke Hand mit sanften Synkopen den Tanzrhythmus andeutet. Der Mittelteil in H-Dur bringt eine zarte Aufhellung. Eine der melodiösesten Mazurken Chopins.

 

Arturo Benedetti Michelangeli (1920 -1995) war ein italienischer Pianist:

Michelangelis Mazurka klingt streng geformt, von kristalliner Klarheit und geradezu asketischer Strenge. Er verzichtet weitgehend auf folkloristische Schattierungen oder spontane Rubati, die sonst für diese Stücke typisch sind. Stattdessen legt er den Schwerpunkt auf die architektonische Struktur, die klangliche Transparenz und die subtile Differenzierung der Stimmen. Jede Note wirkt kontrolliert, jede Phrase durchdacht – fast wie ein in Marmor gemeißeltes Relief.

Michelangeli spielt die Mazurka nicht als salonhaft-poetische Miniaturen, sondern als präzise gestaltete Charakterstücke, die ihren tänzerischen Ursprung nur noch angedeutet in sich tragen.

 

Nr. 4 in cis-Moll

 

Dramatisch, mit einer scharf akzentuierten, fast martialischen Hauptfigur. Die Mittelpartie wechselt in A-Dur zu einem gesanglicheren Charakter, bevor das Hauptmotiv in noch entschlossenerer Form wiederkehrt. Der Schluss klingt energisch aus.

 

Jan Ekier:

und

 

Artur Rubinstein (1882 - 1982):

Rubinstein vereint Eleganz, Wärme und eine scheinbar mühelose Natürlichkeit. Seine Mazurka klingt nie wie museale Folklore, sondern wie lebendige, atmende Musik. Er verstand den Tanzcharakter instinktiv, ohne ins Sentimentale oder Übertrieben-Exotische zu verfallen. Sein rhythmisches Rubato ist organisch – es folgt der Melodie, nicht dem Effekt – und seine Phrasierung verleiht der Mazurka einen sprechenden, erzählerischen Fluss. Rubinstein vermittelt so die intime, fast improvisatorische Seite dieser Stücke, ohne jemals die Form zu verlieren.

Mazurken op. 33

(komponiert 1837–1838, veröffentlicht 1838 in Paris)

Gewidmet Émile Gaillard (1806–1882), einem französischen Bankier und Kunstsammler.

 

Nr. 1 in gis-Moll

 

Lebendig und voller rhythmischer Energie. Das Hauptthema beginnt mit markanten Akzenten und einer leicht rauen Volkstönigkeit, die an improvisierte Dorftänze erinnert. Die Mittelpartie in H-Dur bringt einen lyrischeren Kontrast, bevor das ursprüngliche Thema schwungvoll zurückkehrt.

 

Artur Rubinstein:

 

 

 

 

Rubinsteins Mazurken wirken natürlich und elegant. Er legt besonderen Wert auf den „sprechenden“ Rhythmus, die feinen Rubati und die gesangliche Linie. Dabei bleibt sein Ton stets warm, rund und aristokratisch, wodurch selbst die tänzerischen Stücke eine gewisse Noblesse ausstrahlen. Rubinstein verbindet somit nationale Idiomatik mit klassischer Formkultur – seine Mazurken sind nie bloße Salonstücke, sondern kleine Charakterbilder voller Poesie.

 

Nr. 2 in D-Dur

 

Heiter, fast spielerisch. Die Melodie tanzt in kurzen Phrasen, begleitet von einem leichten, federnden Bass. Im Mittelteil wird die Harmonik dichter, bevor die unbeschwerte Grundstimmung wiederkehrt. Eine Mazurka von freundlichem, geselligem Charakter.

 

Artur Rubinstein:

 

 

 

und

 

Jan Ekier:

 

 

 

 

Ekier vermeidet jede überflüssige Virtuosität und legt das Gewicht auf die rhythmischen Feinheiten und die polnische Idiomatik. Seine Deutung wirkt klar, unpathetisch und von innerer Ruhe getragen, dabei aber voller subtiler Nuancen in Dynamik und Agogik. So entstehen Interpretationen von großer Schlichtheit und Tiefe, die den Blick auf Chopins feine Binnenstimmen und harmonische Raffinesse lenken.

 

Nr. 3 in C-Dur

 

Schlicht, charmant und volksliednah. Die wiederholten rhythmischen Muster und die einfache Melodieführung verleihen dem Stück einen beinahe naiven Reiz. Chopin setzt hier bewusst auf Zurückhaltung, um den ländlichen Charakter zu bewahren.

 

Seong-Jin Cho (* 1994) ist ein südkoreanischer Pianist, der beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann 2015 den ersten Preis.

Nr. 4 in h-Moll

 

Eines der Meisterwerke unter den Mazurken: tief melancholisch, mit einer singenden Hauptmelodie, die sich wie eine Klage entfaltet. Der Mittelteil in H-Dur wirkt wie ein flüchtiger Hoffnungsschimmer, bevor die Melancholie zurückkehrt. Der Schluss verklingt in resignierter Ruhe.

 

Seong-Jin Cho:

 

Cho verfolgt einen deutlich analytischeren und moderneren Ansatz. Bei ihm sind die rhythmischen Strukturen sehr präzise, fast scharf konturiert, und die Klangtransparenz wird bewusst gepflegt. Seine Mazurken wirken kontrollierter und weniger spontan als bei Rubinstein, dafür aber klarer im Aufbau und frei von jeglicher Sentimentalität. Cho sucht mehr nach struktureller Klarheit und subtiler Farbgebung als nach folkloristischer Freiheit.

Masurken op. 41

(komponiert 1838–1839, veröffentlicht von Maurice Schlesinger (1798 - 1871) in Paris 1840)

 

Gewidmet der Gräfin Élise de Perthuis (1800 - 1880), einer Pariser Salondame, enge Freundin von Frédéric Chopin und Mäzenatin zahlreicher Künstler.

 

 

In diesem Zyklus verbindet Chopin noch deutlicher als zuvor polnische Tanzidiome mit kunstvoller Harmonik und struktureller Verdichtung. Jede Mazurka wirkt wie ein kleines, in sich geschlossenes Gedicht.

 

Nr. 1 in cis-Moll

 

Artur Rubinstein:

 

 

 

Eine ernste, tief empfundene Mazurka mit einem markanten, punktierten Hauptthema. Der tänzerische Puls bleibt im Hintergrund stets spürbar, auch in den lyrischeren Momenten. Die Mittelpartie in A-Dur bringt eine Wärme, die im Rückkehrteil wieder von der Mollfärbung überdeckt wird.

 

Nr. 2 in E-Moll

 

Jan Ekier:

Schlicht und zurückhaltend, fast wie eine improvisierte Melodie über einem gleichmäßigen Bass. Die feinen harmonischen Schattierungen geben dem Stück eine zarte Melancholie. Ideal für einen diskreten, intimen Vortrag.

 

Nr. 3 in B-Dur

 

Jan Ekier:

 

 

Lebendig und hell, mit einer eingängigen Hauptmelodie, die von tänzerischen Figuren umspielt wird. Der Mittelteil in g-Moll wirkt wie ein kurzer Anflug von Ernst, bevor die Heiterkeit zurückkehrt. Eine Mazurka voller Leichtigkeit.

 

 

Nr. 4 in A♭-Dur

 

Eine der komplexesten Mazurken Chopins: reich an Modulationen, mit weiten melodischen Bögen und einem ständigen Wechsel zwischen tänzerischem Schwung und poetischer Kontemplation. Der Schluss verklingt sanft, wie ein ferner Gruß.

 

Jan Ekier:

Mazurken op. 50

(komponiert 1841–1842, veröffentlicht bei dem Wiener Verlag Mechetti 1842 und beim Schlesinger in Paris)

 

Gewidmet Leon Szmitkowski, einem polnischen Freund Chopins und Teilnehmer am Novemberaufstand (1830/31).

 

Nr. 1 in G-Dur

 

Jan Ekier:

 

 

Hell und freundlich, mit einem sanft wiegenden Puls. Die Hauptmelodie wirkt wie ein Volkslied, das Chopin kunstvoll mit kleinen ornamentalen Wendungen ausschmückt. Der Mittelteil moduliert in entfernte Tonarten und verleiht der Mazurka eine harmonische Tiefe, bevor das schlichte Anfangsthema zurückkehrt.

 

 

Nr. 2 in As-Dur

 

Jan Ekier:

 

 

Gesanglich und elegant, mit einem ruhigen, fast feierlichen Grundcharakter. Die linke Hand hält einen regelmäßigen Puls, während die rechte Hand lange, kantable Melodielinien entfaltet. Die Mittelpartie in Des-Dur bringt eine weiche, träumerische Aufhellung.

 

 

Nr. 3 in cis-Moll

 

Jan Ekier:

Eine ausgedehnte, fast balladenhafte Mazurka von großer Ausdruckstiefe. Das Hauptthema ist dunkel und drängend, mit charakteristischen rhythmischen Akzenten. Die Mittelabschnitte bringen kontrastierende Stimmungen – einmal lyrisch, einmal energisch –, bevor das dramatische Anfangsmotiv wiederkehrt und das Stück in nachdenklicher Ruhe endet.

 

und

 

Rafał Blechacz (* 1985): drei Masurken op. 50

Eine moderne Alternative der drei Mazurken bittet Rafał Blechacz  - ein polnischer Pianist, der am 21. Oktober 2005  den bedeutenden Chopin-Wettbewerb für Klavier in Warschau gewann.

 

Blechacz betont den genuin polnischen Charakter der Mazurken – der Dreiertakt mit der subtilen Akzentverschiebung, die tänzerische Erdigkeit und die Melancholie klingen bei ihm gleichermaßen authentisch.

 

Sein Spiel ist geprägt von einem warmen, runden Klang und einer klaren Linienführung, niemals hart oder forciert. Er verbindet die folkloristische Wurzel mit nobler Eleganz.

 

Blechacz versteht es, das Rubato organisch zu gestalten – frei, aber nie willkürlich. Die rhythmische Spannung bleibt immer spürbar, auch wenn er die Zeit dehnt.

 

Gerade in den langsamen Mazurken zeigt er eine tiefe Innigkeit und eine typisch polnische żal-Färbung (schwer übersetzbar, etwa „schmerzliche Wehmut“.

 

Anders als etwa Jan Ekier wirkt Blechacz weniger analytisch, sondern eher intuitiv-poetisch. Seine Lesart ist voller Empathie und Wärme.

 

Viele Kritiker sehen ihn heute als denjenigen Pianisten seiner Generation, der Chopins Mazurken am überzeugendsten interpretiert.

Masurken op. 56

(komponiert 1843–1844, veröffentlicht von Maurice Schlesinger in Paris 1844, auch von Haertel Verlag in Leipzig und Wessel Verlag in London)

 

1. Widmung an Mademoiselle C. Maberly (Pariser und Wiener Ausgaben)

 

Die Titelseite der Pariser Erstausgabe trägt die Widmung:

„3 Mazurkas / pour le piano forte / dediées à Mademoiselle C. Maberly / par F. Chopin / Oeuv. 56“.

 

Wer war Mademoiselle C. Maberly?

 

Sie gehörte zur wohlhabenden englischen Familie Maberly.

 

Caroline (meist nur als „C.“ bezeichnet) war eine junge Pianistin, die zeitweise in Paris lebte und vermutlich auch Schülerin Chopins war.

 

2. Widmung an Joseph Christoph Kessler (1800–1872) (Londoner Ausgabe)

 

Die Londoner Erstausgabe durch Wessel nennt als Widmungsträger Joseph Christoph Kessler.

 

Wer war Kessler?

 

Geboren 1800 in Augsburg, gestorben 1872 in Pesaro, Italien.

 

Deutscher Pianist, Pädagoge und Komponist, der lange Zeit in Lemberg (Lwów) und Warschau lebte und so eng mit dem polnischen Musikleben verbunden war.

 

Chopin kannte Kessler persönlich und widmete ihm bereits zuvor Anerkennung.

 

Nr. 1 in H-Dur

 

Jan Ekier:

Heiter, doch von einer feinen Melancholie durchzogen. Das Hauptthema tanzt leichtfüßig, während die Harmonik immer wieder in entferntere Regionen ausweicht. Die Mittelpartie in E-Dur bringt eine sanfte, lyrische Erweiterung, bevor das Anfangsthema mit noch mehr Leichtigkeit zurückkehrt.

 

Nr. 2 in C-Dur

 

Jan Ekier:

Eine der volksliedhaftesten Mazurken des Spätwerks: schlicht in der Melodie, aber raffiniert in der harmonischen Unterfütterung. Die linke Hand gibt einen wiegenden, tänzerischen Puls, während die rechte Hand kleine Verzierungen wie improvisierte Schnörkel hinzufügt.

 

Nr. 3 in cis-Moll

 

Jan Ekier:

Ernst und nachdenklich, mit einer markanten, fast gesungenen Hauptmelodie. Die Mittelabschnitte kontrastieren zwischen melancholischer Innigkeit und energischeren Passagen. Die Harmonik ist hier besonders reich – mit plötzlichen chromatischen Wendungen, die das Stück tief emotional färben.

 

Auch Rafał Blechacz:

 

op. 56, Nr. 1

op. 56, Nr. 2

op. 56, Nr. 3

 

 

Mazurken op. 59

 

Die drei Mazurken op. 59 wurden 1845 komponiert und 1846 veröffentlicht. Die Berliner Erstausgabe erschien 1846 im Verlag A. M. Schlesinger, der nach dem Tod des Gründers Adolf Martin Schlesinger (1769–1838) von seinen Söhnen weitergeführt wurde. Die beiden weiteren Erstausgaben erschienen 1846 in Paris bei Antoine de Brandus (1803–1868)  und i bei Thomas Boosey Wessel (1815–1895) in London.

 

keine Widmung

 

Nr. 1 in As-Dur

 

Maurizio Pollini (1942 – 2024):

Eine der strahlendsten und am schönsten Mazurken Chopins. Das Hauptthema ist weich und schwingend, die Harmonik warm und farbig. Die Mittelpartie in Des-Dur vertieft die Stimmung, bevor das Eingangsthema wie ein freundlicher Gruß wiederkehrt.

 

Nr. 2 in a-Moll

 

Dasol Kim (* 1989) ist ein südkoreanischer Pianist, der in Deutschland lebt. Gewinner zahlreicher internationaler Wettbewerbe, u. a.:

Kissinger Klavierolymp (2011) in Bad Kissingen und

Concours Géza Anda (2015) in Zürich.

Von stiller, fast resignativer Melancholie. Die rechte Hand trägt eine schlichte, kantable Melodie, die linke einen gleichmäßigen, leicht betonten Dreivierteltakt. Die kurzen Ausweichungen in Dur wirken wie vorsichtige Aufhellungen, die rasch wieder verblassen.

 

Nr. 3 in fis-Moll

 

Dasol Kim - modern, frisch, ohne Tradition zu verleugnen:

Eine komplexe, harmonisch sehr reiche Mazurka mit wechselndem Ausdruck: mal herb, mal leidenschaftlich, mal poetisch versponnen. Die rhythmischen Akzente sind ungewöhnlich gesetzt, was dem Tanzcharakter eine gewisse Schwere und Tiefe gibt.

 

Mazurken op. 63

(komponiert 1846, veröffentlicht 1847 in Paris bei Brandus, in Berlin bei  Schlesinger (1769–1838)  und in London bei Wessel & Co.)

 

Die drei Mazurken op. 63 sind Gräfin Laura Czosnowska (1811–1868) gewidmet. Sie stammte aus einer der einflussreichsten polnischen Adelsfamilien. Gräfin Czosnowska gehörte zum engeren Freundeskreis Chopins in Paris und war zugleich in den polnischen Emigrantenkreisen gesellschaftlich sehr präsent.

 

Die Widmung unterstreicht Chopins enge Bindung an die polnische Aristokratie im Exil.

 

Nr. 1 in B-Dur

 

Artur Rubinstein:

Hell und freundlich, mit einem schwungvollen, leicht akzentuierten Hauptthema. Die Mazurka wirkt wie ein eleganter, geselliger Tanz, in dem sich Fröhlichkeit und ein Hauch von Nostalgie mischen. Die Mittelpartie in g-Moll gibt einen kurzen, leicht verdunkelten Kontrast, bevor das Anfangsthema wiederkehrt.

 

Nr. 2 in f-Moll

 

Jan Ekier:

 

Von tiefer Melancholie durchzogen, fast wie ein leises Klagegesang. Die Melodie ist schlicht, aber von großer Ausdruckstiefe, und die harmonischen Wendungen sind subtil und oft überraschend. Diese Mazurka wirkt wie ein stilles Selbstgespräch.

 

Nr. 3 in cis-Moll

 

Kristian Zimerman (* 1956) ist ein polnische Pianist, der 1975 den Warschauer Chopin-Wettbewerb gewann:

 

Eine der ausdrucksvollsten späten Mazurken: dramatisch, energisch, mit markanten rhythmischen Akzenten und plötzlichen dynamischen Wechseln. Die Mittelpartie in A-Dur wirkt wie ein kurzer Hoffnungsschimmer, bevor die entschlossene Mollstimmung wieder die Oberhand gewinnt.

Vier Mazurken op. 67 und 68

Diese werden im Abschnitt Miniaturen besprochen.

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