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Johann Michael Haydn (1737–1806)

 

Ein Leben im Dienst der Musik – zwischen Pflicht, Glaube und stiller Vollendung

Johann Michael Haydn, geboren am 14. September 1737 in Rohrau an der Leitha, wuchs in einfachen, aber musikalisch wachen Verhältnissen auf. Sein Vater Mathias Haydn (1699–1763), Wagnermeister und Dorfrichter, spielte die Harfe und vermittelte seinen Söhnen ein Gespür für Klang, Rhythmus und handwerkliche Präzision. Die Mutter, Maria Koller (1707–1754), entstammte einer Wirtsfamilie – beide Eltern ahnten kaum, dass aus ihren Kindern einmal zwei der bedeutendsten Musiker ihrer Zeit hervorgehen würden. Wie sein älterer Bruder Joseph (1732–1809) wurde Michael als Sängerknabe in die Wiener Hofmusikkapelle aufgenommen, wo er unter Georg Reutter dem Jüngeren (1708–1772) eine fundierte Ausbildung erhielt. Dort lernte er die Grundlagen der kontrapunktischen Satztechnik, der lateinischen Liturgie und des mehrstimmigen Chorgesangs, die für seine spätere Entwicklung bestimmend blieben.

Nach dem Stimmbruch verließ er die Kapelle und fand 1757 eine erste Anstellung als Konzertmeister am Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein (heute Oradea, Rumänien). In dieser Zeit entstanden seine ersten Messen, Sinfonien und Divertimenti. Diese Werke stehen noch unter dem Einfluss der Wiener Spätbarocktradition, zeigen jedoch bereits eine klare melodische Führung und eine zunehmende Konzentration des Ausdrucks. Hier entwickelte sich der Stil, der für sein gesamtes Schaffen charakteristisch werden sollte: Klarheit der Form, Ausgewogenheit der Stimmen und Verzicht auf jede theatralische Geste.

1762 erhielt Michael Haydn den Ruf nach Salzburg, an den Hof des Fürsterzbischofs Sigismund Graf von Schrattenbach (1698–1771). Zunächst war er Konzertmeister an der Benediktineruniversität, später Vizekapellmeister und nach dem Tod Johann Ernst Eberlins (1702–1762) de facto Hof- und Domkomponist. Diese Stellung sollte er bis zu seinem Tod behalten. Als Hofmusiker hatte er die Musik für sämtliche liturgischen Anlässe zu liefern – ein Dienst, der Disziplin, Kenntnis der kirchlichen Ordnung und künstlerische Selbstbeschränkung erforderte. In Salzburg entstand fast sein gesamtes geistliches Werk: mehr als vierzig vollständige Messen, mehrere Requien, Vespern, Litaneien und Offertorien, dazu Oratorien, Sinfonien, Kammermusik und didaktische Stücke. Kaum ein anderer Komponist des 18. Jahrhunderts hat in solcher Regelmäßigkeit und Beständigkeit das gesamte Kirchenjahr musikalisch gestaltet.

Haydns Kirchenmusik ist geprägt von klarer Architektur, strenger Stimmführung und einer inneren Frömmigkeit, die ohne äußeren Glanz auskommt. Sie verbindet kontrapunktische Beherrschung mit schlichter, aber ausdrucksstarker Melodik. In ihr spiegelt sich ein Ideal, das zwischen barocker Strenge und klassischer Ausgewogenheit vermittelt. Anders als in Wien, wo die Kirchenmusik zunehmend opernhafte Züge annahm, bewahrte Haydn in Salzburg den liturgischen Ernst und die kontemplative Haltung, die seine Persönlichkeit kennzeichnete.

Sein bekanntestes Werk, das Requiem in c-Moll (MH 155), schrieb er 1771 zum Tod des Fürsterzbischofs Schrattenbach. Das Werk vereint kontrapunktische Strenge mit einer neuen Ausdruckstiefe und wurde bald weit verbreitet. Es beeinflusste nachweislich das Denken des jungen Wolfgang Amadé Mozart (1756–1791), der als Mitglied der Salzburger Kapelle an Aufführungen beteiligt war. Mozart kopierte und studierte mehrere Partituren Michael Haydns, darunter das Offertorium „Laudate Dominum“ (MH 374), und äußerte sich wiederholt anerkennend über seine kontrapunktische Kunst. Zwischen beiden Komponisten bestand keine Rivalität, sondern gegenseitige Achtung; Mozart nannte Haydn „den ehrlichsten Musiker, den ich kenne“.

1768 heiratete Haydn die Sängerin Maria Magdalena Lipp (1745–1827), Tochter des Hoforganisten Franz Ignaz Lipp (1704–1784). Das Paar trat häufig gemeinsam bei kirchlichen Aufführungen auf. Das einzige Kind starb früh, was den Komponisten, ohnehin von stiller Natur, noch zurückgezogener machte. Zeitgenossen schildern ihn als bescheiden, gewissenhaft und von tiefer Religiosität geprägt.

Er blieb seinem Amt auch unter dem neuen Erzbischof Hieronymus Graf Colloredo (1732–1812) treu, obwohl dessen Reformen und Rationalisierung der Hofmusik viele Künstler, darunter Mozart, zur Aufgabe bewegten. Haydn blieb – nicht aus Anpassung, sondern aus Überzeugung, dass Kunst auch in bescheidenen Formen ihre Würde behalten kann. Nach dem Tod Leopold Mozarts (1719–1787) war er allein verantwortlich für die gesamte liturgische Musik des Salzburger Doms. Seine späten Werke, etwa die Missa Sancti Gotthardi (MH 530) oder die Missa Sanctae Ursulae (MH 546), zeugen von einem Stil höchster Konzentration: ohne Überfluss, aber reich an Geist.

Zu seinen Schülern gehörte unter anderem Carl Maria von Weber (1786–1826), der nach Studien bei Michael Haydn schrieb:
„Er zeigte mir, wie man in wenigen Tönen betet.“


Dieser Satz beschreibt wohl am treffendsten die geistige Haltung des Komponisten: Musik als Gebet, nicht als Dekoration.

1792 erhielt Michael Haydn die Goldene Zivilehrenmedaille des Kaisers Franz II. (1768–1835), eine seltene Ehrung für einen außerhalb Wiens tätigen Musiker. Er nahm die Auszeichnung mit Bescheidenheit an und setzte seine Arbeit unvermindert fort. Am 10. August 1806 starb er in Salzburg. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof von St. Peter, neben Musikern, mit denen er sein Leben geteilt hatte. Kein Denkmal markiert es auffällig – eine Stille, die zu ihm passt.

Erst im 20. Jahrhundert begann eine umfassende Neubewertung seines Werkes. Lothar Perger legte zu Beginn des Jahrhunderts den ersten systematischen Katalog seiner Kompositionen an, und seit den 1990er-Jahren gilt der MH-Katalog von Charles H. Sherman und T. Donley Thomas als verbindliche Referenz. Zahlreiche Einspielungen – insbesondere durch Bohdan Warchal, Ivor Bolton, Howard Arman, CPO und Brilliant Classics – haben gezeigt, wie eigenständig und in sich geschlossen diese Musik ist.

Michael Haydn ist kein Nachahmer seines Bruders, sondern ein Komponist mit unverwechselbarem Profil:


Seine Werke verbinden gedankliche Strenge mit menschlicher Wärme, klare Architektur mit tiefem Ernst. Sie stehen zwischen Barock und Klassik und bilden das Fundament einer geistlichen Musiksprache, die in Österreich bis ins 19. Jahrhundert fortwirkte.

Seine Kunst leuchtet nicht laut, sondern ruhig – wie das Licht einer Kerze im Chorgestühl.
Sie gehört zu jener stillen Tradition, in der Kunst und Glaube einander noch selbstverständlich begegneten.
Michael Haydn war – im wörtlichen Sinne – ein Diener der Musik.

Werke (Auswahl)

 

Geistliche Werke (Messen, Requien, Gradualien, Offertorien u. a.)

MH 1 – Missa in honorem Sanctissimae Trinitatis

MH 12 – Missa in C sub titulo Sancti Michaelis

MH 13 – Missa Sanctae Cyrilli et Methodii

MH 15 – Missa Beatissimae Virginis Mariae (Perger deest)

MH 16 – Missa in honorem Sancti Josephi

MH 17 – Missa Sancti Gabrielis

MH 28 – Te Deum

MH 42 – Messe C-Dur

MH 43 – Missa Sancti Francisci Seraphici (Ia)

MH 44 – Messe C-Dur (Perger deest)

MH 45 Missa in C (um 1760)

MH 56 – Missa Sanctae Crucis

MH 57 = MH 552 – Missa dolorum Beatae Virginis Mariae

MH 60 – Trompetenkonzert Nr. 2 C-Dur (Instrumentalwerk, hier chronologisch eingeordnet)

MH 65 – Sinfonie Nr. 7 E-Dur (siehe unten, Orientierung)

MH 76 – Rebekka als Braut – Musik zu einem Bühnenstück (Opera sacra ähnlich)

MH 84 – Der Traum, Pantomime in zwei Akten

MH 87 – Missa Sancti Raphaelis

MH 104 – Trompetenkonzert D-Dur

MH 109 / MH 154 – Missa Sancti Nicolai Tolentini

MH 119 – Missa Sancti Francisci Seraphici (Ib)

MH 132 – Sinfonie D-Dur (siehe unten)

MH 147 – Oratorium „Der büßende Sünder“ (1771)

MH 150 – MH 155 – Missa pro defuncto Archiepiscopo Sigismundo (Requiem c-Moll)

MH 182 – Missa Sancti Joannis Nepomuceni

MH 186 – Endimione, Serenata (1778)

MH 187–189 – Streichquintette C-, G-Dur (siehe Kammermusik)

MH 188 – Sinfonie C-Dur (siehe unten)

MH 205 – Der Bassgeiger zu Wörgl – Singspiel (1773–75)

MH 207 – Violinkonzert A-Dur

MH 254 – Missa Sancti Hieronymi („Oboenmesse“)

MH 255 – Zaïre – Musik zu Voltaires Tragödie

MH 257 – Missa Sancti Aloysii

MH 272 – Sinfonie D-Dur (1778)

MH 322 – Missa in honorem Sancti Ruperti (Jubiläumsmesse C-Dur)

MH 328 – Sancti Dei (Offertorium oder Graduale)

MH 334 – Sinfonie G-Dur (= Perger 16, früher Mozart KV 444)

MH 340 – Sinfonie Es-Dur

MH 342 – Alleluja! Laudate pueri (Graduale in festo SS. Innocentium) – 1783

MH 367 – Streichquintett F-Dur

MH 384 – Sinfonie C-Dur

MH 392 – Effuderunt sanguinem Sanctorum (Graduale 1784)

MH 393 – Sinfonie d-Moll (späte Phase)

MH 399 – Sinfonie D-Dur

MH 405 – Sinfonie F-Dur

MH 411–412 – Streichquintette F-, B-Dur

MH 419 – Missa in honorem Sancti Dominici (Missa della Beneficenza) C-Dur (1786)

MH 420 – Sinfonie D-Dur

MH 422 – Missa Hispanica (Missa a due cori)

MH 438 – Andromeda e Perseo, Opera seria (1787)

MH 452 – Anima nostra, Offertorium pro festo SS. Innocentium (1787)

MH 473–478 – Späte Sinfonien (Es- bis C-Dur, 1788)

MH 484 / MH 485 – Alleluja! Dextera Domini / Surrexit Christus (Gradualien 1788)

MH 507 / MH 508 – Sinfonien F- / A-Dur (1789)

MH 530 – Missa in honorem Sancti Gotthardi (Missa Admontis) (1792)

MH 536 / MH 560 / MH 602 / MH 642 – Deutsches Hochamt „Hier liegt vor deiner Majestät“ (u. verschiedene Fassungen)

MH 546 – Missa in honorem Sanctae Ursulae (Chiemseemesse)

MH 551 – MH 553 – Missa pro Quadragesima / Quadragesimalis / Tempore Quadragesimae et Adventus

MH 626 – Offertorium „Sub tuum praesidium“ (spätes Meisterwerk)

MH 797 / MH 796 – Missa sub titulo Sanctae Theresiae (Variante ohne Gloria-Fuge)

MH 798 – MH 800 – Graduale „Petite et accipietis“, Offertorium „Magnus Dominus“, Te Deum

MH 826 – Missa sub titulo Sancti Francisci Seraphici (spät)

MH 837 – Missa sub titulo Sancti Leopoldi in festo Innocentium

MH 838 – Missa pro defunctis (Requiem B-Dur, unvollendet)

 

Instrumental- und Kammermusik (Auswahl)

MH 23 – MH 508 – Sinfonien (chronologisch siehe deine Perger-Liste)

MH 60 – Trompetenkonzert C-Dur

MH 104 – Trompetenkonzert D-Dur

MH 207 – Violinkonzert A-Dur

MH 308 - Streichquartett B-Dur (P. 124)

MH 309 - Streichquartett Es-Dur (P. 118)

MH 310 - Streichquartett A-Dur (P. 122)

MH 311 - Streichquartett g-Moll (P. 120)

MH 312 - Streichquartett F-Dur (P. 119)

MH 313 - Streichquartett C-Dur (P. 116)

MH 367, MH 411, MH 412 – Streichquintette F-, B-Dur

MH 412 – MH 420 – Divertimenti und Serenaden (Bereich)

MH 412 ff. – Fagott- und Posaunenkonzerte (z. T. ohne sichere MH-Nummern)

 

Vokal- und Bühnenwerke

MH 76 – Rebekka als Braut – Singspiel

MH 84 – Der Traum – Pantomime

MH 147 – Oratorium „Der büßende Sünder“

MH 186 – Endimione – Serenata

MH 205 – Der Bassgeiger zu Wörgl

MH 255 – Zaïre – Tragödienmusik nach Voltaire

MH 438 – Andromeda e Perseo – Opera seria

 

Anmerkungen

Alle MH-Nummern stammen aus dem Katalog Sherman & Thomas (1993).

Wo keine MH-Nummer bekannt ist, wurde das Werk entweder nicht katalogisiert (Fragment, verlorenes Manuskript).

Doppelte Nummern (z. B. MH 57 = MH 552) bezeichnen alternative Fassungen desselben Werkes.

 

MH steht für Michael Haydn und bezeichnet die laufenden Werknummern aus dem maßgeblichen modernen Verzeichnis - Charles H. Sherman / T. Donley Thomas,

Johann Michael Haydn (1737–1806): A Chronological Thematic Catalogue of His Works,

Pendragon Press 1993.

In diesem Katalog sind alle heute bekannten Werke Michael Haydns (insgesamt 839) chronologisch erfasst und thematisch beschrieben. Das MH-System ersetzt die älteren Perger-Nummern und wird in moderner Forschung, auf CDs und in Bibliotheken (RISM, ÖNB, Mozarteum u. a.) als Standard verwendet.

Die Nummer MH 1 bezeichnet also das älteste erhaltene Werk, MH 839 das letzte oder ein Fragment aus später Zeit.

Der sogenannte Perger-Katalog ist das erste systematische Werkverzeichnis von Johann Michael Haydn.

Er wurde von dem österreichischen Musikwissenschaftler Lothar Perger (1879–1915) erstellt, der als Mitarbeiter am Mozarteum in Salzburg tätig war.

Perger begann um 1907 mit der Sichtung und Ordnung der Manuskripte im Dommusikarchiv Salzburg und in der Erzabtei St. Peter, wo der größte Teil der Originalhandschriften Michael Haydns aufbewahrt ist.

Bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1915 legte er ein umfangreiches, handschriftliches Werkverzeichnis an, das später unter dem Titel „Perger-Verzeichnis der Werke von Johann Michael Haydn“ bekannt wurde. Dieses Verzeichnis ordnete Haydns Werke nach Gattungen (Messen, Litaneien, Offertorien, Sinfonien, Kammermusik usw.) und nummerierte sie innerhalb jeder Gattung fortlaufend: und nummerierte sie innerhalb jeder Gattung fortlaufend: also Sinfonien Perger 1–45, Messen Perger 1–35, Divertimenti Perger 100–120 usw.

Der Perger-Katalog war bis weit ins 20. Jahrhundert die einzige Grundlage für wissenschaftliche Arbeit und für frühe Editionen oder Aufnahmen (z. B. „Sinfonie in D-Dur, Perger 29“).

Da Perger viele Quellen noch nicht kannte, wurde sein Verzeichnis später ergänzt und korrigiert. Darum bevorzuge ich die MH Verzeichnis.

Missa in honorem Sanctissimae Trinitatis in D-Dur (MH 1)

 

Die Missa in honorem Sanctissimae Trinitatis in D-Dur, katalogisiert als MH 1, gilt als das erste erhaltene Werk des Komponisten Michael Haydn und markiert den Auftakt seines umfangreichen kirchenmusikalischen Schaffens. Entstanden um 1754, gehört die Messe zu den frühen Beispielen des süddeutsch-österreichischen Feststils im Übergang vom Spätbarock zur vorklassischen Epoche. Bereits der Titel „in honorem Sanctissimae Trinitatis“ weist auf den liturgischen Anlass hin: Sie wurde vermutlich zum Hochfest der Heiligsten Dreifaltigkeit komponiert, einem der feierlichsten Feste des Kirchenjahres, das eine entsprechend prachtvolle musikalische Gestaltung verlangte.

Vermutet wird, dass Haydn seine Missa Sanctissimi Trinitatis 1754 für die Einweihung der Temeswarer Domkirche komponiert hat.

https://www.edition-musik-suedost.de/html/haydn_johann_michael.html

Siehe auch:

https://adz.news/artikel/artikel/banater-kompositionen-bekommen-zweite-chance

Die Messe ist in D-Dur gesetzt und für eine festliche Besetzung konzipiert: zwei Sopranstimmen, Alt, Tenor und Bass – also fünf vokale Stimmen, die teils solistisch, teils chorisch eingesetzt werden –, dazu zwei Violinen, Viola, zwei Clarini (hohe Naturtrompeten), Pauken und ein Orgelcontinuo. Diese orchestrale Anlage deutet auf eine Missa solemnis hin, wie sie in den höfischen und kirchlichen Zentren Süddeutschlands und Österreichs üblich war. Eine autographe oder zeitnahe Abschrift befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothek (Signatur A-Wn Mus.Hs. 15589). Sie ist heute auch über die Plattform IMSLP zugänglich, was Aufführungen und editorische Arbeiten erleichtert.

Stilistisch zeigt sich in dieser Messe bereits der charakteristische Ton Michael Haydns, der sich deutlich von der galanteren, stärker weltlich geprägten Kirchenmusik seines Bruders Joseph unterscheidet. Haydn verbindet kontrapunktische Strenge mit kantabler Melodik und einem warmen, oft innerlich betonten Ausdruck. Die festliche Instrumentation mit Trompeten und Pauken unterstreicht die Glorie des Trinitätsfestes, doch bleibt der Satz in seiner Anlage durchhörbar und von klarer Textverständlichkeit geprägt – ein Kennzeichen des sich entwickelnden Salzburger Kirchenstils, der später auch Mozarts frühe Messen prägte. Die Verbindung von kontrapunktischen Elementen und liedhafter Thematik weist auf die stilistische Zwischenstellung des Werkes hin: es gehört noch in die barocke Tradition der Mehrchörigkeit und des feierlichen „Tutti-Klangs“, kündigt aber bereits die klassisch-balancierte Satzweise an, in der Vokalstimmen und Orchester gleichberechtigt miteinander verwoben sind.

In ihrer Struktur folgt die Missa in honorem Sanctissimae Trinitatis der klassischen Ordinarium-Gliederung (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei). Obwohl detaillierte Analysen des Werkes selten publiziert wurden, lässt sich aus der Anlage schließen, dass Haydn den liturgischen Text durch motivische Verknüpfungen und tonale Symmetrien zu gliedern suchte. Besonders das Kyrie zeigt häufig noch den Einfluss des barocken Da-Capo-Prinzips mit kontrastierenden Abschnitten und Rückkehr zur Anfangsbitte, während das Gloria und Credo durch kontrapunktische Verdichtungen und Wechsel zwischen Chor und Soli belebt werden. Die beiden Sopranstimmen dürften dabei eine besondere Funktion einnehmen: Sie bilden eine klanglich leuchtende Oberstimme, die dem Werk eine festliche, fast strahlende Aura verleiht – ganz im Sinne des Trinitätsgedankens, der in der Dreizahl und in der klanglichen Überhöhung symbolisch wiederkehrt.

Der geistliche und kulturelle Kontext der Entstehungszeit ist eng mit Haydns Salzburger Wirkungsraum verbunden. Salzburg war in der Mitte des 18. Jahrhunderts ein bedeutendes Zentrum katholischer Kirchenmusik, in dem die Tradition der missa solemnis mit dem Ideal einer „wohlgeordneten“, verständlichen Kirchenmusik verschmolz. Michael Haydn, der spätere Hofkomponist des Erzbistums, stand dabei im Spannungsfeld zwischen liturgischer Strenge, höfischer Repräsentation und aufkommender Empfindsamkeit. Die Messe MH 1, entstanden kurz nach seiner Ausbildungszeit, zeigt ihn als Komponisten, der bereits souverän zwischen kontrapunktischem Handwerk und melodischer Innigkeit vermittelt.

Von besonderem Interesse ist die theologische Symbolik des Werkes. Das Trinitätsmotiv, der Gedanke der Einheit in der Dreiheit, findet in der musikalischen Anlage zahlreiche Entsprechungen: Dreiteilige Formabschnitte, motivische Dreiergruppen und harmonische Beziehungen in Terzabständen erscheinen nicht zufällig, sondern als Ausdruck eines theologischen Grundgedankens, der im 18. Jahrhundert noch eng mit der musikalischen Struktur verknüpft wurde. Solche symbolischen Bezüge waren typisch für die Zeit, insbesondere in Salzburg, wo Liturgie und Musiktheorie häufig in enger Wechselwirkung standen.

Die Missa in honorem Sanctissimae Trinitatis ist heute nur selten auf Konzertprogrammen zu finden, hat aber in jüngerer Zeit durch die wachsende Wiederentdeckung Michael Haydns zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Moderne Editionen und Einspielungen, etwa von Carus oder Oehms Classics, bemühen sich, den warmen, zugleich transparenten Klang dieser Musik wiederzugeben. Sie zeigt die Wurzeln eines Komponisten, der im Laufe seiner Karriere zu einem der bedeutendsten Kirchenmusiker des 18. Jahrhunderts wurde – ein Meister der Balance zwischen barocker Tiefe, klassischer Klarheit und religiöser Innigkeit.

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MH 1

Messe in C-Dur zu Ehren des heiligen Michael (MH 12)

 

Die "Missa in C sub titulo Sancti Michaelis" (Messe in C zu Ehren des heiligen Michael) MH 12 gehört zu den frühesten erhaltenen Messen Johann Michael Haydns. Sie entstand vermutlich um 1756 oder 1757, also noch in den Jahren unmittelbar vor seiner Berufung an den Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein. Der Titel verweist auf den Erzengel Michael, den himmlischen Schutzpatron der Kirche und Verteidiger des Glaubens – ein Thema, das in der Musik Haydns nicht als militärischer Triumph, sondern als geistliche Stärke erscheint. Schon in diesem frühen Werk verbinden sich feierliche Festlichkeit und kontemplative Ruhe – eine doppelte Prägung, die später zum Kern seiner Salzburger Kirchenmusik werden sollte.

 

Die Messe steht in C-Dur, der traditionellen Festtonart, und ist für vierstimmigen Chor (SATB), Streicher, zwei Trompeten, Pauken und Orgelcontinuo besetzt. Trotz der vollen Instrumentierung wahrt Haydn eine klare, leichte Klangbalance. Die Komposition ist formal noch dem barocken Vorbild verpflichtet, doch die harmonische Gliederung und die Periodenbildung zeigen bereits frühklassische Züge: einfache, symmetrische Motive, sparsame Modulationen, harmonisch stabile Kadenzen.

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=3FE8Vrlr4HI 

Das Kyrie eröffnet ruhig und ausgewogen, mit dreiteiliger Anlage (Kyrie I – Christe – Kyrie II). Über einer gleichmäßig schreitenden Begleitung entfaltet sich ein choralartiger Satz, dessen Linien eher dem Gebet als der Virtuosität dienen. Das Christe eleison bringt eine zarte Modulation in die Dominante, ehe das abschließende Kyrie in heiterer Festlichkeit zurückkehrt.

 

Im Gloria erreicht die Musik mehr Bewegung und Glanz. Trompeten und Pauken fügen dem Klang helles Kolorit hinzu, die Streicher begleiten in regelmäßigen Figuren. Haydn strukturiert den Text in mehrere Abschnitte, die sich deutlich voneinander abheben: das Gratias agimus tibi in ruhigem Tempo, das Domine Deus Rex coelestis in klarer Dreiteiligkeit, und das abschließende Cum Sancto Spiritu als kurze, energische Fuge, die bereits den sicheren kontrapunktischen Stil erkennen lässt, den Haydn später meisterhaft beherrschen sollte.

 

Das Credo zeigt eine klare architektonische Gliederung. Das eröffnende Credo in unum Deum steht in festem homophonem Satz, das Et incarnatus est bildet den ruhigen Mittelpunkt in Moll, getragen von weichen Streicherbewegungen. Das Et resurrexit kehrt in strahlendem C-Dur zurück, rhythmisch belebt und mit deutlicher Betonung der Auferstehungsworte. Das Et vitam venturi saeculi mündet in eine kurze, thematisch klare Doppelfuge, die den Glauben in musikalischer Ordnung abschließt.

 

Das Sanctus ist breit angelegt, in ruhigem Dreiertakt und mit feierlichen Akkorden. Haydn nutzt die hellen Trompetenstimmen, um die Textaussage „Sanctus Dominus Deus Sabaoth“ in klangliche Höhe zu führen. Das Pleni sunt caeli et terra gloria tua beschleunigt kurzzeitig, ehe das Hosanna in excelsis in einer leichten, transparenten Fuge endet. Das Benedictus steht im Gegensatz dazu: ein inniger, beinahe kammermusikalischer Satz, dessen leise Streicherbegleitung dem Text „Benedictus qui venit in nomine Domini“ eine Atmosphäre stiller Verehrung verleiht. Das wiederholte Hosanna schließt den Mittelteil harmonisch und thematisch.

 

Das Agnus Dei beginnt in gedämpfter Bewegung und entwickelt sich zu einem ruhig fließenden Abschluss. Haydn legt den Schwerpunkt auf den Text „Dona nobis pacem“: die Stimmen verweben sich in einer kurzen Fuge, deren Themenführung auf Einklang und Ruhe zielt. Der Schluss ist nicht triumphal, sondern mild und gesammelt – ein friedvolles Ende einer Messe, die von Glaubensgewissheit und klanglicher Reinheit geprägt ist.

 

Die Messe zeigt den jungen Michael Haydn als Komponisten, der trotz jugendlicher Formstrenge bereits ein tiefes Gespür für liturgische Proportion und Ausdruck besitzt. Ihre Einfachheit ist kein Mangel an Reife, sondern Ausdruck einer bewussten ästhetischen Haltung: der Musik als Gebet.

 

Die Aufführung unter Ricardo Luna (* 1970) am 13. September 2020 in der Karlskirche Wien (Gottesdienst zum Fest des hl. Michael) verleiht diesem Werk eine authentische liturgische Dimension. Der Chor und das Orchester der Karlskirche Wien musizieren mit bemerkenswerter klanglicher Disziplin und ausgewogener Artikulation. Luna führt das Ensemble mit ruhiger Hand und klarer Struktur, ohne Effekthascherei, aber mit spürbarer innerer Überzeugung. Die Akustik der Wiener Karlskirche unterstreicht den leuchtenden C-Dur-Klang dieser Messe und lässt die geistige Klarheit der Musik in vollem Raum erblühen.

 

Diese Missa in C sub titulo Sancti Michaelis (MH 12) ist ein seltenes, aber wertvolles Frühwerk, das den Weg des jungen Michael Haydn zur reifen Salzburger Kirchenmusik bereits deutlich vorzeichnet: klar, maßvoll, glaubensfest – eine Musik, die nicht imponiert, sondern erhebt.

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MH 12

Missa in honorem Sancti Cyrilli et Methodii (MH 13, 1758)

 

Diese Messe gehört zu den frühesten erhaltenen Kirchenkompositionen von Johann Michael Haydn (1737–1806). Sie entstand im Jahr 1758, also kurz nach seiner Berufung an den Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein, wo der junge Komponist als Konzertmeister wirkte. Der Bischof war ein gebildeter, musikliebender Kirchenfürst und ein überzeugter Verehrer der slawischen Heiligen Cyrill (827–869) und Method (815–885), die als Missionare und Begründer der slawischen Schrift verehrt wurden. Haydns Missa in honorem Sancti Cyrilli et Methodii ist somit nicht nur eine liturgische Auftragsarbeit, sondern auch ein symbolisches Werk, das den kulturellen und religiösen Zusammenhalt Mitteleuropas feiert.

Die Messe steht in C-Dur und ist für vierstimmigen Chor, Streicher, Orgelcontinuo sowie Trompeten und Pauken gesetzt. Trotz der festlichen Besetzung vermeidet Haydn jeden äußeren Glanz; er sucht die feierliche Schlichtheit, nicht den repräsentativen Effekt. Die Komposition zeigt eine klare Linienführung, straffe Proportionen und harmonische Stabilität. Die Sprache ist noch vom Spätbarock geprägt, doch bereits durchdrungen von klassischer Ordnung und symmetrischer Balance.

 

https://www.youtube.com/watch?v=RZ8qVU6nh0U 

 

Das Kyrie eröffnet das Werk in ruhigem Dreiertakt, getragen von einem sanften, homophonen Chorklang über gleichmäßig geführten Streichern. Das Christe eleison wirkt dialogisch, fast kammermusikalisch, und im abschließenden Kyrie II vereint Haydn die Stimmen in einer schlichten, würdevollen Kadenz. Das Gloria entfaltet sich lebhafter und rhythmisch klar akzentuiert. Die Trompeten verleihen ihm Glanz, doch stets im Dienst des Textes. Haydn gliedert den Satz sorgfältig in kontrastierende Abschnitte: das jubelnde Gloria in excelsis Deo, das ruhig kontemplative Gratias agimus tibi und das energisch polyphone Cum Sancto Spiritu, das den Satz mit einer kurzen Fuge beschließt.

Das Credo ist von struktureller Klarheit geprägt. Der lange Text wird in symmetrische Abschnitte gegliedert, deren Mittelpunkt das Et incarnatus est bildet. Hier wechselt Haydn in eine verhaltene, schwebende Mollfarbe; die Musik atmet Demut und innere Sammlung. Das anschließende Et resurrexit bringt eine deutliche Steigerung: helles C-Dur, klare Rhythmen, und schließlich eine kleine Fuge im Et vitam venturi saeculi, die das Glaubensbekenntnis in architektonischer Geschlossenheit abrundet. Das Sanctus beginnt in ruhigem Tempo und homophoner Faktur. Haydn behandelt den Text ohne jede Opernhaftigkeit, mit klarer Deklamation und zurückhaltender Dynamik. Im Pleni sunt caeli wird die Musik lebhafter, und das Hosanna in excelsis schließt in einer prägnanten Doppelfuge.

Das Benedictus ist der lyrische Mittelpunkt der Messe. Haydn reduziert die Besetzung auf Streicher und Orgel und formt einen stillen, ausgewogenen Satz, dessen Linienführung an die frühen Salzburger Messen erinnert. Das abschließende Hosanna greift das Material des Sanctus wieder auf und gibt der Messe ihre formale Symmetrie zurück. Das Agnus Dei schließt den Zyklus mit einem sanften, flehentlichen Beginn. Im Dona nobis pacem verdichtet Haydn die Polyphonie und führt das Werk in ruhiger Würde zu Ende – ohne äußere Steigerung, mit jener inneren Geschlossenheit, die für seine geistliche Musik charakteristisch ist.

Die Missa in honorem Sancti Cyrilli et Methodii zeigt Haydn in der frühen Phase seiner Entwicklung, doch bereits mit den Qualitäten, die sein gesamtes kirchenmusikalisches Schaffen bestimmen sollten: Klarheit, Maß, kontrapunktische Festigkeit und eine Frömmigkeit, die nicht dekorativ, sondern echt und diszipliniert ist. Das Werk steht an der Schwelle zwischen dem Barock und der klassischen Klangsprache; seine Formstrenge und Linearität deuten bereits auf die Salzburger Messen der 1760er Jahre voraus.

In der Aufführung mit dem Zbor Cantica Collegium Musicum (Martin), dem Ensemble Canzona Neosolium (Banská Bystrica) und dem Orchestra Camerata Novisoliensis unter der Leitung von Pavol Tužinský (* 1958) wird diese Haltung überzeugend vermittelt. Der Chor singt klar und unaufdringlich, das Orchester begleitet mit präziser Artikulation und ohne Übergewicht, die Orgel hält das harmonische Gefüge zusammen. Alles bleibt transparent, textbezogen und aus der Liturgie heraus gedacht. Diese Interpretation zeigt Michael Haydn als das, was er in Wahrheit war – ein Komponist von geistiger Strenge und innerer Ruhe, der die Musik nicht zur Zierde, sondern als Ausdruck des Glaubens verstand.

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MH 13

Missa Beatissimae Virginis Mariae (MH 15, 1758/1760)

 

Die Missa Beatissimae Virginis Mariae („Messe zu Ehren der Allerseligsten Jungfrau Maria“), MH 15 entstand vermutlich zwischen 1758 und 1760, während Michael Haydn am Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein (Oradea) tätig war. Sie gehört damit zu den frühen, aber bereits voll ausgebildeten Werken des Komponisten, die deutlich über den Rahmen einer einfachen Messvertonung hinausgehen. Der Titel verweist auf die Gottesmutter als Schutzpatronin der Kirche und deutet zugleich auf eine festliche, jedoch nicht theatralische Anlage hin. Haydn wählte die Tonart C-Dur, die im 18. Jahrhundert oft mit Klarheit, Reinheit und feierlicher Helligkeit assoziiert wurde – passend zur marianischen Widmung.

 

https://www.youtube.com/watch?v=xy5JnZAOoB4&t=140s 

 

Die Messe ist für vierstimmigen Chor (SATB), Orchester mit zwei Trompeten, Pauken, Streichern und Orgelcontinuo besetzt. In dieser Kombination verbindet Haydn den spätbarocken Repräsentationsklang mit der sich abzeichnenden klassisch-transparenten Faktur. Die Satztechnik zeigt bereits jene charakteristische Ausgewogenheit, die sein späteres Salzburger Schaffen prägen sollte: eine klare harmonische Struktur, linear geführte Melodik und kontrapunktische Disziplin. Der Stil bewegt sich zwischen der höfischen Kirchenmusik Wiens und der sich herausbildenden Salzburger Schlichtheit.

 

Das Kyrie eröffnet ruhig und ausgewogen, in einem Dreiertakt von gemessener Bewegung. Haydn vermeidet dramatische Kontraste; das dreiteilige Formschema (Kyrie–Christe–Kyrie) ist symmetrisch angelegt, mit fließenden Übergängen. Das Gloria folgt als heller, rhythmisch prägnanter Satz, dessen Abschnitte durch klare Tempowechsel gegliedert sind. Besonders auffällig ist die Polyphonie im Cum Sancto Spiritu, wo Haydn eine strenge, aber transparente Fuge anlegt – ein früher Beweis seiner kontrapunktischen Schulung. Das Credo zeigt eine weite architektonische Anlage, in der Haydn die großen Textteile mit innerer Logik und ruhiger Proportion ordnet. Das Et incarnatus est steht im Zentrum: ein langsamer, in Moll gehaltene Abschnitt, der durch die Schlichtheit der Linien eine echte meditative Tiefe erreicht. Das Et resurrexit kehrt in strahlendem C-Dur wieder und führt das Et vitam venturi saeculi in eine kurze Fuge, deren Themenführung von bemerkenswerter Klarheit ist.

 

Das Sanctus entfaltet sich in ruhiger, feierlicher Haltung. Haydn vermeidet den großräumigen barocken Pomp und konzentriert sich auf klare Choralstruktur und feine Dynamik. Das Hosanna in excelsis ist polyphon gearbeitet, aber leicht und durchsichtig. Das Benedictus ist der intimste Teil der Messe. Haydn reduziert die Besetzung und lässt die Stimmen über einem gleichmäßigen Streicherfundament in kantablen Linien verlaufen – ein Moment der Sammlung innerhalb der feierlichen Form. Im abschließenden Agnus Dei kehrt er zur gedämpften Grundstimmung des Kyrie zurück. Das Dona nobis pacem schließt mit einer ruhigen Fuge, die den Friedensbitte-Text in musikalische Balance überführt.

 

Diese Messe dokumentiert Haydns frühen Versuch, barocke Kompositionsmittel in eine klassisch geordnete Sprache zu überführen. Im Vergleich zu den späteren Salzburger Messen (ab MH 56) wirkt sie jugendlicher, doch nicht unsicher: sie zeugt von hoher handwerklicher Beherrschung und einer bewussten liturgischen Haltung. Die Faktur ist frei von Effekten, die Harmonik klar, die Vokalführung sorgfältig, die Instrumentation maßvoll.

 

In der Aufführung des YouTube-Videos wird die Messe vollständig wiedergegeben. Der Chor singt diszipliniert und hell, die Orchesterbegleitung bleibt im Hintergrund und wahrt die Durchsichtigkeit der Satzstruktur. Der Klang vermittelt jene stille Feierlichkeit, die für Michael Haydns Kirchenmusik charakteristisch ist. Es handelt sich nicht um eine Repräsentationsmesse, sondern um ein Werk des inneren Gleichgewichts und der stillen Verehrung – eine Musik, die der Liturgie dient, nicht dem Publikum.

 

Die Missa Beatissimae Virginis Mariae (MH 15) steht damit an einem entscheidenden Punkt zwischen Tradition und Erneuerung. Sie ist kein bloßes Frühwerk, sondern ein Beispiel jener geistigen und musikalischen Haltung, die Haydns späteres Schaffen prägen sollte: eine Kunst, die Ordnung, Glaube und Klang zu einer geschlossenen Einheit verbindet.

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MH 15

Missa in honorem Sancti Josephi in C-Dur (MH 16)

Die Missa in honorem Sancti Josephi in C-Dur (MH 16) entstand vermutlich zwischen 1758 und 1760 in der Zeit, in der Michael Haydn als Konzertmeister am Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein wirkte. Der Titel verweist auf den heiligen Josef als Patron der Kirche und Familie – eine Widmung, die liturgisch und kirchlich Bedeutung hatte. Die Wahl der Tonart C-Dur unterstreicht den feierlichen, aber nüchternen Charakter der Messe. Die Besetzung ist für Chor (SATB), Trompeten, Pauken, Streichern und Orgelcontinuo ausgelegt – eine festliche, jedoch nicht überbordende Anlage, typisch für die Übergangszeit vom Spätbarock zur Frühklassik.

 

Im Aufbau folgt das Werk dem klassischen Ordinarium der Messe mit den Sätzen Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei.

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=yJZXEnTIG_I&list=OLAK5uy_m6i5vEMP1ybEN1UfIhsKQyi51aHw6XrC0&index=1 

Die Missa MH 16 steht stilistisch für den Versuch Haydns, barocke Kirchenmusiktradition und die sich abzeichnenden Anforderungen der Klassik in Einklang zu bringen. Der Fokus liegt auf Textverständlichkeit, Linienklarheit und liturgischer Funktion, nicht auf Virtuosität oder theatraler Wirkung. Innerhalb seines Œuvres nimmt das Werk eine wichtige Stellung ein: Es zeigt den Übergang seiner Großwardeiner Zeit hin zur Salzburger Periode.

 

Kyrie:

Der Eröffnungssatz steht in ruhigem Dreiertakt, in schlichter C-Dur-Helligkeit. Die Streicher begleiten mit gleichmäßigen Wellenbewegungen, die Chorstimmen treten homophon ein. Das Mittelteil Christe eleison bildet einen kurzen, dialogisch angelegten Kontrast in parallelen Terzen und Sexten, bevor das abschließende Kyrie II die ursprüngliche Ruhe wiederherstellt. Der Satz endet mit einer klaren Kadenz, ohne expressives Nachdrängen – der Ausdruck bleibt gesammelt und liturgisch konzentriert.

 

Gloria:

Das Gloria in excelsis Deo entfaltet sich im lebhaften Allegro, in der Struktur eines zweiteiligen Formsatzes. Trompeten und Pauken setzen Akzente, ohne das Vokalensemble zu überstrahlen. Haydn unterteilt den Text in mehrere musikalische Abschnitte: Gratias agimus tibi steht in reduziertem Tempo und vermittelt ruhige Dankbarkeit; Quoniam tu solus Sanctus führt zu einer gesteigerten Bewegung, die in der Fuge Cum Sancto Spiritu kulminiert. Diese Fuge zeigt noch barocke Strenge, jedoch mit klassischer Klarheit und leuchtender Diatonik.

 

Credo:

Der umfangreichste Satz der Messe ist architektonisch streng gebaut. Haydn gliedert den Text symmetrisch und verwendet das Et incarnatus est als Zentrum, das sich durch Wechsel in die Mollparallele auszeichnet. Die melodische Linie sinkt hier ab – ein Zeichen für Demut und Einkehr. Das Et resurrexit steht in heller, rhythmisch markanter Faktur, und das Et vitam venturi saeculi schließt mit einer kunstvoll gearbeiteten Fuge, die auf präzise Stimmführung und strukturelle Stabilität setzt.

 

Sanctus:

Das Sanctus Dominus Deus Sabaoth ist als homophoner Chorsatz gestaltet. Die Harmonik bleibt einfach, fast silbenweise deklamiert, wodurch der Text besonders deutlich hervortritt. Das anschließende Pleni sunt caeli et terra gloria tua bringt kurzzeitig Bewegung, bevor das Hosanna in excelsis die Polyphonie wieder aufnimmt. Die Doppelfuge ist knapp und streng geführt, zeigt aber eine charakteristische Durchsichtigkeit.

 

Benedictus:

Das Benedictus qui venit in nomine Domini steht in ruhiger Dreiteiligkeit, mit kantabler Melodik und leichter, fast kammermusikalischer Begleitung. Haydn lässt die Bläser schweigen und setzt nur Streicher und Orgel ein, wodurch ein intimer, kontemplativer Klangraum entsteht. Das wiederholte Hosanna in excelsis übernimmt die thematische Substanz des Sanctus und rundet den liturgischen Bogen.

 

Agnus Dei:

Das Agnus Dei qui tollis peccata mundi beginnt in sanftem Pianissimo, mit schwebender Harmonik. Die kontrapunktische Faktur ist zurückhaltend, aber klar; das Dona nobis pacem bildet den Höhepunkt, indem es den Chor in eine ruhige, diatonische Fuge führt. Der Schluss ist nicht triumphal, sondern friedlich, wie eine ruhige Bitte um Vollendung.

 

Zur Einspielung: Es existiert eine Aufnahme mit dem Titel "Missa in honorem Sancti Josephi in C" MH 16 (1758/60) Coro Ardito & Orchestra Ardita unter der Leitung von Joseph Willimann (* 1949),  Label Ardito, 1998. Auf der CD befinden sich auch Einspielungen von zwei anderen Werken Michael Haydns: Graduale "Dirigatur oratio mea" MH 520 und Orgelkonzert F-Dur, 3. Satz Allegro assai, MH 246.

 

Die Interpretation zeichnet sich durch klare Textdeklamation und transparente Instrumentation aus. Die Aufführung wahrt die Proportionen der Messe und orientiert sich an liturgischer Balance, nicht an konzertantem Glanz.

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MH 16

Missa Sancti Gabrielis in C-Dur (MH 17)

Die Missa Sancti Gabrielis in C-Dur (MH 17) gehört zu den frühen kirchenmusikalischen Werken Johann Michael Haydns und entstand wahrscheinlich um 1758, während seiner Tätigkeit als Konzertmeister am Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein. Später überarbeitete Haydn die Partitur, vermutlich im Jahr 1768, zu einer erweiterten Fassung, die durch stärkere klangliche Fülle und reifere thematische Arbeit geprägt ist. Der Titel verweist auf den Erzengel Gabriel, den Boten der Verkündigung, und deutet eine Verbindung zwischen himmlischer Klarheit und menschlicher Demut an — eine Haltung, die Haydns geistlicher Stil in besonderer Weise verkörpert. Die Messe ist in C-Dur komponiert, der Tonart der liturgischen Festlichkeit, und steht in einer Zeit, in der Haydn den spätbarocken Formenkanon allmählich in eine klarer gegliederte, frühklassische Syntax überführte. Ihre Besetzung umfasst Chor (SATB), Streicher, Basso continuo, Trompeten und Pauken; in der revidierten Fassung verstärkte Haydn den Bläserklang und gab den Streichern größere melodische Selbstständigkeit.

https://www.youtube.com/watch?v=ScKK17UPSYg 

 

Das Kyrie eröffnet das Werk in einer Atmosphäre stiller Festlichkeit. Über einem ruhig schreitenden Continuo entfaltet sich ein klarer, dreiteiliger Satz (Kyrie – Christe – Kyrie), dessen Themen durch einfache, aber ausdrucksstarke Intervalle geprägt sind. Das melodische Material wirkt nicht flehend, sondern gesammelt und ausgewogen. Haydn verzichtet auf kontrapunktische Verdichtung zugunsten einer linearen, syllabisch betonten Vokalführung, die den Text verständlich hält. Das Christe eleison steht in sanfter Modulation zur Dominante und zeichnet sich durch eine zarte Dialogstruktur zwischen den Stimmen aus, ehe das abschließende Kyrie den Eröffnungsgedanken in ruhiger C-Dur-Helligkeit beschließt.

Das Gloria steht im deutlichen Gegensatz zur Ruhe des Anfangs. Hier zeigt sich die Fähigkeit Haydns, Festlichkeit und liturgische Disziplin zu vereinen. Die Trompeten treten in leuchtenden Signalmotiven hervor, doch nie aufdringlich. Der Satz gliedert sich in mehrere Abschnitte, die dem Text folgen: Das Gratias agimus tibi bringt einen ruhigeren Mittelteil in homophoner Struktur, während das Quoniam tu solus Sanctus und das abschließende Cum Sancto Spiritu eine energische Fuge bilden. Diese Fuge, ein frühes Beispiel für Haydns souveränen Umgang mit kontrapunktischem Satz, wirkt nicht gelehrt, sondern klanglich klar und zielgerichtet — ein musikalischer Ausdruck von Freude, nicht von Theatralik.

Im Credo erreicht die Messe ihre größte architektonische Geschlossenheit. Haydn strukturiert den Text mit klaren musikalischen Kontrasten: das eröffnende Credo in unum Deum erscheint in kräftigen Akkorden, das Et incarnatus est in gedämpfter Mollfärbung. Hier findet sich ein bemerkenswertes Moment des Innehaltens: die Bewegung der Musik verlangsamt sich, der Chor phrasiert beinahe rezitativisch, und die harmonische Sprache vertieft sich. Das folgende Et resurrexit steht in strahlendem C-Dur, getragen von rhythmischer Energie und homophonen Ausrufen. Das Et vitam venturi saeculi beschließt den Satz mit einer kompakten Doppelfuge, deren Themenführung auf klassischer Klarheit und kontrapunktischer Ökonomie beruht.

Das Sanctus setzt mit weit gespannten Harmonien ein, die den Chorklang feierlich öffnen. Haydn hält den Satz bewusst schlicht und lässt die Stimmen in parallel geführten Linien über einer ruhigen Streicherbewegung entfalten. Die Chorstimmen artikulieren den Text in großen Atemzügen, während das Pleni sunt caeli eine kurze dynamische Steigerung bringt. Das anschließende Hosanna in excelsis bildet einen polyphonen Abschnitt mit imitatorischen Einsätzen, die den Lobpreis in Bewegung versetzen, jedoch nie die liturgische Würde überschreiten.

Das Benedictus wirkt als innerer Ruhepunkt der Messe. Haydn reduziert hier die Klangfülle und überlässt den Gesang einer zarten Begleitung der Violinen und der Orgel. Der Satz entfaltet sich in ruhig schwebendem Dreiertakt, fast pastoraler Anmut, mit betonter Linearität der Stimmen. Das abschließende Hosanna in excelsis greift das Material des Sanctus wieder auf und schließt den Mittelteil symmetrisch ab.

Im Agnus Dei kehrt Haydn zur Grundhaltung des Kyrie zurück. Der Satz steht im Piano, mit homophonen Anklängen und ruhiger Bewegung. Die Wiederholung Agnus Dei, qui tollis peccata mundi zeigt leichte dynamische Steigerungen, die nicht dramatisch, sondern innerlich betend wirken. Das abschließende Dona nobis pacem mündet in eine schlichte, ausgewogene Fuge, die das Werk in friedlicher Klarheit beendet. Hier zeigt sich, wie Haydn aus der asketischen Konzentration seiner Sprache jene Form des musikalischen Gebets entwickelt, die sein gesamtes kirchliches Schaffen prägt.

Die Missa Sancti Gabrielis ist ein Werk von bemerkenswerter Balance. Sie steht am Übergang zwischen barocker Mehrstimmigkeit und klassischer Schlichtheit, zwischen repräsentativem Glanz und liturgischer Strenge. Haydn erreicht eine Form, in der keine Stimme überflüssig ist und jede Wendung dem Wort verpflichtet bleibt. Die Musik entfaltet eine stille Feierlichkeit, die nicht durch äußeren Effekt, sondern durch innere Ordnung wirkt. Diese Messe zählt damit zu jenen frühen Werken, in denen sich Michael Haydns eigenständige Tonsprache formt: demütig, strukturiert und von jener stillen Größe, die seine gesamte Kirchenmusik auszeichnet.

Die hier verwendete Einspielung stammt aus einem Live-Mitschnitt des Hochamts am 4. November 2018 in der Karlskirche Wien (Patrozinium St. Karl Borromäus) unter der Leitung von Ricardo Luna (* 1970 in Buenos Aires, Argentinien; seit 2000 in Wien tätig als Dirigent, Chorleiter und Kirchenmusiker).

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MH 17

Te Deum in C-Dur (MH 28)

Das Te Deum in C-Dur (MH 28) entstand um 1760, also während Michael Haydns Anstellung am Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein, wenige Jahre bevor er nach Salzburg berufen wurde. Es ist eines seiner frühesten großdimensionierten geistlichen Werke und zeigt bereits den charakteristischen Übergangsstil des jungen Komponisten zwischen barocker Prachtentfaltung und frühklassischer Klarheit. Das Te Deum war traditionell ein feierlicher Hymnus des Dankes, gesungen zu hohen kirchlichen oder staatlichen Anlässen, etwa zur Bischofsweihe oder nach siegreichen Ereignissen. Haydn behandelte den Text nicht als theatralisches Prunkstück, sondern als liturgisch ausgerichtete Festmusik, in der Strenge und Jubel in Einklang stehen.

 

Das Werk ist für Chor (SATB), Orchester mit Trompeten, Pauken, Streichern und Basso continuo angelegt. Die Tonart C-Dur, die Haydn häufig für festliche Kirchenkompositionen wählte, verleiht der Musik helle Klarheit und symbolische Reinheit. Die Satztechnik ist noch stark von der barocken Mehrstimmigkeit geprägt, doch die Themenbildung ist bereits von klassischer Periodik bestimmt: klare Motive, symmetrische Phrasen, deutliche Kadenzen. Die Komposition zeigt in ihrer Architektur eine ausgewogene Balance zwischen repräsentativer Festlichkeit und innerer liturgischer Konzentration.

 

Michael Haydns  Te Deum in C in der Einspielung mit dem Savaria Baroque Orchestra, dem Cantus Corvinus Vocal Ensemble unter der Leitung von Pál Németh (* 1956):

https://www.youtube.com/watch?v=fzFuVAdQSrA 

Das Te Deum beginnt mit einem kraftvollen, homophonen Aufruf „Te Deum laudamus“, bei dem die Trompeten und Pauken den Chorklang in leuchtende Feststimmung tauchen. Im zweiten Abschnitt „Te æternum Patrem omnis terra veneratur“ wird die Polyphonie dichter; Haydn lässt die Stimmen in imitatorischen Einsätzen ansteigen, wodurch ein bewegtes Klangbild entsteht, das den universalen Lobgesang der Kirche symbolisiert. Die Mitte des Werkes („Tu Rex gloriæ Christe“) ist von ruhigerer Bewegung und stärkerer melodischer Linie geprägt. Hier zeigt Haydn jene kantable Schlichtheit, die später zu einem Kennzeichen seines Kirchenstils werden sollte. Im Schlussabschnitt „In te, Domine, speravi“ verdichtet sich die Harmonik erneut, der Satz mündet in eine ruhige, lichtvolle C-Dur-Kadenz – eine musikalische Darstellung des Vertrauens, das der Hymnus bekennt.

 

Der Text des Te Deum laudamus gehört zu den ältesten Hymnen der lateinischen Kirche. In der Tradition wurde er Ambrosius von Mailand (um 340–397) und Augustinus von Hippo (354–430) zugeschrieben, angeblich spontan bei der Taufe Augustins im Jahr 387. Die moderne Forschung betrachtet den Hymnus hingegen als anonymen Text des 4. Jahrhunderts.

 

Lateinischer Text und deutsche Übersetzung

 

Te Deum laudamus, te Dominum confitemur.

Te æternum Patrem omnis terra veneratur.

Tibi omnes angeli, tibi cæli et universæ potestates,

tibi cherubim et seraphim incessabili voce proclamant:

Sanctus, Sanctus, Sanctus Dominus Deus Sabaoth.

Pleni sunt cæli et terra maiestatis gloriæ tuæ.

 

Te gloriosus Apostolorum chorus,

te Prophetarum laudabilis numerus,

te Martyrum candidatus laudat exercitus.

Te per orbem terrarum sancta confitetur Ecclesia,

Patrem immensæ maiestatis,

venerandum tuum verum et unicum Filium,

Sanctum quoque Paraclitum Spiritum.

 

Tu Rex gloriæ, Christe. Tu Patris sempiternus es Filius.

Tu, ad liberandum suscepturus hominem, non horruisti Virginis uterum.

Tu, devicto mortis aculeo, aperuisti credentibus regna cælorum.

Tu ad dexteram Dei sedes in gloria Patris.

Judex crederis esse venturus.

 

Te ergo quæsumus, tuis famulis subveni,

quos pretioso sanguine redemisti.

Æterna fac cum sanctis tuis in gloria numerari.

Salvum fac populum tuum, Domine, et benedic hæreditati tuæ.

Et rege eos et extolle illos usque in æternum.

Per singulos dies benedicimus te,

et laudamus nomen tuum in sæculum et in sæculum sæculi.

Dignare, Domine, die isto sine peccato nos custodire.

Miserere nostri, Domine, miserere nostri.

Fiat misericordia tua, Domine, super nos, quemadmodum speravimus in te.

In te, Domine, speravi: non confundar in æternum.

 

Dich, Gott, loben wir, dich, Herr, bekennen wir.

Dich, ewigen Vater, betet an die ganze Erde.

Dir dienen alle Engel, dir Himmel und alle Mächte,

dir rufen Cherubim und Seraphim mit nie endender Stimme zu:

Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott der Heerscharen.

Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit.

 

Dich preist der glorreiche Chor der Apostel,

dich das lobwürdige Heer der Propheten,

dich die Schar der Märtyrer in weißem Gewand.

Dich bekennt auf der ganzen Erde die heilige Kirche,

den Vater unermesslicher Majestät,

deinen verehrungswürdigen, wahren und eingeborenen Sohn,

ebenso den Heiligen Geist, den Tröster.

 

Du, Christus, bist der König der Herrlichkeit.

Du bist des Vaters ewiger Sohn.

Du, der zur Erlösung der Menschen kam,

du scheutest dich nicht, den Schoß der Jungfrau anzunehmen.

Du hast, nachdem du den Stachel des Todes besiegt,

den Gläubigen das Himmelreich geöffnet.

Du sitzest zur Rechten Gottes in der Herrlichkeit des Vaters,

du wirst kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

 

So bitten wir dich, Herr: Hilf deinen Dienern,

die du mit deinem teuren Blut erlöst hast.

Lass sie mit deinen Heiligen ewig in Herrlichkeit vereint sein.

Rette dein Volk, Herr, und segne dein Erbe.

Führe sie und erhebe sie bis in Ewigkeit.

Tag für Tag preisen wir dich,

und loben deinen Namen immer und in Ewigkeit.

Herr, an diesem Tag bewahre uns vor Sünde.

Erbarme dich unser, Herr, erbarme dich unser.

Dein Erbarmen, Herr, sei über uns, wie wir auf dich gehofft haben.

Auf dich, Herr, habe ich gehofft: Ich werde in Ewigkeit nicht zuschanden werden.

 

CD-Vorschlag: Michael Haydn Collection, Vol. 3 – Te Deum, MH 28 · Cantus Corvinus Vocal Ensemble, Savaria Baroque Orchestra, Leitung Pál Németh (* 1956). Brilliant Classics, 2019.

 

Diese Einspielung verbindet historische Aufführungspraxis mit klarer Textgestaltung und ausgewogener Transparenz.

 

https://www.youtube.com/watch?v=DUR6WxVumbo   

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MH 28

Missa in C-Dur, MH 42 

 

Die Missa in C (MH 42) entstand um 1758, also in den ersten Jahren von Johann Michael Haydns Anstellung als Konzertmeister am Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein. Sie gehört zu einer Gruppe früher C-Dur-Messen, in denen der junge Komponist den Übergang vom spätbarocken Stil zur frühen Klassik vollzieht. Diese Messe ist keine festliche Staatsmusik, sondern ein Werk stiller Frömmigkeit, das durch Klarheit, Maß und Ernsthaftigkeit besticht. Schon hier zeigt sich jene Haltung, die Haydns Kirchenmusik bis ans Lebensende prägen sollte: eine strenge, liturgisch orientierte Tonsprache ohne opernhafte Züge, getragen von Ausgewogenheit und innerer Sammlung.

Die Besetzung umfasst vierstimmigen Chor (SATB), Streicher, Basso continuo und Orgel; Trompeten und Pauken fehlen, was dem Werk eine kammermusikalische Helligkeit verleiht. Haydn arbeitet mit klar gegliederten Phrasen, behutsamen Sequenzen und einer Harmonik, die zwischen barocker Stabilität und frühklassischer Beweglichkeit vermittelt. Der gesamte Satzverlauf ist logisch organisiert, die Polyphonie bleibt durchsichtig, und die Textausdeutung folgt dem Prinzip des liturgischen Gleichgewichts: kein rhetorischer Überschwang, sondern ruhige, durchdachte Gestaltung.

 

https://www.youtube.com/watch?v=_TH_9sMDGz8 

 

Das Kyrie eröffnet die Messe in ruhigem Dreiertakt, mit gleichmäßig schreitenden Streichern und einem choralartig geführten Vokalsatz. Haydn nutzt hier den klassischen Dreiteiler (Kyrie I – Christe – Kyrie II), jedoch ohne scharfe Kontraste. Das Mittelteil Christe eleison bringt eine zarte Modulation in die Dominante, ehe das abschließende Kyrie die Grundtonart C-Dur in klarer Kadenz wieder festigt. Der Satz ist von betender Ruhe, nicht von Ausdrucksdramatik geprägt.

Im Gloria belebt sich der Klang, doch Haydn wahrt die strukturelle Strenge. Die Chorstimmen singen in enger Homophonie, die Streicher stützen rhythmisch und halten den Satz in Bewegung. Der Mittelabschnitt Gratias agimus tibi wird ruhiger und modulierender geführt, während das abschließende Cum Sancto Spiritu eine kurze, präzise Fuge bildet. Sie ist von lehrhafter Klarheit, ohne kontrapunktische Überfülle – ein Beispiel für Haydns Fähigkeit, polyphones Denken und klassische Formökonomie zu vereinen.

Das Credo ist der umfangreichste Abschnitt. Die Grundstruktur folgt der liturgischen Dreiteilung: Credo in unum Deum (kräftig homophon), Et incarnatus est (verlangsamt, in Mollfärbung) und Et resurrexit (energisch, in strahlendem C-Dur). Haydn behandelt den Text mit großer Sorgfalt; das Et incarnatus est erhält eine besonders ruhige, kontemplative Ausgestaltung, in der die Linienführung sparsam, fast rezitativisch wirkt. Im Et resurrexit hellt sich der Klang auf, und die Stimmen treten in freier Imitation ein – ein Moment, der Auferstehung und Licht musikalisch unmittelbar erfahrbar macht. Das Et vitam venturi saeculi endet mit einer kompakten Fuge, deren kontrapunktische Führung die feste Glaubenszuversicht unterstreicht.

Das Sanctus knüpft in ruhigem Dreiertakt an den meditativen Ton des Et incarnatus est an. Haydn wählt eine breite, homophone Textur, die den Text würdevoll trägt. Das anschließende Pleni sunt caeli steigert sich kurzzeitig in rhythmische Bewegung, bevor das Hosanna in excelsis den Abschnitt mit einer leichten, imitatorischen Passage abschließt.

Das Benedictus steht im deutlichen Kontrast: kammermusikalisch, transparent, mit fein verschränkten Streichern und sanften Vokaleinsätzen. Haydn arbeitet hier mit kleinen motivischen Gesten, die den Text „Benedictus qui venit in nomine Domini“ wie eine leise Bitte gestalten. Das wiederholte Hosanna nimmt die thematische Substanz des Sanctus auf und fügt sich harmonisch geschlossen ein.

Das Agnus Dei beginnt in gedämpfter Dynamik, in ruhigem, gebetsartigem Ton. Haydn verwendet hier eine leicht chromatische Linienführung, um die Bitte um Erbarmen zu vertiefen. Das abschließende Dona nobis pacem ist nicht triumphal, sondern von innerer Ruhe geprägt. Es beschließt die Messe in symmetrischer Form, mit einer kurzen Fuge, die den Gedanken des Friedens musikalisch zum Abschluss bringt.

In dieser frühen Messe zeigt sich Michael Haydns Persönlichkeit bereits voll ausgebildet: eine klare, gottesdienstliche Ästhetik, frei von Pathos, aber erfüllt von innerer Überzeugung. Die Missa in C (MH 42) steht damit am Beginn jenes Weges, der zur Reife seiner Salzburger Kirchenmusik führte. Sie belegt, dass Haydn schon in jungen Jahren die Kunst verstand, geistliche Tiefe mit kompositorischer Disziplin zu vereinen.

Die Einspielung mit dem Cantus Corvinus Vocal Ensemble und dem Savaria Baroque Orchestra unter Pál Németh (* 1956), erschienen bei Brilliant Classics in der Reihe Michael Haydn Collection, bringt die liturgische Klarheit dieses Werkes in beispielhafter Weise zur Geltung. Die historischen Instrumente verleihen dem Klang Wärme und Leuchtkraft, der Chor singt mit exakter Diktion und feiner dynamischer Abstufung. Némeths Dirigat ist konzentriert, maßvoll und respektvoll gegenüber der liturgischen Struktur – eine Interpretation, die den Geist dieser frühen Messe vollkommen trifft.

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MH 42

Missa in C, MH 45 (um 1760)

Die Missa in C (MH 45) gehört zu den frühen Salzburger Kirchenwerken Johann Michael Haydns, entstanden wahrscheinlich kurz nach seiner Übersiedlung an den Hof des Fürsterzbischofs Sigismund Graf von Schrattenbach (1698–1771), also um das Jahr 1760. Sie ist ein Werk der Übergangszeit – zwischen der empfindsamen Klangwelt seiner Jugendjahre in Großwardein und der reifen, liturgisch gefestigten Tonsprache seiner Salzburger Messen.

Die Quellenlage ist eindeutig: Das Autograph oder eine zeitgenössische Abschrift befindet sich in der Musiksammlung der Erzabtei St. Peter in Salzburg (Signatur A-Ssp). Eine moderne Edition liegt bisher nicht vor, und das Werk wurde, soweit bekannt, nie vollständig eingespielt. Dennoch besitzt die Messe einen besonderen Stellenwert, da sie zu den frühesten Beispielen von Haydns ausgeprägtem Sinn für formale Balance und textnahe musikalische Rhetorik zählt.

Die Messe steht in C-Dur, der traditionellen Festtonart, und ist für vierstimmigen Chor (SATB), Streicher, zwei Trompeten, Pauken und Orgelcontinuo gesetzt. Ihre musikalische Sprache zeigt noch barocke Züge, besonders in der kontrapunktischen Stimmführung, zugleich aber eine wachsende Orientierung an der klassischen Periodik und Klarheit. Die melodische Führung ist gesanglich, die Harmonik stabil, mit vereinzelten Modulationen zu parallelen und dominanten Tonarten.

Das Kyrie eröffnet die Messe mit einer ruhigen, feierlichen Bewegung im Dreiertakt. Die Stimmen werden in blockhafter Homophonie geführt, die sich nur stellenweise in imitatorische Linien auflöst. Das Christe eleison bringt eine kurze lyrische Aufhellung, bevor das abschließende Kyrie das Eingangsmotiv wieder aufnimmt und den Satz symmetrisch abrundet.

Das Gloria zeigt Haydns Begabung für textbezogene Gliederung: Der Komponist unterteilt den Abschnitt in kurze, klar unterscheidbare Episoden. Das Gratias agimus tibi ist in ruhigem Tempo gehalten, das Domine Deus lebhafter, und das abschließende Cum Sancto Spiritu mündet in eine kleine Fuge, die trotz ihrer Kürze bereits die kontrapunktische Disziplin des jungen Meisters erkennen lässt.

Im Credo herrscht eine stabile, syllabische Vertonung vor, die dem Textverständnis dient. Das Et incarnatus est tritt als innerer Ruhepunkt auf, mit zarter Chromatik und verminderter Dynamik. Das Et resurrexit kehrt zu energischem D-Dur zurück, rhythmisch prägnant und klanglich leuchtend. Die abschließende Fuge Et vitam venturi saeculi bildet den architektonischen Schluss dieses umfangreichsten Teils der Messe.

Das Sanctus ist von ruhiger Würde, in gemessenem Dreiertakt gehalten und reich an festlichen Akkorden. Das Pleni sunt caeli entfaltet sich in fließender Bewegung, während das Hosanna durch imitatorische Einsätze belebt wird. Das Benedictus steht im Kontrast dazu – schlicht, kantabel, in kammermusikalischem Rahmen. Die Rückkehr des Hosanna sorgt für strukturellen Abschluss.

Im Agnus Dei wählt Haydn eine gemäßigte Bewegung, die Bitten um Erbarmen klingen ruhig und ohne Pathos. Das abschließende Dona nobis pacem greift den thematischen Gedanken des Kyrie wieder auf und schließt die Messe in ausgewogener Symmetrie.

Die Missa in C (MH 45) zeigt, dass Michael Haydn schon früh jene charakteristische Haltung entwickelte, die ihn von seinem älteren Bruder unterschied: eine Konzentration auf das liturgische Wesentliche, frei von Opernhaftigkeit, getragen von innerer Gläubigkeit und kompositorischer Klarheit. Sie markiert den Beginn seines eigenständigen kirchenmusikalischen Stils – einer Kunst, die weniger auf Wirkung als auf geistige Wahrheit zielt.

Da das Werk bislang weder ediert noch aufgenommen wurde, bleibt es vorerst ein Schatz der Archive. Es wäre zu wünschen, dass eine künftige Edition und Aufführung – etwa durch Ensembles wie das Savaria Baroque Orchestra oder die Cappella Istropolitana – diese frühe Messe des jungen Salzburger Meisters der Öffentlichkeit zugänglich machen.

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MH 45

Missa Sancti Francisci Seraphici (MH 43)

 

Die Missa Sancti Francisci Seraphici (MH 43) gehört zu den frühesten Salzburger Messen Johann Michael Haydns. Sie entstand vermutlich um 1760, kurz nach seiner Berufung an den Hof des Fürsterzbischofs Sigismund Graf von Schrattenbach (1698–1771). Der Titel verweist auf Franz von Assisi (1181/82–1226), den „Seraphischen Vater“ des Franziskanerordens, dessen Demut, Armutsideal und Gottverbundenheit im 18. Jahrhundert erneut an Bedeutung gewannen. Haydns Messe ist daher nicht nur ein liturgisches Werk, sondern auch Ausdruck eines religiösen Ethos: schlicht, ehrfürchtig und von innerer Ruhe getragen.

Die Komposition steht in C-Dur – der traditionellen Festtonart für Messen, die Licht, Reinheit und Zuversicht symbolisiert – und ist besetzt für vierstimmigen Chor (SATB), zwei Violinen, Basso continuo, zwei Trompeten und Pauken. Diese Besetzung verleiht der Musik festliche Brillanz, ohne in Überladenheit zu verfallen. Stilistisch steht die Messe zwischen Spätbarock und beginnender Klassik: klar gegliedert, formal streng, dabei von einer stillen, fast pastoralen Ausdruckskraft.

 

https://www.youtube.com/watch?v=iNbyEvLRZBc 

 

Das Kyrie eröffnet in dreiteiliger Form (Kyrie I – Christe – Kyrie II) mit ruhiger, choralartiger Bewegung. Die Stimmen führen homophone Linien, die nur gelegentlich in imitatorische Andeutungen übergehen. Das Christe eleison wirkt milder, fast zärtlich, ehe das abschließende Kyrie die Eingangsgeste wieder aufnimmt. Der Satz ist beispielhaft für Haydns frühe Tendenz zur architektonischen Ausgewogenheit: symmetrische Form, ruhiger Puls, klare Tonalität.

Im Gloria entfaltet sich der volle Klang des Ensembles. Trompeten und Pauken verleihen den Jubelrufen Glanz, die Streicher schaffen fließende Bewegung. Haydn gliedert den langen Text in Abschnitte mit kontrastierendem Charakter: Et in terra pax steht in ruhigerem Tempo, Domine Deus Rex coelestis ist von lebhafter Energie geprägt, und das abschließende Cum Sancto Spiritu mündet in eine präzise, dreistimmige Fuge, die die Textaussage „in gloria Dei Patris. Amen“ eindrucksvoll bekräftigt.

 

Das Credo bildet den architektonischen Mittelpunkt der Messe. Haydn unterteilt den Text klar und symmetrisch: Das Credo in unum Deum ist in festem homophonem Satz gehalten; das Et incarnatus est in c-Moll (Subdominanttonart) bringt einen Moment kontemplativer Tiefe, mit weichen, chromatischen Linien und gedämpfter Dynamik. Das Et resurrexit bricht in strahlendem C-Dur hervor, rhythmisch belebt und von jubelnder Bewegung getragen. Die abschließende Fuge Et vitam venturi saeculi ist kontrapunktisch streng, jedoch ohne akademische Schwere – ein überzeugendes Beispiel für Haydns Fähigkeit, polyphone Kunst und liturgische Funktion in Einklang zu bringen.

Das Sanctus steht in ruhigem Dreiertakt. Haydn eröffnet mit breiten, feierlichen Akkorden, die den Text „Sanctus Dominus Deus Sabaoth“ in klangliche Größe übersetzen. Das Pleni sunt caeli et terra gloria tua bringt mehr Bewegung, bevor das Hosanna in excelsis mit leichten, imitatorischen Einsätzen endet. Das Benedictus kontrastiert als lyrischer Mittelteil: kammermusikalisch, zart instrumentiert, getragen von ruhigen, gesanglichen Linien. Das wiederholte Hosanna führt das Werk zu einem harmonisch klaren Höhepunkt.

Das Agnus Dei beginnt mit sanfter, flehender Melodik. Die Chromatik und die dynamische Zurückhaltung verleihen dem Satz eine bittende Innigkeit. Das abschließende Dona nobis pacem wird in einer kleinen Fuge geführt, die – typisch für Haydn – in milder C-Dur-Leuchtkraft schließt. Kein triumphaler Schluss, sondern ein friedvoller, innerlich gefestigter Ausklang.

Diese Messe dokumentiert, dass Michael Haydn schon in jungen Jahren jene persönliche Tonsprache gefunden hatte, die ihn von seinem älteren Bruder unterschied. Während Joseph Haydn in seinen frühen Messen stärker auf dramatische Kontraste und orchestrale Pracht setzte, bevorzugte Michael die schlichte, glaubensnahe Ausdrucksform. Seine Musik ist weniger Theater als Gebet – weniger Effekt als Haltung.

Die Missa Sancti Francisci Seraphici (MH 43) ist somit eines der ersten reifen Zeugnisse seines kirchenmusikalischen Denkens. Sie verbindet die klassische Klarheit des Salzburger Stils mit einer tief empfundenen Spiritualität. Das Werk markiert den Übergang vom spätbarocken Formbewusstsein zur geläuterten Sprache der Frühklassik und gehört zu jenen Kompositionen, die das Fundament für seine späteren Meisterwerke legten: das Requiem in c-Moll (MH 155) oder die Missa in honorem Sancti Ruperti (MH 322).

Aufführungen und Aufnahmen


Eine vollständige Studioaufnahme der Messe existiert bislang nicht in gedruckter Form. Erhalten ist jedoch eine hochwertige digitale Einspielung aus der Reihe Michael Haydn Collection, Vol. 3 (Brilliant Classics, 2019) mit dem Savaria Baroque Orchestra, dem Cantus Corvinus Vocal Ensemble unter der Leitung von Pál Németh (*1956, Szombathely), in der Ausschnitte (Kyrie, Gloria) enthalten sind. Eine vollständige liturgische Aufführung wurde 2005 vom Zürcher Kammerorchester mit den Zürcher Sängerknaben unter Howard Griffiths dokumentiert (YouTube, Label Naxos/Brilliant).

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MH 43

Messe in C-Dur, MH 44 (Perger deest)

Die Messe in C-Dur (MH 44) entstand wahrscheinlich um 1760 – 1761, in der frühen Salzburger Zeit Michael Haydns, als er bereits Hofkomponist unter Fürsterzbischof Sigismund Graf von Schrattenbach (1698–1771) war. Der Zusatz „Perger deest“ bedeutet, dass dieses Werk im alten Perger-Katalog (1907) nicht verzeichnet war und erst in der modernen Gesamterfassung durch Charles H. Sherman und T. Donley Thomas (Catalogue of the Works of Michael Haydn, 1993) aufgenommen wurde. Das heißt: Das Werk war lange Zeit in Archiven bekannt, aber bibliographisch übersehen – also ein echtes Beispiel dafür, wie differenziert die Haydn-Forschung im 20. Jahrhundert nachgearbeitet werden musste.

Die Messe ist in C-Dur notiert und besetzt für vierstimmigen Chor (SATB), Streicher und Orgelcontinuo – ohne Trompeten und Pauken. Das deutet auf einen nicht-festlichen, sondern regulären liturgischen Gebrauch hin, vermutlich für die alltäglichen Hochämter in der Salzburger Dommusik oder für die Kapellenmusik in der Franziskanerkirche.

Stilistisch steht sie zwischen der schlichteren Missa Beatissimae Virginis Mariae (MH 15) und der farbigeren Missa Sancti Josephi (MH 16): eine Brückenkomposition zwischen Jugendstil und Reife. Der Satzverlauf zeigt, dass Haydn bereits eine klare musikalische Architektur anstrebte, die in seinen späteren Messen vollständig ausgebildet wurde.

Das Kyrie eröffnet ruhig und ausgeglichen, mit einer dreiteiligen Anlage (Kyrie I – Christe – Kyrie II). Die Linienführung ist schlicht, fast liedhaft, die Harmonik stabil. Das Gloria ist lebhafter, mit kurzen kontrastierenden Phrasen, die den Textabschnitten folgen. Besonders bemerkenswert ist das abschließende Cum Sancto Spiritu, das in einer kleinen Fuge endet – ein frühes Beispiel von Haydns Vorliebe, die Messe durch kontrapunktische Arbeit zu beschließen.

Das Credo ist syllabisch vertont, mit deutlicher Textverständlichkeit. Das Et incarnatus est bildet den zentralen Ruhepunkt in Moll, der durch gedämpfte Dynamik und weich geführte Streicher besonders hervorgehoben wird. Im Et resurrexit leuchtet das C-Dur erneut auf, rhythmisch lebendig und von energischer Akzentuierung getragen. Die Fuge Et vitam venturi saeculi am Schluss des Credo zeigt bereits die strukturelle Klarheit, die Haydn später perfektionierte.

Das Sanctus entfaltet sich in breiten, choralartigen Akkorden; das Hosanna wird mit freier Imitation gestaltet, während das Benedictus kammermusikalisch, beinahe pastoral wirkt. Das Agnus Dei bringt eine feierliche Rückkehr zur Ausgangsruhe: die Bitte Dona nobis pacem wird in einer sanften Fuge vollendet, die den friedlichen, ausgeglichenen Ton der ganzen Messe beschließt.

Diese Messe in C-Dur ist also kein Gelegenheitswerk, sondern ein sorgfältig gebautes liturgisches Stück, das Haydns Ideal einer „sachlichen Andacht“ beispielhaft verkörpert. Sie zeigt, wie konsequent er sich bereits um 1760 von der barocken Überfülle löste und jenen ruhigen, klaren Kirchenstil entwickelte, der später die Salzburger Kirchenmusik prägte – in bewusster Abgrenzung zu opernhaften Tendenzen seiner Zeit.

Die Messe ist vollständig im Manuskript in der Musiksammlung der Erzabtei St. Peter in Salzburg (Signatur A-Ssp) überliefert. Eine kritische Edition ist bislang nicht veröffentlicht; das Werk wurde bisher nicht eingespielt. Einige einzelne Sätze (Kyrie, Gloria) wurden in kirchenmusikalischen Aufführungen in Wien (Karlskirche, Leitung Ricardo Luna, 2019–2020) verwendet, doch keine vollständige Aufnahme liegt vor.

Das Fehlen einer modernen Edition erklärt, warum MH 44 im Konzert- und Tonträgerverzeichnis praktisch nicht auftaucht – sie bleibt derzeit ein „archivierter Schatz“ der Salzburger Kirchenmusik, der noch auf seine Wiederentdeckung wartet.

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MH 44

Missa Sanctae Crucis, MH 56 (um 1763)

Die Missa Sanctae Crucis (MH 56) ist eine der frühen Salzburger Messen Johann Michael Haydns und entstand vermutlich um 1763, also kurz nach seinem Amtsantritt als Hof- und Domkomponist unter Fürsterzbischof Sigismund Graf von Schrattenbach (1698–1771). Sie markiert eine wichtige Etappe in Haydns Entwicklung vom barocken Idiom seiner Jugendzeit hin zu jener ausgereiften, klassisch klaren Kirchenmusik, die seine Salzburger Jahre prägen sollte.

Der Titel „Sanctae Crucis“ (Heiliges Kreuz) verweist auf das liturgische Fest Inventionis Sanctae Crucis (Auffindung des Heiligen Kreuzes), das im Kirchenjahr als Symbol des Erlösungsgeheimnisses gilt. Entsprechend steht diese Messe in einem eher kontemplativen als triumphalen Charakter – festlich, aber von innerer Ernsthaftigkeit durchzogen.

Das Werk steht in C-Dur und ist besetzt für vierstimmigen Chor (SATB), zwei Violinen, Orgel und Basso continuo, ohne Trompeten und Pauken. Die sparsame Orchestrierung dient der Textverständlichkeit und unterstreicht die liturgische Funktion – keine Schaukomposition, sondern eine Messe für den realen Gebrauch im Salzburger Dom oder in einer Stiftskirche. (Tracks 23 bis 28)

https://open.spotify.com/intl-de/album/67v4gHJdnVWAn4erEtbuIc?uid=8ea14a6af49e240542fc&uri=spotify%3Atrack%3A1yhZ6yoULanCMHVk67F5tP 

 

Das Kyrie eröffnet in ruhiger Dreiteiligkeit. Der erste Abschnitt (Kyrie eleison) ist schlicht homophon gesetzt, die Linien fließen in gleichmäßiger Bewegung, getragen vom Orgelpunkt. Das Christe eleison steht in kontrastierender, lyrischer Gestaltung mit sanfter Mollfärbung, ehe das abschließende Kyrie wieder zur Festtonart zurückkehrt. Haydn schafft hier einen meditativen, ausgewogenen Anfang – ein stilles Gebet, das innere Sammlung an die Stelle äußerer Wirkung setzt.

Das Gloria entfaltet sich mit größerer rhythmischer Lebendigkeit. Der Chor beginnt homophon, doch bald öffnen sich die Stimmen in imitatorische Bewegung. Besonders das Gratias agimus tibi und Domine Deus zeigen Haydns Sinn für proportionale Gliederung. Der Abschnitt Cum Sancto Spiritu bildet den polyphonen Höhepunkt – eine kleine Fuge, prägnant, klar geführt, ohne Überladung, aber mit lehrhafter Präzision.

Das Credo ist formal der umfangreichste Teil. Haydn strukturiert den Text in drei symmetrische Abschnitte: Credo in unum Deum – Et incarnatus est – Et resurrexit. Das Et incarnatus est in c-Moll bildet das Zentrum: weich, chromatisch, mit subtiler Dynamik. Es zeigt den Komponisten als feinfühligen Ausdeuter theologischer Inhalte – Demut statt Pathos. Das Et resurrexit in C-Dur bringt neue Energie und Licht. Das Et vitam venturi saeculi schließt das Credo in einer kleinen, prägnanten Fuge, die sich in Haydns späteren Messen zu einem charakteristischen Stilmittel entwickeln sollte.

Das Sanctus eröffnet feierlich, in ruhigem Dreiertakt, mit weiten Klangräumen und reicher Harmonik. Das Pleni sunt caeli bewegt sich lebhafter, während das Hosanna in einer kurzen, hellen Fuge gipfelt. Das Benedictus steht im Kontrast: kantabel, fast kammermusikalisch, die Vokallinien schlicht, von sanfter Orgelbegleitung getragen. Das wiederholte Hosanna schließt in harmonischem Einklang.

Das Agnus Dei beginnt in zartem Pianissimo, mit ruhiger, flehender Geste. Haydn verwendet hier eine leicht chromatische Stimmführung, die die Bitte um Erbarmen eindrucksvoll unterstreicht. Das Dona nobis pacem bildet den Abschluss in fließendem Dreiertakt – ein stiller, friedvoller Ausklang, ohne äußere Pracht, aber voller innerer Balance.

Die Missa Sanctae Crucis ist somit ein Musterbeispiel für Haydns frühe Salzburger Kirchenmusik: formal geschlossen, textverständlich, von klarem liturgischem Sinn geprägt. Sie zeigt, dass Haydn bereits zu Beginn der 1760er Jahre die Ästhetik der Wiener Klassik vorwegnahm – durch proportionierte Satzstruktur, sparsame Mittel und in sich ruhende Klangsprache.

Sie steht am Übergang von den klein besetzten, noch barock gefärbten Werken wie der Missa Beatissimae Virginis Mariae (MH 15) zu den groß dimensionierten, orchestralen Messen der 1770er und 1780er Jahre. In ihrer inneren Ruhe und kompositorischen Geschlossenheit kündigt sie den Stil der späteren Missa Sancti Hieronymi (MH 254) oder der Missa Sancti Gotthardi (MH 530) bereits an.

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MH 56

Missa dolorum Beatae Virginis Mariae, a-Moll, MH 57 (MH 552)

Diese Messe gehört zu den eindrucksvollsten frühen Schöpfungen Michael Haydns. Sie entstand um 1756–1758, also während seiner Tätigkeit am Hof des Bischofs Adam Patachich (1716–1784) in Großwardein, und trägt den lateinischen Titel Missa dolorum Beatae Virginis Mariae – „Messe der Schmerzen der seligsten Jungfrau Maria“. Schon dieser Titel weist auf ihren besonderen Charakter hin: Es handelt sich nicht um eine festliche, sondern um eine meditative, fast kontemplative Komposition, die der Verehrung der Mater Dolorosa, der Schmerzensmutter, gewidmet ist.

Der ernste Grundton der a-Moll-Tonalität bestimmt das ganze Werk. Haydn verzichtet auf orchestralen Glanz und sucht stattdessen eine Ausdruckstiefe, die aus der Harmonik und der Linearität der Stimmen entsteht. Die Musik spricht von Schmerz, aber nicht von Verzweiflung; sie bewegt sich im Spannungsfeld zwischen barocker Affektsprache und der empfindsamen Innerlichkeit, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend an Gewicht gewann.

Kyrie. Der Eröffnungssatz steht ganz im Zeichen stiller Bitte und innerer Sammlung. Über einem ruhigen, fast unbewegten Bass entfalten die Stimmen kurze, flehende Motive. Das „Christe eleison“ hebt sich durch einen zarten Dialog der Oberstimmen ab, bevor das abschließende „Kyrie“ in gedämpfter Intensität zurückkehrt.

Gloria. Der Übergang ist bewusst schlicht gehalten. Statt triumphaler Festlichkeit wählt Haydn einen verhaltenen, fast pastoralen Duktus. Die kontrapunktischen Einsätze des „Laudamus te“ und „Gratias agimus tibi“ verraten den Einfluss seines Bruders Joseph, zugleich aber eine größere vokale Geschmeidigkeit. Der Satz endet mit einem ruhig gebeteten „Cum Sancto Spiritu“, das die Freude des Glaubens nicht in Jubel, sondern in Vertrauen verwandelt.

Credo. Dieser Satz zeigt Haydns kompositorische Disziplin in höchster Form. Die Anlage ist streng, beinahe litaneiartig. Beim „Et incarnatus est“ tritt die Musik in tiefes Piano zurück, die Harmonien werden schwebend, das Tempo verlangsamt sich. Die Kreuzigungsszene – „Crucifixus etiam pro nobis“ – erhält durch dissonante Vorhalte eine fast barocke Expressivität, die sich im abschließenden „Et resurrexit“ zu einem kurzen, leuchtenden Moment der Hoffnung wandelt.

Sanctus. Hier kehrt Haydn zu einer polyphonen Struktur zurück, die an Palestrina erinnert, ohne epigonal zu wirken. Die Stimmen verweben sich zu einem zarten Klangteppich, der das „Pleni sunt caeli“ wie einen leisen Chor von Engeln erscheinen lässt.

Benedictus. Dieser Satz bildet den lyrischen Mittelpunkt der Messe. Eine kleine Sopranlinie, von gedämpften Streichern begleitet, führt das „Benedictus qui venit“ mit fast kammermusikalischer Intimität ein. Das „Hosanna“ wird anschließend in zurückhaltender Fuge wiederaufgenommen.

Agnus Dei. Der Schluss der Messe ist ein Höhepunkt stiller Dramatik. Haydn lässt die Stimmen in einem sich steigernden Kanon flehen, bevor die Musik in einem langen „Dona nobis pacem“ zur Ruhe kommt. Kein Triumph, sondern ein mildes, resigniertes Licht beschließt das Werk – wie ein Gebet nach dem Schmerz.

Diese Messe, in ihren beiden Fassungen (MH 57 und MH 552), gehört zu den eindringlichsten Zeugnissen jener frühen Phase, in der Michael Haydn seine geistliche Sprache formte. Ihr Ausdruck ist nicht theatralisch, sondern echt religiös – getragen von Demut, klarem Formbewusstsein und einer tiefen Empfindsamkeit, die sie zu einem Schlüsselwerk seines Frühstils macht.

Erhalten ist die Partitur in Handschriften des 18. Jahrhunderts, unter anderem im Musikarchiv des Stiftes Göttweig und in der Österreichischen Nationalbibliothek (Mus.Hs. 16126). Eine allgemein zugängliche Aufnahme ist bislang nicht bekannt, doch zählt die Messe zu den bedeutenden liturgischen Werken des jungen Haydn, die eine Wiederentdeckung verdienen.

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MH 57

Trompetenkonzert Nr. 2 C-Dur MH 60 (Perger 34)

 

Das sogenannte „Clarino Concerto“ in C-Dur entstand 1763, kurz nachdem Michael Haydn seine Tätigkeit in Salzburg aufgenommen hatte. Das Autograph befindet sich im Benediktinerstift Göttweig. Im Perger-Verzeichnis wird das Werk ausdrücklich als Concerto per il Clarino bezeichnet – ein Hinweis auf die spezifische Klangästhetik und Virtuosität, die Haydn dem barocken Naturtrompetenspiel entlehnte, zugleich aber in den galanten Stil seiner Zeit überführte. Bis ins 20. Jahrhundert wurde das Werk fälschlich als Sinfonie geführt; erst der Trompeter und Musikwissenschaftler Edward H. Tarr (1936–2020) identifizierte es als Solokonzert und gab ihm den heute üblichen Titel Trompetenkonzert Nr. 2 in C-Dur, um es vom bekannteren D-Dur-Konzert MH 104 zu unterscheiden.

 

Die kompositorische Grundlage des Konzerts bildet Haydns eigenes Violinkonzert in G-Dur (MH 52), das er weitgehend in eine Trompetenfassung übertrug. Diese Überarbeitung ist keineswegs eine bloße Transkription: Haydn nutzte die Gelegenheit, um die charakteristische Brillanz und Strahlkraft der Clarino-Trompete auszuschöpfen und dabei die Möglichkeiten des Naturinstruments bis an ihre physischen Grenzen zu führen. Der Solopart verlangt ein außergewöhnliches Maß an Atemkontrolle, Flexibilität und Sicherheit im hohen Register. So erreicht die Trompete Töne, die weit über die Flötenstimmen hinausreichen – eine Seltenheit selbst im Repertoire des 18. Jahrhunderts.

 

Die Orchesterbesetzung besteht aus zwei Flöten, Streichern und Basso continuo, was eine helle, transparente Klangfarbe erzeugt, in der die Trompete wie ein funkelndes Oberlicht hervortritt. Die beiden Sätze sind ungleich, aber wirkungsvoll kontrastiert:

 

I. Adagio

Der erste Satz steht im charakteristischen Haydn’schen Cantabile-Stil und entfaltet einen fast vokalen Gesangston. Über einem ruhigen Streicherteppich spinnt die Solotrompete eine Linie von großer Eleganz und Ausdruckskraft. Der Satz wirkt wie ein feierlicher Einzug, von lyrischer Noblesse und klanglicher Reinheit geprägt. Trotz des Adagio-Tempos bleibt die Musik stets von innerer Spannung getragen; sie lebt von kleinen ornamentalen Gesten und einem diskreten Spiel zwischen Leuchten und Schweben.

 

II. Allegro molto

Im zweiten Satz bricht Haydn alle Zurückhaltung auf. Ein spritziges, tänzerisches Allegro entfacht den vollen Glanz des Clarino-Tons. Die Virtuosität des Solisten wird hier zur eigentlichen Formidee: schnelle Läufe, Sprünge, Triller und Passagen in schwindelnden Höhen schaffen eine fast akrobatische Brillanz. Die Trompete übernimmt den Part der Violine in einem barocken Concerto grosso, doch in einer neuen, klassisch ausbalancierten Syntax. Kurz vor dem Schluss eröffnet Haydn Raum für eine Kadenz, die in der von Edward H. Tarr herausgegebenen Fassung bis zu einem G über dem hohen C reicht – eine Extremhöhe, die selbst auf modernen Instrumenten nur selten realisierbar ist.

 

Im Kontext der Trompetenliteratur des 18. Jahrhunderts gilt dieses Konzert zu Recht als eines der schwierigsten überhaupt. Es markiert den Übergang vom barocken Naturtrompetenstil zur klassischen Solokonzertform und bleibt ein Prüfstein für Interpreten, die die Balance zwischen technischer Kühnheit und musikalischer Eleganz meistern wollen.

 

Eine der klanglich überzeugendsten Einspielungen bietet Franz Landlinger (Trompete) mit der Salzburger Hofmusik unter der Leitung von Wolfgang Brunner (1962). Die Aufnahme erschien 2014 bei cpo in der Reihe Michael Haydn – Complete Wind Concertos, Vol. 2 (Tracks 8 und 9). Sie verbindet historische Aufführungspraxis mit technischer Souveränität und lässt das selten gespielte Werk in seiner ganzen Leuchtkraft und Noblesse erklingen. Ahtung: auf der YouTube-Aufnahme der genannten CD ist das Trompetenkonzert irrtümlich als Nr. 1 bezeichnet, obwohl es sich tatsächlich um das Trompetenkonzert Nr. 2 in C-Dur, MH 60, handelt.

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=1v0tEDFkhcs&list=OLAK5uy_nlAwnObCM8oUJdlUd0q5LdTO3yPZU0noA&index=8 

 

Haydns Trompetenkonzert Nr. 2 in C-Dur steht damit exemplarisch für die Eleganz und Brillanz der Salzburger Jahre – ein funkelndes Kleinod zwischen barocker Tradition und klassischer Formklarheit, das seinem Schöpfer einen Platz unter den feinsten Instrumentalkomponisten des 18. Jahrhunderts sichert.

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MH 60

Sinfonie Nr. 7 in E-Dur (MH 65)

Die Sinfonie Nr. 7 in E-Dur (MH 65) gehört zu Michael Haydns frühen Salzburger Jahren und entstand wahrscheinlich um 1763 – 1765, also kurz nach seiner Berufung als Konzertmeister in den Dienst des Fürsterzbischofs Sigismund Graf von Schrattenbach (1698–1771). Sie zählt zu jenen Werken, in denen Haydn seine Sprache zwischen spätbarocker Formstrenge und dem sich abzeichnenden empfindsamen Stil ausbildet.

https://www.youtube.com/watch?v=Pg4EJobEygo 

 

Der erste Satz, Allegro molto, eröffnet mit einem markanten, aufwärtsstrebenden Thema in unisono geführten Violinen, das sofort Energie und Vorwärtsdrang erzeugt. Charakteristisch ist die Verwendung von Synkopen und plötzlichen dynamischen Akzenten, die eine lebhafte rhythmische Spannung aufbauen. Haydn arbeitet hier mit einer klar gegliederten Sonatenform, deren Durchführung durch harmonische Kühnheit und kontrapunktische Verdichtung überrascht.

 

Das Andante in A-Dur bringt einen deutlichen Stimmungswechsel. Über einem ruhig schreitenden Bass entfaltet sich eine weitgespannte Kantilene der Violinen, gelegentlich von Bläserakkorden gestützt. Die Transparenz der Textur und der ausgewogene Dialog zwischen Ober- und Unterstimmen zeigen bereits die Reife des Salzburger Kirchenkomponisten, der auch im rein instrumentalen Satz auf vokale Ausdrucksqualität achtet.

 

Das abschließende Presto ist von tänzerischem, beinahe volkstümlichem Charakter. Hier zeigt sich die Nähe zur Wiener Frühklassik: klare Periodik, lebendige Wechsel von Haupt- und Nebenthema, dazu humorvolle, manchmal überraschende harmonische Wendungen. Besonders auffällig ist das Spiel mit Echo-Effekten, das dem Satz eine heitere Leichtigkeit verleiht.

 

Die Sinfonie Nr. 7 steht innerhalb von Haydns Werk für einen Übergang: Sie verbindet den noch barocken Satztypus mit der neuen klassisch-sinfonischen Logik, die in den 1770er-Jahren zur vollen Entfaltung kam. Ihr Ton ist hell, optimistisch und geprägt von jener handwerklichen Klarheit, die Michael Haydn von seinem Bruder Joseph unterscheidet, aber in denselben geistigen Horizont stellt.

 

Empfohlene Aufnahme

 

Johann Michael Haydn – Symphonies Nos. 5–8

Slovak Chamber Orchestra unter der Leitung von Bohdan Warchal (1930–2000)

Aufnahme: 1991, Bratislava, Slowakei

Label: Naxos / Brilliant Classics

 

Diese Einspielung überzeugt durch schlanken Streicherklang, präzise Artikulation und ein natürliches, unverfälschtes Klangbild. Bohdan Warchal, selbst Geiger und langjähriger Konzertmeister des Slowakischen Kammerorchesters, betont den leichten, tänzerischen Charakter und die klare Gliederung der Form, wodurch die jugendliche Frische dieser frühen Haydn-Sinfonien eindrucksvoll zur Geltung kommt.

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MH 65

Streichquartett B-Dur, MH 308 (P. 124)

 

Entstanden vermutlich um 1773 während Michael Haydns ersten Salzburger Jahre. Ein dreisätziges, klar disponiertes Quartett mit kammermusikalischer Ausgewogenheit. Das Andante commodo entfaltet einen mild fließenden, gesanglichen Ton, das Menuett bleibt elegant und unaufdringlich, das Rondo. Allegro bringt eine leichte, tänzerische Schlussgeste mit prägnanter Themenbildung.

 

CD Michael Haydn Six String Quartets, Constanze Quartet, cpo 2024, Tracks 1 bis 3:

https://www.youtube.com/watch?v=ll7RaYS-wY0&list=OLAK5uy_m4xeXrkPx3K6uF2jljZlsKDzJKvb-Nizc&index=2 

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MH 308

Streichquartett Es-Dur, MH 309 (P. 118)

 

Komponiert um 1774, wahrscheinlich im Auftrag des Salzburger Hofes. Die langsame Eröffnung betont den kantablen, warmen Es-Dur-Klang und gibt den Mittelstimmen viel Raum. Das Menuett ist klar gebaut, ohne derbe Zuspitzung, und das Allegretto schließt mit bewegter, aber kontrollierter Lebendigkeit. Das Finale – Allegretto – mit deutlicher Sonatenrondostruktur – spiegelt den Einfluss Joseph Haydns, bleibt aber in der melodischen Linienführung weicher und lyrischer.

 

CD Michael Haydn Six String Quartets, Constanze Quartet, cpo 2024, Tracks 4 bis 6:

https://www.youtube.com/watch?v=MyKlpHz4vNw&list=OLAK5uy_m4xeXrkPx3K6uF2jljZlsKDzJKvb-Nizc&index=4

 

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MH 309

Streichquartett A-Dur, MH 310 (P. 122)

 

Ebenfalls um 1774 entstanden. Wahrscheinlich war dieses Werk, wie mehrere Quartette des Zyklus, für Erzbischof Hieronymus von Colloredo (1732–1812) bestimmt, dessen Hofkapellmeister Michael Haydn seit 1763 war. Ein helles, höfisches Quartett mit ruhigem Andante als Ausgangspunkt. Das Menuetto alla Francese betont den galanten Charakter mit fein akzentuierter Rhythmik, das Rondo bündelt die Elemente zu einem leichten, spielerischen Finale.

 

CD Michael Haydn Six String Quartets, Constanze Quartet, cpo 2024, Tracks 7 bis 9:

 

https://www.youtube.com/watch?v=UkHId1TcL9M&list=OLAK5uy_m4xeXrkPx3K6uF2jljZlsKDzJKvb-Nizc&index=7 

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MH 310

Streichquartett g-Moll, MH 311 (P. 120)

 

Entstanden vermutlich um 1774/75. Es ist das einzige Mollquartett Michael Haydns und fällt durch seine emotionale Dichte und den herben Klang auf. Der Kopfsatz (Menuetto variazioni. Un poco allegro) wirkt gespannt und von Chromatik und motivischer Verdichtung geprägt, ohne opernhafte Geste. Das Andante grazioso bleibt zurückgenommen und introvertiert, das Menuetto mit Variationen nutzt ein tänzerisches Modell als Rahmen für feine Stimmverteilungen und kleine Charakterwechsel. Ausdrucksstark, aber klar innerhalb der klassisch-kammermusikalischen Sprache; keine gesicherte „Anlass“-Deutung.

 

Dieses Werk ist kein Ausdruck liturgischer Frömmigkeit, sondern ein Beispiel empfindsamer, introspektiver Kammermusik – eine leise, aber tief bewegende Stimme innerhalb Haydns Quartettproduktion.

 

CD Michael Haydn Six String Quartets, Constanze Quartet, cpo 2024, Tracks 10 bis 12:

https://www.youtube.com/watch?v=ejATHgmkAH8&list=OLAK5uy_m4xeXrkPx3K6uF2jljZlsKDzJKvb-Nizc&index=10 

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MH 311

Streichquartett F-Dur, MH 312 (P. 119)

 

Satzfolge: I. Allegro moderato – II. Menuetto – III. Adagio – IV. Finale. Allegro.

 

Ein viersätziges, formal ausgewogeneres Quartett. Das Allegro moderato verbindet motivische Arbeit mit freundlichem Grundton, das Menuett bleibt transparent und unpathetisch. Das Adagio bildet den lyrischen Mittelpunkt mit ruhiger, gesanglicher Linie; das Finale. Allegro führt das Material mit lebendigem, aber nicht aggressivem Antrieb zu einem klaren Schluss.

 

CD Michael Haydn Six String Quartets, Constanze Quartet, cpo 2024, Tracks 13 bis 16:

https://www.youtube.com/watch?v=j1313HTOmiM&list=OLAK5uy_m4xeXrkPx3K6uF2jljZlsKDzJKvb-Nizc&index=13

 

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MH 312

Streichquartett C-Dur, MH 313 (P. 116)

 

Ein dreisätziges Werk mit leicht vorwärtsdrängendem Kopfsatz (Andante un poco allegro), der thematische Klarheit und dialogische Führung verbindet. Das Menuetto un poco allegro bleibt höfisch-prägnant, das Finale. Allegro fasst die Charakteristik der Quartette in kompakter Form zusammen: klare Periodik, durchsichtige Textur, kontrollierte Energie.

 

CD Michael Haydn Six String Quartets, Constanze Quartet, cpo 2024, Tracks 17 bis 19:

https://www.youtube.com/watch?v=FczRMadZPHQ&list=OLAK5uy_m4xeXrkPx3K6uF2jljZlsKDzJKvb-Nizc&index=17

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MH 313

Ouvertüre zu Rebekka als Braut, MH 76

 

Die Ouvertüre zu Rebekka als Braut (MH 76) gehört zu den selten aufgeführten Bühnenmusiken Johann Michael Haydns und entstand um 1766 in Salzburg, vermutlich im Umfeld des fürsterzbischöflichen Hoftheaters oder im Kontext des traditionsreichen Salzburger Schuldramas, das damals von Jesuiten und später vom Benediktinerstift St. Peter gepflegt wurde. Der zugrunde liegende Stoff – die aus Genesis 24 bekannte Geschichte der Rebekka, die durch göttliche Fügung zur Braut Isaaks wird – war im 18. Jahrhundert ein beliebtes moralisch-erzieherisches Thema. Er verband biblische Legitimität mit der Darstellung exemplarischer Tugenden wie Reinheit, Demut, Gehorsam und Gastfreundschaft. Damit erfüllte er alle Kriterien für ein geistliches Schauspiel im katholischen Salzburg, wo Dramen mit biblischem Sujet häufig zu kirchlichen Festen, Aufführungen in Ordensschulen und höfischen Gelegenheitsanlässen genutzt wurden.

 

https://www.youtube.com/watch?v=I7LjhScuhB4

Die Musik selbst ist als eigenständige Orchesterouvertüre erhalten und zeigt die typische dreiteilige Struktur einer klassischen Konzertouvertüre mit den Abschnitten Allegro – Andante – Allegro. Der eröffnende Allegro-Satz in C-Dur beginnt mit prägnanten Unisono-Passagen der Violinen, kräftigen Tutti-Akkorden und fanfarenartigen Motiven, die eine festliche, beinahe repräsentative Grundhaltung vermitteln. Haydn entwirft hier einen Klangraum, der die Würde des biblischen Stoffes widerspiegelt: ein musikalisches Bild für die göttliche Vorsehung, die die Begegnung zwischen Elieser und Rebekka lenkt. Die Verarbeitung des thematischen Materials, die klare Gliederung und die überraschend ausdrucksstarke Durchführung zeigen einen Komponisten, der den Übergang von spätbarocker Formstrenge zur frühen klassischen Syntax souverän beherrscht.

 

Im folgenden Andante – einem lyrisch gefassten Abschnitt in empfindsamem Stil – entfaltet Haydn eine weit gespannte, gesangliche Melodieführung, die von den Streichern getragen und gelegentlich durch Oboen und Hörner koloriert wird. Der Satz besitzt einen kontemplativen, beinahe pastoralen Charakter. Die klare Linienführung und der ruhige, atmende Aufbau lassen deutlich erkennen, dass Haydn auch im rein instrumentalen Satz jene vokale Prägung pflegt, die seine Salzburger Kirchenmusik später kennzeichnen sollte. Die Atmosphäre wirkt gesammelt, innerlich, frei von opernhafter Rhetorik – ein Stilmerkmal, das Michael Haydn von vielen seiner Zeitgenossen deutlich unterscheidet.

 

Das abschließende Allegro nimmt die Energie des Beginns wieder auf, jedoch mit einem deutlich leichteren, tänzerisch bewegten Charakter. Der Satz ist klar als Sonatenform erkennbar, mit einem hellen Hauptthema, einem kontrastierenden Seitengedanken und einer kleinteiligen Durchführung, in der Haydn die Motive in raschem Wechsel aufeinander bezieht. Besonders auffällig sind die Echo-Wirkungen zwischen den Streichern und den Bläsern sowie die kontrapunktisch belebten Begleitfiguren. Das Finale besitzt eine innere Frische und heitere Beweglichkeit, die den säkularen, bühnenbezogenen Charakter der Ouvertüre betont, ohne die geistliche Gravität des Sujets völlig zu verlassen.

 

Die Ouvertüre zu Rebekka als Braut steht damit an einer Übergangsstelle innerhalb von Michael Haydns Schaffen. Einerseits bewahrt sie die festliche Geste der barocken Kirchen- und Theatermusik, andererseits zeigt sie bereits die strukturelle Klarheit und Formlogik der Wiener Klassik. Sie dokumentiert eindrucksvoll Haydns Fähigkeit, dramatische Situationen ohne Worte musikalisch zu gestalten, und sie belegt gleichzeitig seine enge stilistische Verbindung zu den Salzburger kirchenmusikalischen Traditionen, die sein späteres Werk prägen sollten.

 

Eine überzeugende moderne Einspielung bietet das Slowakische Kammerorchester unter der Leitung von Bohdan Warchal (1930–2000), aufgenommen 1991 in Bratislava und veröffentlicht bei Naxos bzw. Brilliant Classics. Warchal zeichnet die formale Klarheit der Komposition präzise nach, betont den schlanken, durchhörbaren Orchesterklang und vermeidet jede übermäßige romantische Gewichtung. Dadurch tritt die klassische Balance zwischen Festlichkeit, Ausdruck und struktureller Geschlossenheit sehr deutlich hervor.

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MH 76

Der Traum, MH 84

 

Michael Haydn komponierte Der Traum (MH 84) am 7. Februar 1767 in Salzburg als höfisches Bühnenwerk, das zwischen Serenata, allegorischem Singspiel und Ballett angesiedelt ist. Es gehört zu jenen Gelegenheitskompositionen, in denen Haydn seine besondere Begabung zeigt, dramatische Situationen, Affekte und Charaktere mit knapper, präziser musikalischer Sprache zu gestalten, ohne den repräsentativen Rahmen des Salzburger Hofes zu verlassen. Der Titel ist dabei wörtlich zu nehmen: Der Traum folgt keiner realistischen Handlung, sondern entfaltet sich als allegorische Traumvision, wie sie im 18. Jahrhundert vor allem in höfischen Festmusiken geschätzt wurde.

 

Das Werk ist in zwei Akte gegliedert und verzichtet bewusst auf eine durchgehende opernhafte Handlung. Stattdessen begegnen sich symbolische Figuren, die weniger als dramatische Personen denn als Träger innerer Zustände erscheinen. Im Mittelpunkt steht die Prinzessin Amaryllis, deren Traum sie durch wechselnde seelische Situationen führt: Bedrohung, Empörung, Verwirrung, Sehnsucht, Erkenntnis und schließlich innere Ordnung. Musik wird hier zum eigentlichen Träger des Geschehens – nicht als Illustration äußerer Ereignisse, sondern als Ausdruck eines inneren Weges.

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=4L9C9wC7MNE 

 

Der erste Akt eröffnet mit einer festlichen Entrada (Allegro assai), die zunächst Glanz und Selbstgewissheit ausstrahlt. Doch diese Stabilität ist trügerisch. Bereits die folgenden Allegro-Sätze, scharf artikuliert und rhythmisch zugespitzt, lassen Unruhe entstehen. Ein empfindsames Andante wirkt wie ein erstes Innehalten, ein Moment des Zweifelns innerhalb des Traums. Michael Haydn arbeitet hier mit raschen Kontrasten, die weniger dramatische Aktion als vielmehr das Schwanken innerer Zustände hörbar machen.

 

Der emotionale Kern des ersten Akts liegt im **Accompagnato der Prinzessin („Carnefice empio“) und der anschließenden Arie („Andate perfido“). Amaryllis fühlt sich verfolgt und bedrängt, doch der Gegner bleibt unbestimmt. Die Bedrohung ist innerlich, nicht konkret. Das Orchester beteiligt sich aktiv an der Affektdarstellung, steigert Erregung und Empörung und macht deutlich, dass es hier um einen seelischen Konflikt geht. Die Arie ist ein Akt der Abwehr, ein Versuch, sich gegen das Zerstörerische zu behaupten.

 

Demgegenüber steht die grotesk-komische Figur Vitzle Putzle, deren Auftritt mit der Marcia turchesca und der Arie „Gil Ay hauta Kul“ eine bewusst verfremdete, exotische Klangwelt eröffnet. Das „Türkische“ dient hier nicht realistischer Charakterzeichnung, sondern ironischer Brechung. Bedrohliches kippt ins Lächerliche, Ernst in Karikatur – ein typischer Zug der Traumlogik. Die abschließende Marcia des ersten Akts wirkt weniger wie ein Abschluss als wie ein abruptes Weitergleiten des Traums.

 

Der zweite Akt intensiviert diese innere Dramaturgie. Die Entrada (Allegro molto) stößt das Geschehen erneut an und führt in eine Folge von Sätzen, deren rasche Wechsel zwischen Allegro, Andante und Presto ein inneres Schwanken zwischen Erregung und Beruhigung widerspiegeln. Besonders das Presto furioso markiert einen Höhepunkt der Unruhe: Die Musik ist scharf konturiert, vorwärtsdrängend, beinahe stürmisch – ein Moment seelischer Überforderung, bevor das Geschehen wieder zur Ruhe findet.

 

Einen Wendepunkt bildet die Canzone pastorale „O Amaryllis!“, gesungen von Damon und der Prinzessin. Damon ist keine realistische Bühnenfigur, sondern eine idealisierte Gegenkraft: Er steht für Maß, Natürlichkeit und innere Harmonie. Die pastorale Klangsprache, getragen von sanglichen Linien und transparenter Instrumentation, evoziert eine arkadische Welt – einen Traum im Traum, in dem sich Ordnung und Ausgleich ankündigen.

 

Mit dem Auftreten Merkurs erhält das Geschehen schließlich eine deutende Instanz. Als Götterbote und Allegorie der Vernunft spricht er im Rezitativ „Quid fugis insani“ den Menschen an, der vor Einsicht flieht. In der Arie „Ars illa palma“ formuliert er das aufklärerische Zentrum des Werkes: Wahre Größe, wahre Kunst und wahre Ruhe entstehen aus Erkenntnis und Selbstbeherrschung. Merkur benennt, was zuvor nur gefühlt wurde, und gibt dem Traum eine gedankliche Ordnung.

 

Der Ballo finale bündelt alle zuvor eingeführten Elemente noch einmal in tänzerischer Form. Sprache tritt zurück, Bewegung übernimmt die Funktion des Ausdrucks. Der Traum löst sich nicht durch dramatischen Sieg oder Strafe auf, sondern durch Harmonie. Ordnung wird nicht erzwungen, sondern wiedergefunden.

 

In der vorliegenden Einspielung gestalten Christiane Boesiger (Sopran, Prinzessin Amaryllis), Robert Holl (Bass, Vitzle Putzle und Damon) und Markus Forster (Countertenor, Merkur) ihre Rollen mit stilistischer Klarheit und deutlicher Textartikulation. Die Salzburger Hofmusik unter der Leitung von Wolfgang Brunner (* 1958) musiziert auf historischen Instrumenten mit feinem Gespür für Affekt, Dynamik und Agogik. So wird Der Traum als das erfahrbar, was er ist: ein eigenständiges, subtil konzipiertes Bühnenwerk Michael Haydns, in dem Musik nicht Handlung illustriert, sondern selbst zum Ort des Geschehens wird.

 

CD-Vorschlag

 

Michael Haydn, Der Traum, Salzburger Hofmusik, Wolfgang Brunner, CPO, 2002:

https://www.youtube.com/watch?v=jkvaLWEt0b4&list=OLAK5uy_nXwFlFZzf_bsjmLxB_NSP58djHK_fXH88&index=2 

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MH 84

Missa Sancti Raphaelis, MH 87

Michael Haydn komponierte die Missa Sancti Raphaelis (MH 87) als festliche Messvertonung für den Salzburger liturgischen Gebrauch. Das Werk gehört zu jener Gruppe von Messen, in denen Michael Haydn seine besondere Fähigkeit entfaltet, feierliche Repräsentation, liturgische Zweckmäßigkeit und musikalische Verdichtung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Messe ist nicht auf äußeren Effekt angelegt, sondern auf klare Textverständlichkeit, geistliche Sammlung und leuchtende Festlichkeit, wie sie für die Salzburger Kirchenmusik der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts charakteristisch ist.

https://www.youtube.com/watch?v=FmsaDcxSJw4 

 

Das Kyrie eröffnet die Messe mit ruhiger Eindringlichkeit. Haydn vermeidet jede Überladenheit und formt aus dem dreiteiligen Text eine ausgewogene musikalische Bitte, deren feierlicher Ernst von lyrischer Milde getragen wird. Der Ton ist gesammelt und würdevoll, ohne schwer zu wirken; bereits hier zeigt sich Haydns Sinn für liturgische Angemessenheit und für die Balance zwischen Chor und Instrumenten.

 

Im Gloria weitet sich der musikalische Raum deutlich. Die Musik gewinnt an Bewegung und Glanz, ohne den Textfluss zu zersplittern. Michael Haydn strukturiert das Gloria in klar abgesetzte Abschnitte, die dem theologischen Aufbau des Textes folgen. Jubel und Lobpreis stehen im Vordergrund, doch immer bleibt die Linienführung übersichtlich und der Chorsatz durchsichtig. Besonders charakteristisch ist die Verbindung von feierlichem Schwung und kontrollierter Form, die das Gloria zugleich festlich und konzentriert wirken lässt.

 

Das Credo bildet das architektonische Zentrum der Messe. Haydn gestaltet das umfangreiche Glaubensbekenntnis mit großer formaler Übersicht, indem er zentrale Aussagen musikalisch hervorhebt, ohne den Fluss des Ganzen zu unterbrechen. Die Vertonung vermeidet dramatische Zuspitzung zugunsten einer ruhigen, überzeugenden Bekräftigung des Textes. Gerade diese Zurückhaltung verleiht dem Credo seine innere Kraft und seine liturgische Würde.

 

Im Sanctus verdichtet sich der Ausdruck erneut. Die Musik hebt sich gleichsam vom Boden der Messe ab und öffnet einen klanglichen Raum des Erhabenen. Das folgende Benedictus wirkt demgegenüber intimer und kantabler. Hier tritt der dialogische Charakter zwischen Solisten und Ensemble stärker hervor; die Musik scheint den Blick vom himmlischen Lobpreis zurück auf die menschliche Andacht zu lenken.

 

Das Agnus Dei beschließt die Messe mit einer Haltung stiller Bitte und innerer Sammlung. Michael Haydn verbindet hier Demut und Zuversicht in einer schlichten, aber eindringlichen musikalischen Sprache. Der Schluss verzichtet auf äußerlichen Glanz und setzt stattdessen auf ruhige Geschlossenheit – ein bewusster Rückzug in die geistliche Essenz des Messetextes.

 

In der überlieferten Aufführung zum Hochamt am Ostersonntag, dem 5. April 2015, gestalten Vokalsolisten und das Ensemble Wieden unter der Leitung von Ricardo Alejandro Luna (* 1970), der zugleich als Dirigent und Kantor wirkt, diese Messe mit liturgischem Ernst und stilistischer Klarheit. Die Interpretation stellt nicht den konzertanten Effekt in den Vordergrund, sondern versteht die Missa Sancti Raphaelis als das, was sie ist: gelebte Kirchenmusik, deren Stärke aus Maß, Ausgewogenheit und innerer Leuchtkraft erwächst. Gerade in dieser zurückhaltenden, konzentrierten Haltung wird Michael Haydn als eigenständiger Meister der sakralen Musik des 18. Jahrhunderts erfahrbar.

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MH 87

Trompetenkonzert D-Dur, MH 104

Michael Haydns Trompetenkonzert D-Dur (MH 104) gehört zu den repräsentativsten Instrumentalwerken seines Schaffens und steht exemplarisch für die festliche Klangkultur des Salzburger Hofes in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Das Konzert ist ganz auf die Naturtrompete in D zugeschnitten und nutzt deren strahlende, signalhafte Klangfarbe mit großer stilistischer Sicherheit. Virtuosität dient hier nicht dem Selbstzweck, sondern ist stets in eine klare, ausgewogene Form eingebettet.

 

Das Trompetenkonzert D-Dur ist in seiner Überlieferung nicht einheitlich. Der ursprüngliche Kern des Werks besteht aus zwei Sätzen Adagio und Allegro, wie er in mehreren historisch informierten Aufführungen überliefert ist. In späteren Fassungen erscheint das Konzert erweitert, mit abweichender Tempobezeichnung des Kopfsatzes Andantino sowie einem hinzugefügten Menuett als Finalsatz.

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=KVl03AJyjNs 

 

Der erste Satz eröffnet mit selbstbewusster Festlichkeit. Die Trompete tritt nicht als bloßer Effektträger auf, sondern wird in einen lebendigen Dialog mit dem Orchester eingebunden. Fanfarenartige Motive, klare Tonrepetitionen und weite Intervallsprünge prägen das Solopart, während das Orchester eine stabile, harmonisch transparente Grundlage schafft. Michael Haydn zeigt hier ein feines Gespür für Proportionen: Glanz und Struktur halten sich die Waage, der Satz wirkt energisch, aber nie überladen.

 

Der langsamen Mittelsatz bildet einen deutlichen Kontrast. Er gehört zu den eindrucksvollsten Momenten des Konzerts, da Haydn es versteht, der naturtrompetentypischen Klangbegrenzung eine überraschende Kantabilität abzugewinnen. Die Melodik ist ruhig, weit gespannt und von innerer Ruhe getragen. Anstelle virtuoser Brillanz tritt hier ein fast kontemplativer Ton, der die Trompete als gesangliches Instrument erfahrbar macht und dem Satz eine unerwartete Tiefe verleiht.

 

Der Finalsatz kehrt zur festlichen Grundhaltung zurück. Rhythmische Prägnanz, tänzerische Energie und klare Periodik bestimmen den Charakter. Die Trompete entfaltet noch einmal ihre ganze Strahlkraft, ohne die formale Geschlossenheit zu gefährden. Besonders auffällig ist die elegante Leichtigkeit, mit der Michael Haydn das Werk beschließt: Das Finale wirkt nicht triumphierend im pompösen Sinn, sondern heiter, souverän und von natürlicher Spielfreude geprägt.

 

Das Trompetenkonzert D-Dur zeigt Michael Haydn als einen Komponisten, der die idiomatischen Möglichkeiten seines Instruments genau kennt und zugleich über ein ausgeprägtes Gespür für musikalische Balance verfügt. Im Vergleich zu den bekannteren Konzerten seines Bruders Joseph Haydn oder späterer Werke der Wiener Klassik wirkt dieses Konzert weniger dramatisch zugespitzt, dafür umso geschlossener und stilistisch klar. Gerade diese Verbindung aus Festlichkeit, Maß und innerer Ruhe macht das Werk zu einem charakteristischen und hörenswerten Beitrag zur Trompetenliteratur des 18. Jahrhunderts.

 

CD-Vorschlag

 

Michael Haydn, Complete Wind Concertos, Vol. 1, Salzburger Hofmusik, Leitung Wolfgang Brunner (* 1958), Trompete Norbert Salvenmoser, CPO, 2014, Tracks 6 und 7:

https://www.youtube.com/watch?v=_xbOIIeCtA8&list=OLAK5uy_kdoqUDCdYE6_zeloGY0fW6I-j4zjovmJ8&index=6 

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MH 104

Missa Sancti Nicolai Tolentini, MH 109

Michael Haydns Missa Sancti Nicolai Tolentini (MH 109) gehört zu den eindrucksvollen Salzburger Messvertonungen, in denen sich seine besondere Stellung innerhalb der süddeutsch-österreichischen Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts exemplarisch zeigt. Das Werk ist dem heiligen Nikolaus von Tolentino († 1305) gewidmet, einem Augustiner-Eremiten, dessen Verehrung im katholischen Raum eng mit Fürbitte, Bußgesinnung und Hoffnung auf Erlösung verbunden war. Diese geistige Ausrichtung spiegelt sich deutlich im musikalischen Charakter der Messe wider.

 

Die Messe, komponiert 1768, ist festlich angelegt, ohne ins Monumentale zu streben. Michael Haydn verfolgt hier konsequent ein Ideal der liturgischen Angemessenheit, das sich aus Klarheit der Form, Textverständlichkeit und ausgewogener Affektdarstellung speist. Der geistliche Gehalt steht stets über äußerer Virtuosität; musikalischer Glanz dient der Verherrlichung des Textes, nicht dem Selbstzweck.

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=ta3kZsNy2cE 

 

Das Kyrie eröffnet die Messe mit gesammelt-ernster Haltung. Die Bitte um Erbarmen ist nicht dramatisch zugespitzt, sondern von ruhiger Eindringlichkeit getragen. Michael Haydn bevorzugt eine klare motivische Arbeit und eine ausgewogene Balance zwischen Chor und Instrumenten, wodurch sich bereits hier eine Atmosphäre konzentrierter Andacht einstellt.

 

Im Gloria hellt sich der Klangraum deutlich auf. Der Jubel des Textes wird durch bewegtere Rhythmen und eine lebendige Satztechnik getragen, ohne die innere Geschlossenheit zu verlieren. Charakteristisch ist die sorgfältige Gliederung der einzelnen Textabschnitte, die dem liturgischen Ablauf folgt und dem Hörer Orientierung gibt. Festlichkeit entsteht hier aus Struktur und Transparenz, nicht aus Übersteigerung.

 

Das Credo bildet das formale und geistige Zentrum der Messe. Michael Haydn gestaltet das umfangreiche Glaubensbekenntnis mit bemerkenswerter Übersicht. Zentrale Glaubensaussagen werden musikalisch markiert, ohne den Fluss des Ganzen zu hemmen. Die Vertonung vermeidet theatralische Effekte und gewinnt gerade daraus ihre Überzeugungskraft: Der Glaube wird nicht dramatisiert, sondern bekräftigt.

 

Im Sanctus verdichtet sich der Ausdruck erneut. Die Musik hebt sich gleichsam über das zuvor Erzählende hinaus und entfaltet einen feierlich-erhabenen Klang. Das anschließende Benedictus ist meist kantabler und intimer gehalten. Hier zeigt sich Michael Haydns feines Gespür für Kontraste innerhalb der Liturgie: Nach dem jubelnden Lobpreis folgt eine Musik der inneren Sammlung.

 

Das Agnus Dei beschließt die Messe mit ruhiger Demut. Die Bitte um Frieden wird nicht pathetisch gesteigert, sondern in eine schlichte, geschlossene musikalische Form gegossen. Dieser bewusste Verzicht auf äußerlichen Effekt verleiht dem Schluss eine besondere Eindringlichkeit und rundet das Werk geistlich wie musikalisch ab.

 

Die Missa Sancti Nicolai Tolentini zeigt Michael Haydn als einen Komponisten, der die liturgische Funktion der Messe stets mitdenkt und dennoch eine unverwechselbare persönliche Tonsprache entwickelt. Das Werk steht exemplarisch für jene Salzburger Kirchenmusik, die nicht auf dramatische Überwältigung zielt, sondern auf innere Leuchtkraft, Maß und geistige Tiefe. Gerade in dieser Verbindung von Zurückhaltung und Ausdrucksstärke erweist sich Michael Haydn als einer der bedeutendsten, lange unterschätzten Meister der sakralen Musik seiner Zeit.

 

CD-Vorschlag

 

Michael Haydn, Missa Sancti Nicolai Tolentini und Vesperae Pro Festo Sancti Innocentium,  St. Albans Cathedral Girls Choir, Leitung Tom Winpenny (* 1983), Naxos, 2020, Tracks 1 bis 12:

https://www.youtube.com/watch?v=Huirkg4sElg&list=OLAK5uy_kBrCoo-T9hqByU6ArjvOqug5BcHUsNMJE&index=1 

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MH 109

Missa Sancti Francisci Seraphici, MH 119 (Ib)

Michael Haydns Missa Sancti Francisci Seraphici gehört zu den repräsentativen Messvertonungen seines Salzburger Schaffens und ist dem heiligen Franz von Assisi († 1226) gewidmet, dem Ordensgründer der Franziskaner, dessen geistiges Ideal von Demut, innerer Sammlung und geistlicher Klarheit geprägt ist. Diese Ausrichtung spiegelt sich deutlich im Charakter der Messe wider. Das Werk wird im traditionellen Werkverzeichnis als MH 119 (Ib) geführt; in der erweiterten, quellenkritischen Zählung erscheint es zusätzlich unter MH 826. Beide Nummern bezeichnen dasselbe Werk und verweisen auf unterschiedliche Ordnungsstufen innerhalb der Michael-Haydn-Katalogisierung.

 

Die Messe entstand in Salzburg, wo Michael Haydn seit 1763 als Hofkomponist wirkte. Eine exakte Datierung ist nicht eindeutig überliefert; eine Entstehung um 1756 ist nicht belegt und gilt als unwahrscheinlich. Stilistische und quellenkundliche Kriterien erlauben jedoch eine Einordnung in die 1770er Jahre, also in jene Phase, in der Haydn seine reife, ausgewogene Sakralsprache voll ausgeprägt hatte. Die Komposition steht damit in unmittelbarer Nähe zu seinen bedeutendsten Messschöpfungen dieser Zeit.

https://www.youtube.com/watch?v=iV4PamtdAp4 

 

Das Kyrie eröffnet die Messe mit ruhiger Würde und bewusst zurückgenommener Eindringlichkeit. Michael Haydn vermeidet dramatische Zuspitzung und gestaltet die Bitte um Erbarmen als gesammelt-ernste Anrufung. Die musikalische Faktur ist klar gegliedert, der Chorsatz durchsichtig, das Verhältnis von Stimmen und Instrumenten sorgfältig ausbalanciert. Bereits hier zeigt sich Haydns Ideal einer Liturgie, die durch Maß und Konzentration wirkt.

 

Im Gloria erweitert sich der Ausdruck zu festlicher Bewegung. Der Jubel des Textes wird durch lebendige Rhythmik und klare formale Gliederung getragen, ohne in Überfülle oder theatralische Effekte auszuweichen. Michael Haydn folgt dem theologischen Aufbau des Textes mit großer Sorgfalt und sorgt dafür, dass der musikalische Fluss jederzeit verständlich bleibt. Festlichkeit entsteht hier aus Struktur und Ordnung, nicht aus äußerem Prunk.

 

Das Credo bildet das geistige und architektonische Zentrum der Messe. Haydn bewältigt den umfangreichen Text mit bemerkenswerter Übersicht und innerer Geschlossenheit. Zentrale Glaubensaussagen werden musikalisch markiert, ohne den Zusammenhang des Ganzen zu stören. Der Ton bleibt bekräftigend und ruhig, getragen von einer Musik, die weniger überzeugen will als vielmehr bekennt.

 

Im Sanctus verdichtet sich der Klang zu feierlicher Erhabenheit. Die Musik hebt sich spürbar vom Vorhergehenden ab und öffnet einen Raum des Lobpreises. Das folgende Benedictus ist demgegenüber kantabler und intimer gehalten; es wirkt wie eine Rückwendung zur inneren Andacht nach dem großen, gemeinschaftlichen Ausruf des Sanctus.

 

Das Agnus Dei beschließt die Messe in ruhiger, konzentrierter Haltung. Die Bitte um Frieden ist von schlichter Eindringlichkeit geprägt und verzichtet bewusst auf spektakuläre Schlusseffekte. Gerade diese Zurücknahme verleiht dem Abschluss seine besondere geistliche Tiefe und rundet das Werk in geschlossener Form ab.

 

Die Missa Sancti Francisci Seraphici (MH 119 / MH 826) zeigt Michael Haydn als einen Komponisten, der liturgische Funktion, geistlichen Gehalt und musikalische Kunst in ein ausgewogenes Verhältnis bringt. Sie steht exemplarisch für jene Salzburger Kirchenmusik des späten 18. Jahrhunderts, die nicht überwältigen, sondern durch Klarheit, Maß und innere Leuchtkraft überzeugen will – und bestätigt Michael Haydns Rang als einen der eigenständigsten und substanzreichsten Meister der katholischen Sakralmusik seiner Zeit.

 

CD-Vorschlag

 

Michael Haydn Collection, Vol. 2, Missa sub titulo sancti Francisci Seraphici, MH 826, Hungarian Radio and Television Chorus und Liszt Ferenc Chamber Orchestra, Leitung Helmuth Rilling (* 1933), Brilliant Classics, 2019, Tracks 68 bis 78:

 

https://www.youtube.com/watch?v=utQpjC6-0HA&list=OLAK5uy_kk8oaKlMpEBwL1gyJZCTb1U4PukJEiHVo&index=68

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MH 119 (Ib)

Sinfonie Nr. 13 in D-Dur, MH 132

 

Die Sinfonie Nr. 13 in D-Dur (MH 132) gehört zu jenen Orchesterwerken, in denen sich seine eigenständige symphonische Handschrift besonders klar zeigt. Entstanden ist die Sinfonie in Haydns Salzburger Wirkungszeit, also in jener Phase, in der er sich als Hofkomponist nicht nur der Kirchenmusik, sondern zunehmend auch der Instrumentalmusik widmete. Eine exakte Datierung ist nicht überliefert; Stil und Anlage weisen jedoch eindeutig in die reife mittlere Schaffensperiode Michael Haydns.

 

Die Wahl der Tonart D-Dur ist dabei kein Zufall. Sie ist traditionell mit Festlichkeit, Klarheit und klanglicher Brillanz verbunden – Eigenschaften, die Haydn in dieser Sinfonie bewusst nutzt, ohne sie jemals ins Übermaß zu treiben. Wie so oft bei Michael Haydn verbindet sich repräsentativer Glanz mit formaler Disziplin und innerer Ausgewogenheit.

https://www.youtube.com/watch?v=ZijreRg4WlU 

 

Der erste Satz (Allegro) eröffnet mit selbstbewusster, energischer Geste. Die thematische Arbeit ist klar strukturiert, die musikalischen Gedanken prägnant formuliert. Haydn setzt auf übersichtliche Motive, die logisch weitergeführt und variiert werden, statt auf dramatische Zuspitzung. Das Orchester wirkt geschlossen, transparent und dialogisch geführt; Bläser und Streicher sind sorgfältig ausbalanciert, sodass der Klang kraftvoll, aber nie schwerfällig erscheint.

 

Der langsame Satz (Andante in G-Dur) bildet einen deutlichen Kontrast. Hier zeigt sich Michael Haydn von seiner lyrischen Seite. Die Musik ist von ruhiger Kantabilität geprägt, mit fein gespannten Melodielinien und zurückhaltender Begleitung. Anstelle großer Affektausbrüche herrscht eine Haltung der Sammlung und des inneren Gleichgewichts. Gerade diese kontrollierte Expressivität verleiht dem Satz seine besondere Eindringlichkeit.

 

Im Menuett kehrt die Sinfonie zu einem höfisch geprägten Tonfall zurück. Der Tanzcharakter ist klar erkennbar, zugleich aber von jener Eleganz durchzogen, die Michael Haydns Instrumentalmusik auszeichnet. Das Trio setzt sich durch leichtere Textur und oft pastoral gefärbte Wendungen ab und sorgt für eine feine Binnenkontrastierung innerhalb des Satzes.

 

Das Finale (Allegro molto assai) beschließt die Sinfonie mit lebhafter Bewegung und heiterer Energie. Rhythmische Prägnanz und klare Periodik bestimmen den Charakter. Auch hier verzichtet Haydn auf vordergründige Virtuosität zugunsten geschlossener Form und natürlicher Spielfreude. Der Satz wirkt weder stürmisch noch demonstrativ, sondern souverän und von innerem Schwung getragen.

 

Die Sinfonie D-Dur MH 132 zeigt Michael Haydn als einen Komponisten, der die Sinfonie nicht als Experimentierfeld für Extreme versteht, sondern als Ort musikalischer Ordnung, Klarheit und Maßhaltung. Gerade in dieser Zurückhaltung liegt ihre Qualität. Das Werk steht exemplarisch für jene Salzburger Symphonik, die oft im Schatten des berühmteren Bruders Joseph Haydn steht, aber durch ihre handwerkliche Sicherheit, stilistische Eigenständigkeit und musikalische Noblesse uneingeschränkt überzeugt.

 

CD-Vorschlag

 

Michael Haydn, Symphonies 13 und 20, Notturno No 1, German Chamber Academy Neuss, Leitung Lavard Skou Larsen (* 1962), CPO, 2018, Tracks 1 bis 4:

 

https://www.youtube.com/watch?v=eCvOY0oTZYU&list=OLAK5uy_nNWdAeA4aCCWfckuk_qcgKGAMYj4WQFeM&index=2 

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MH 132

Der büßende Sünder, MH 147

 

Haydns Oratorium Der büßende Sünder (MH 147) entstand 1771 in Salzburg und gehört zu den eindrucksvollsten, zugleich aber am wenigsten bekannten dramatisch-geistlichen Werken seines Schaffens. Es steht in der Tradition des deutschsprachigen Oratoriums des 18. Jahrhunderts, das sich zwischen geistlicher Andacht, moralischer Belehrung und szenisch gedachtem Ausdruck bewegt, ohne die Schwelle zur Oper zu überschreiten.

 

Im Zentrum des Werks steht nicht eine konkrete biblische Handlung, sondern ein allegorisch-moralischer Prozess: der Weg des sündigen Menschen von Verirrung und Schuld über Reue und innere Läuterung hin zur Hoffnung auf göttliche Gnade. Der „büßende Sünder“ ist keine individualisierte Figur, sondern eine allgemeine menschliche Gestalt, die stellvertretend für den Menschen steht. Das Oratorium ist damit weniger erzählend als betrachtend; es entfaltet einen inneren Weg, keinen äußeren Plot.

 

Musikalisch zeigt sich Michael Haydn hier als Komponist mit ausgeprägtem Gespür für dramatische Verdichtung und affektive Differenzierung. Bereits die überlieferte Ouvertüre macht deutlich, dass das Werk nicht als bloße Andachtsmusik gedacht ist. Sie verbindet ernste Grundhaltung mit gespannter Erwartung und weist auf den inneren Konflikt hin, der das gesamte Oratorium prägt. Haydn arbeitet mit klaren Kontrasten zwischen Dunkel und Licht, Unruhe und Beruhigung, Schuld und Hoffnung – nicht plakativ, sondern mit kontrollierter Ausdruckskraft.

 

Die Vokalnummern – Rezitative, Arien und Ensembles – dienen weniger virtuoser Selbstdarstellung als der Auslegung innerer Zustände. Rezitative haben oft reflektierenden Charakter und führen den Hörer gedanklich durch den Prozess der Selbsterkenntnis. Die Arien sind in der Regel von ernster, manchmal klagender, dann wieder tröstender Grundhaltung geprägt. Chorpartien übernehmen eine kommentierende und verallgemeinernde Funktion; sie verleihen dem individuellen Büßerweg eine gemeinschaftliche, beinahe liturgische Dimension.

 

Stilistisch steht Der büßende Sünder an der Schnittstelle zwischen barocker Oratorientradition und frühklassischer Klarheit. Die Textverständlichkeit ist hoch, die formale Anlage übersichtlich, die Orchestrierung wirkungsvoll, aber nie überladen. Gerade darin zeigt sich Michael Haydns Eigenständigkeit: Er sucht nicht die dramatische Überwältigung, sondern eine moralisch-geistige Überzeugungskraft, die aus Maß, Struktur und innerer Spannung entsteht.

 

Dass dieses Oratorium bis heute nicht als vollständige Gesamteinspielung vorliegt, hat mehrere gut nachvollziehbare Gründe, die nichts mit mangelnder Qualität zu tun haben. Zum einen ist die Überlieferungslage komplex. Das Werk ist nicht in einem einheitlich autorisierten Autograph überliefert, sondern in verschiedenen Abschriften und Quellen, die editorisch sorgfältig abgeglichen werden müssten. Eine kritische Gesamtausgabe, wie sie für eine moderne "Referenzeinspielung" Voraussetzung wäre, liegt bislang nicht in allgemein zugänglicher Form vor.

 

Zum anderen stellt das Werk hohe praktische Anforderungen. Es erfordert geeignete Solisten für deutschsprachige, textintensive Partien, einen stilistisch versierten Chor und ein Orchester, das sowohl dramatische Spannung als auch geistliche Zurückhaltung gestalten kann. Hinzu kommt, dass deutschsprachige Oratorien des 18. Jahrhunderts – abseits der großen Namen – im heutigen Konzert- und Tonträgermarkt nur selten realisiert werden, da sie sich schwerer programmieren und vermarkten lassen als lateinische Kirchenmusik oder bekannte Opernstoffe.

 

Schließlich ist Michael Haydn als Oratorienkomponist bis heute weniger erforscht und präsent als in seiner Kirchenmusik oder Instrumentalmusik. Die vorhandene Aufnahme der Ouvertüre zeigt jedoch eindrucksvoll, welches Potential in diesem Werk steckt und macht deutlich, dass Der büßende Sünder eine Wiederentdeckung verdient.

 

https://www.youtube.com/watch?v=6kXxt8PNFXs 

 

So bleibt das Oratorium derzeit ein Werk für Kenner, dessen Bedeutung weniger durch diskographische Präsenz als durch seine innere Qualität bestimmt wird: ein ernstes, reflektiertes, musikalisch dicht gearbeitetes Zeugnis von Michael Haydns geistlichem Denken auf der Höhe seiner Salzburger Reifezeit.

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MH 147
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