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Luigi Boccherini (1743–1805)

Leben und Werk: Das musikalische Universum eines Meisters der Klassik

 

Luigi Ridolfo Boccherini wurde am 19. Februar 1743 in Lucca geboren – in eine Musikerfamilie, die sein frühes Fortkommen prägte. Der Vater, Francesco Leopoldo Boccherini (1712–1766), war Kontrabassist und Cellist; mehrere Geschwister machten als Tänzerinnen, Sängerinnen oder Librettisten Karriere. Schon als Kind erhielt Luigi in Lucca Unterricht und wurde 1753/54 nach Rom geschickt, wo er aller Wahrscheinlichkeit nach beim berühmten Cellisten und Kapellmeister Giovanni Battista Costanzi (1704–1778) ausgebildet wurde. 1758 debütierte er in Wien, spielte im Burgtheater unter Christoph Willibald Gluck (1714–1787) und wirkte 1760/61 am Kärntnertortheater; parallel entstanden die ersten Kammermusikwerke, die er später in sein eigenes Werkverzeichnis aufnahm. Seine Pariser Episode 1767/68 brachte die frühen Drucke (Trio- und Quartett-Sammlungen) und zumindest ein belegtes Konzert im Concert Spirituel (20. März 1768), ehe er noch 1768 nach Spanien übersiedelte – ein Lebensort, den er bis zum Tod nicht mehr verließ.

Im November 1770 stellte ihn der Infante Don Luis Antonio de Borbón y Farnesio (1727–1785), Bruder von König Karl III. (1716–1788), als compositore e virtuoso di camera an. In dieser Dienstzeit kristallisiert sich das, was wir heute mit Boccherini verbinden: ein durch und durch cellistischer Zugriff auf die Kammermusik, das bevorzugte Klangbild des Streichquintetts mit zwei Violoncelli und – immer wieder – das liebevoll ausgehörte Pianissimo. Als Don Luis 1776 nach Arenas de San Pedro verbannt wurde, folgte Boccherini; das Leben am abgelegenen Palacio de la Mosquera bedeutete weniger Öffentlichkeit, aber viel Zeit zum Komponieren. Die spanische Umgebung hinterließ Spuren: Tanzrhythmen, Fandangos, Gitarre, Straßen- und Glockenklänge – ikonisch verdichtet in der Musica notturna delle strade di Madrid, G 324.

Parallel gewann er Mäzene außerhalb Spaniens. Von 1786 bis zum Tod Friedrich Wilhelms II. (1744–1797) stand er – aus der Ferne – als „compositeur de notre chambre“ in den Diensten des preußischen Königs, eines begeisterten Cellisten: Das befeuerte erneut die Produktion von Streichquintetten und Quartetten, die er monatlich paketweise nach Berlin schickte. Nach 1785/86 wurde die Madrider Aristokratie wichtiger, voran María Josefa Pimentel, Duquesa de Osuna y Benavente (1752–1834); in ihrem Palast Puerta de la Vega erklang 1787 seine einzige vollständig erhaltene Bühnenmusik, die spanische Zarzuela Clementina (G 540) auf einen Text von Ramón de la Cruz (1731–1794).

Die späten 1790er verbinden geschäftliche Korrespondenz mit dem Pariser Verleger Ignaz Josef Pleyel (1757–1831) und eine besondere Mäzenfigur: den französischen Botschafter in Madrid, Lucien Bonaparte (1775–1840). Aus dieser Zeit stammen auch die berühmten Gitarren-Quintette – teils originale, teils eigenhändige Umarbeitungen – für den marques de Benavente, einen wohlhabenden Amateur-Gitarristen. Die Überlieferung bezeugt die Widmungslage (1798-Briefe) und erläutert, dass Fassungen und Quellen kompliziert sind; gleichwohl gehört das „Fandango“ (D-Dur, G 448) heute zu seinen populärsten Einfällen.

Boccherinis letzte Jahre verdüsterten sich tragisch. 1801 endete die Unterstützung Lucien Bonapartes, und private Katastrophen trafen ihn hart: Zwei Töchter starben 1802, 1804 verlor er seine zweite Frau María del Pilar Joaquina Porretti und eine weitere Tochter; seine Gesundheit brach ein. Er starb am 28. Mai 1805 in Madrid, wohl an einer langwierigen Atemwegserkrankung. Ursprünglich in San Justo beigesetzt, wurden seine sterblichen Überreste 1927 nach Lucca überführt und in der Kirche San Francesco beigesetzt, die heute als eine Art „Pantheon“ der Stadt gilt.

Zur Einordnung seines Stils lohnt sich ein Blick in die Forschung: Elisabeth Le Guins „Boccherini’s Body“ hat die delikate Ökonomie seiner Klangfarben, die nuancierten Dynamiken und die körperlich-performative Seite seines Cellosatzes paradigmatisch beschrieben – ein Schlüssel, um die oft unterschätzte Modernität dieser Musik zu hören.

 

Werkverzeichnis – Überblick und Orientierung

Ursprung

In den 1960er-Jahren stellte der französische Musikwissenschaftler Yves Gérard (1932–2020) ein vollständiges Werkverzeichnis von Boccherini zusammen. Es erschien 1969 in London unter dem Titel „Thematic, Bibliographical and Critical Catalogue of the Works of Luigi Boccherini.“

Bis dahin herrschte völliges Chaos: Boccherinis Werke waren in verschiedenen Druckausgaben verstreut, oft mehrfach unter unterschiedlichen Opus nummern erschienen, manchmal falsch zugeordnet oder sogar anonym veröffentlicht. Gérard sichtete alle erreichbaren Handschriften und Drucke, beschrieb die Themenanfänge (Incipits) und ordnete alles in einem einheitlichen System. Jedes Werk erhielt eine fortlaufende Nummer mit dem Kürzel „G“  - nach dem Bearbeiter Gérard.

 

Luigi Boccherini – Soli und Duos (G 1–76)

Cellosonaten (G 1–17, 19; später ergänzt G 563–569, 580)

Boccherini schrieb mindestens 16 gesicherte Cellosonaten, die heute als Standardrepertoire für Cellisten gelten. Sie entstanden überwiegend zwischen 1760 und 1775, viele ohne Opuszahl, und kursierten in Abschriften in Wien, Paris und Madrid. Die genaue Datierung ist oft unsicher, da nur wenige Autographe erhalten sind.

G 1 – Sonate A-Dur, Violoncello und Basso continuo (ca. 1761)

G 2 – Sonate C-Dur, Violoncello und Basso continuo (1761)

G 3 – Sonate G-Dur, Violoncello und Basso continuo (1761)

G 4 – Sonate Es-Dur, Violoncello und Basso continuo (1760er)

G 5 – Sonate a-Moll, Violoncello und Basso continuo (1760er)

G 6 – Sonate B-Dur, Violoncello und Basso continuo (1760er)

G 7 – Sonate D-Dur, Violoncello und Basso continuo (1760er)

G 8 – Sonate F-Dur, Violoncello und Basso continuo (1760er)

G 9 – Sonate A-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 10 – Sonate C-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 11 – Sonate Es-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 12 – Sonate G-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 13 – Sonate A-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 14 – Sonate C-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 15 – Sonate Es-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 16 – Sonate G-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 17 – Sonate A-Dur, Violoncello und Basso continuo (1770er)

G 19 – Sonate C-Dur, Violoncello und Basso continuo (späte Zuschreibung, Quelle unsicher)

Spätere Ergänzungen des Gérard-Katalogs (nicht im Original 1–76 enthalten):

G 563–566, 568–569, 580 – weitere Sonaten, teils zweifelhaft oder nur in Abschriften erhalten.

Bemerkung: Manche dieser Sonaten sind in unterschiedlichen Fassungen überliefert (einmal mit Continuo, einmal für zwei Celli). Boccherini selbst war Virtuose auf dem Violoncello, diese Werke spiegeln seine spieltechnische Brillanz.

 

CDs Boccharini, Comolete Cello Sonats, Luigi Puxeddu (* 1967), Brilliant Classics, 4 CD:

https://www.youtube.com/watch?v=372MkBqbFUQ

 

Violin- und andere Duos (G 55–61)

Neben den Cellosonaten gibt es frühe Violinduos (meist zwei Violinen), die sich in Wien/Paris verbreiteten.

G 55 – Duo C-Dur für zwei Violinen

G 56 – Duo G-Dur für zwei Violinen, op. 3/1 (1761)

G 57 – Duo F-Dur für zwei Violinen, op. 3/2

G 58 – Duo A-Dur für zwei Violinen, op. 3/3

G 59 – Duo B-Dur für zwei Violinen, op. 3/4

G 60 – Duo Es-Dur für zwei Violinen, op. 3/5

G 61 – Duo D-Dur für zwei Violinen, op. 3/6

 

3 CDs Boccherini, Complete Duets for 2 Violins, Igor Ruhadze, Daria Gorban, Brilliant Classics 2021, Disc 1:

https://www.youtube.com/watch?v=iZw9cT8JyLM

 

Andere frühe Werke (ohne sichere Opuszuweisung, G 62–76)

Diese Gruppe umfasst Gelegenheitswerke, kleine Sonaten oder Übungsstücke, teils mit zweifelhafter Authentizität.

G 62 – Duo G-Dur für zwei Violoncelli (eher Fragment)

G 63 – Duo B-Dur für Violine und Violoncello

G 64 – Duo Es-Dur für Violine und Violoncello

G 65 – Duo C-Dur für Violine und Violoncello

G 66 – Duo D-Dur für Violine und Violoncello

G 67 – Duo A-Dur für Violine und Violoncello

G 68 – Duo G-Dur für Violine und Violoncello

G 69 – Duo F-Dur für Violine und Violoncello

G 70–76 – verschiedene kleine Instrumentalstücke (teilweise zweifelhaft, Quellenlage lückenhaft).

Einige Werke sind seltener eingespielt und weniger verbreitet.

 

3 CDs, Boccharini, Complete Duets for 2 Violins, Igor Ruhadze und Daria Gorban, Brilliant Classics, 2024, Disc 2:

https://www.youtube.com/watch?v=BlFfS36GqVo&list=OLAK5uy_kJ1gSKXcigiBpZYtzTIu4TorOKzR9ztao&index=19

 

Sonaten und Einzelstücke für Tasteninstrument + Violine (G 25–30)

Diese stehen formal bei den „Duos“, wurden aber als Sonaten für Cembalo (oder Pianoforte) und Violine 1768 in Paris veröffentlicht.

G 25 – Sonate C-Dur, op. 5/1

G 26 – Sonate D-Dur, op. 5/2

G 27 – Sonate A-Dur, op. 5/3

G 28 – Sonate Es-Dur, op. 5/4

G 29 – Sonate G-Dur, op. 5/5

G 30 – Sonate F-Dur, op. 5/6

CD Sei sonate di cembalo e violino obbligato, Op. 5 (G 25–30) mit Jacques Ogg (Cembalo) und Emilio Moreno (Violine)

 

https://www.youtube.com/watch?v=z40JcRec1ZI

 

Trios (G 77–158)

Opus 1 – Seis Tríos para dos violines y violoncello (1760, Lucca)

Boccherinis erste gedruckte Werke, in Wien 1761 aufgeführt, zeigen schon seinen „cello-zentrierten“ Stil.

G 77 – Trio C-Dur

G 78 – Trio d-Moll

G 79 – Trio G-Dur

G 80 – Trio A-Dur

G 81 – Trio B-Dur

G 82 – Trio Es-Dur

CD:Boccherini, Trio, Op. 1 for Violin, Viola und Cello, No. 1 in F, G77, Trio Arcophon, 1971, Tracks 1 bis 6

https://www.youtube.com/watch?v=yNfsQEXdN1A&list=OLAK5uy_lqM0U99qLW_Y6iGjvwOaffygEWXuUji54&index=3

 

Opus 4 – Sei Tríos (1766, Wien)

Einer seiner Wiener Zyklen, gedruckt bei Artaria.

G 83 – Trio G-Dur

G 84 – Trio e-Moll

G 85 – Trio F-Dur

G 86 – Trio D-Dur

G 87 – Trio A-Dur

G 88 – Trio B-Dur

Es gibt keine Aufnahmen.

 

Opus 6 – Sei Tríos (1769, Paris)

Diese Sammlungen waren für die Pariser Liebhaber bestimmt.

G 89 – Trio C-Dur

G 90 – Trio a-Moll

G 91 – Trio Es-Dur

G 92 – Trio G-Dur

G 93 – Trio B-Dur

G 94 – Trio F-Dur

 

String Trios op. 6, Lubotsky Trio, Brilliant Classics,  2017

https://www.youtube.com/watch?v=RDhOJcHGNvc&list=OLAK5uy_mkrJglqG_b_AOS-4kQKrWwBoIzY1-ll9I&index=2   

 

Opus 14 – Sei Tríos (1772, Madrid)

Der erste große Zyklus, den er in Spanien schrieb.

G 95 – Trio C-Dur

G 96 – Trio D-Dur

G 97 – Trio g-Moll

G 98 – Trio F-Dur

G 99 – Trio B-Dur

G 100 – Trio Es-Dur

 

Boccherini, String Trios Op. 14, Ensemble: La Real Camara, 2007, Glossa

https://www.youtube.com/watch?v=S3pe3uL7Aus&list=OLAK5uy_kKm0ckJyjK-apAnIQZPMAsdOq2Wc5T3MA&index=1

 

Opus 34 – Sei Tríos (1781, Madrid)

Diese Sammlung ist spieltechnisch reifer, besonders im Cellopart.

G 101 – Trio C-Dur

G 102 – Trio D-Dur

G 103 – Trio e-Moll

G 104 – Trio F-Dur

G 105 – Trio G-Dur

G 106 – Trio A-Dur

 

CD: Boccherini: String Trios, Op. 34, Ensemble La ritirata, Glossa 2017

https://www.youtube.com/watch?v=oA1LhISLVrc&list=OLAK5uy_mXqDLPMt0IGnmVuUnjfLGrXq_frfcTDjU&index=2

 

Opus 47 – Sei Tríos (1793, Madrid)

Spätes Meisterwerk, Übergang zu „klassischer“ Triobesetzung (Klaviertrios).

G 107 – Trio C-Dur

G 108 – Trio d-Moll

G 109 – Trio Es-Dur

G 110 – Trio F-Dur

G 111 – Trio G-Dur

G 112 – Trio B-Dur

 

Boccherini: Sei trii opera -  6 String Trios, op. 47, Europa Galante, Fabio Biondi, Opus 2016

https://www.youtube.com/watch?v=A2C8tOi2iT4&list=OLAK5uy_kSBSX3O5xYawEJdFCvK0gSixB-3Rm-UVs&index=2

 

Opus 54 – Sei Tríos (1796)

Klar auf das Klaviertrio hin konzipiert.

G 113 – Trio C-Dur

G 114 – Trio D-Dur

G 115 – Trio Es-Dur

G 116 – Trio F-Dur

G 117 – Trio A-Dur

G 118 – Trio B-Dur

 

Boccherini: String Trios, Op. 54, La Real Camara, Glossa 2005

https://www.youtube.com/watch?v=3LgMGQhfP2s&list=OLAK5uy_nljKm6I5GRUR0BwEnMjsMQt5Tiq0kAvMo&index=4

 

Weitere Trios außerhalb der Opus nummern (G. 119–158) – keine Aufnahmen

 

Sei Quartetti di Luigi Boccherini, op. 2, G 159–164 (Erstdruck: Paris 1767, Verleger Jean-Baptiste Venier dort als op. 1, komponiert 1761, Italien, Widmung: a veri dilettanti e conoscitori di musica = An wahre Liebhaber und Kenner der Musik)

 

G 159 – C-Dur

G 160 – D-Dur

G 161 – g-Moll

G 162 – Es-Dur

G 163 – A-Dur

G 164 – F-Dur

 

Die sechs Quartette des Opus 2, veröffentlicht 1767 in Paris bei Venier, markieren Boccherinis ersten gedruckten Beitrag zur noch jungen Gattung des Streichquartetts. Der Titel der Erstausgabe lautete schlicht „Sei Quartetti di Luigi Boccherini“ und gab die Besetzung mit due Violini, Viola e Basso an – womit ursprünglich auch ein Generalbassinstrument wie Violoncello oder Cembalo gemeint sein konnte. Damit stehen diese Werke noch in der Übergangsphase von der barocken Trio-Sonate mit Continuo hin zum modernen, gleichberechtigten Streichquartett.

Die Tonartenfolge – C-Dur, D-Dur, g-Moll, Es-Dur, A-Dur und F-Dur – zeigt bereits ein bewusstes Spannungsfeld zwischen heiteren, repräsentativen Dur-Quartetten und dem ausdrucksvollen g-Moll-Werk, das den Zyklus in der Mitte dramatisch kontrastiert. Charakteristisch ist die Eleganz der Melodieführung, die aus Boccherinis Erfahrung als virtuoser Cellist erwächst. Das Violoncello erhält von Beginn an eine weit größere Eigenständigkeit als in den zeitgenössischen Quartetten etwa von Sammartini oder frühen Haydn-Werken.

Die Form ist noch nicht durchgängig nach dem später klassischen viersätzigen Modell gefestigt: Boccherini verwendet häufig eine dreisätzige Anlage (schnell – langsam – schnell), wobei die langsamen Sätze durch gesangliche Linien und empfindsamen Ausdruck hervorstechen. Gerade diese melodische Intensität sollte später als „Boccherini-Ton“ berühmt werden.

Mit Opus 2 betrat Boccherini also Neuland: Er schuf Werke, die einerseits an den galanten Stil des Pariser Publikums anknüpften, andererseits durch die neuartige Rolle des Violoncellos eine eigene Handschrift ausbildeten. Rückblickend gelten diese Quartette als einer der frühesten bedeutenden Beiträge zur Geschichte des Streichquartetts vor Haydns reifen Zyklen.

 

Boccherini: 6 Streichquartette, op. 2 (G .159–164), Ensemble Sonare Quartet, CPO 1991

https://www.youtube.com/watch?v=piGHvjXrzYU&list=OLAK5uy_lprxMmUTgg48vH-PQU0-1D2_YaC_Kgn-8&index=2

 

Sei Quartetti di Luigi Boccherini, op. 8 (G 165–170)

Dieser Zyklus gehört zu den frühesten Streichquartetten Boccherinis und markiert einen wichtigen Moment: Der italienische Virtuose, der schon in Wien und Paris Anerkennung gefunden hatte, etabliert sich hier als einer der Mitbegründer der Quartettgattung neben Haydn. Die Quartette erschienen bei Boyer in Paris und waren an das gebildete Pariser Publikum gerichtet.

https://www.youtube.com/watch?v=X8b51L89lwM&list=OLAK5uy_lME7WR5OdT9Lv0Fih6qv5898zUSTHAX-Q&index=1

 

G 165 – D-Dur (op. 8 Nr. 1)
Heiteres, frisches Quartett, das sofort durch kantable Themen auffällt. Der erste Satz (Allegro vivace) sprüht vor Energie, das Adagio bietet gesangliche Innigkeit, das Finale (Allegro assai) ist voller Bewegung.

 

G 166 – B-Dur (op. 8 Nr. 2)
Ausdrucksstarkes Werk, etwas gewichtiger. Besonders bemerkenswert: ein inniges Mittelsatz-Adagio, in dem die erste Violine beinahe arienhaft singt.

 

G 167 – g-Moll (op. 8 Nr. 3)
Dramatisches Quartett, ungewöhnlich für die Zeit. Der dunkle Tonfall macht es zu einem der stärksten Stücke des Zyklus. Hier spürt man Boccherinis Nähe zum empfindsamen Stil.

 

G 168 – C-Dur (op. 8 Nr. 4)
Lichtes, galantes Quartett mit tänzerischen Zügen. Im Mittelsatz (Largo) wird das Cello kantabel hervorgehoben.

 

G 169 – A-Dur (op. 8 Nr. 5)
Heiter, brillant und voller Eleganz. Das Cello hat solistische Momente, die an Boccherinis Virtuosität erinnern.

 

G 170 – F-Dur (op. 8 Nr. 6)
Der Zyklus schließt mit einem charmanten, festlichen Quartett. Besonders das Finale (Allegro assai) ist lebendig und schwungvoll, fast wie eine kleine Tanzsuite.

 

Opus 9 – Sei Quartetti (1770, Paris)

G 171 – C-Dur

G 172 – D-Dur

G 173 – F-Dur

G 174 – G-Dur

G 175 – A-Dur

G 176 – B-Dur

 

Die sechs Quartette entstanden um 1770 und wurden in Paris bei Venier gedruckt. Sie gehören zu den frühesten publizierten Zyklen, die Boccherinis Ruf als bedeutender Quartettkomponist im europäischen Musikleben festigten.

Alle Werke folgen dem damals noch nicht starren, aber bereits etablierten Viersatzmodell (rasch – langsam – Menuett – Finalsatz). Boccherinis Handschrift zeigt sich besonders in den gesanglichen langsamen Sätzen, die oft wie kleine Arien klingen, und in der lebendigen, tänzerischen Rhythmik der Menuette.

Charakteristisch für Opus 9 ist die größere Eigenständigkeit des Cellos, das häufig melodisch mit den Violinen gleichzieht – ein deutlicher Unterschied zu vielen Zeitgenossen. Diese Quartette gelten daher als ein wichtiger Schritt in Richtung des „klassischen“ Quartetts, wie es wenig später bei Haydn zur vollen Reife gelangte.

https://www.youtube.com/watch?v=GnNM9NJUs58

 

G 173 – Quartett F-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=5UGxpmLWAic

 

G 176 – Quartett B-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=8GrlCeUejuw&list=OLAK5uy_kslGZ6l5wyBotiUFDcUdgdovpILbdNZLQ&index=8

 

Opus 15 – Sei Quartetti (Erstausgabe: Paris 1767, Verleger Jean-Baptiste Venier, unter dem Titel „Sei quartetti di Luigi Boccherini a veri dilettanti e conoscitori di musica.“)

G 177 – Quartett C-Dur

G 178 – Quartett D-Dur

G 179 – Quartett Es-Dur

G 180 – Quartett F-Dur

G 181 – Quartett A-Dur

G 182 – Quartett B-Dur

Die sechs Quartette des Opus 15 entstanden um 1771/72 und wurden in Paris (Venier, 1772) veröffentlicht. Sie knüpfen an die Zyklen der Jahre zuvor an, zeigen jedoch bereits eine deutlich gereifte Handschrift. Während Boccherinis frühe Quartette noch im Spannungsfeld zwischen divertimento-haftem Musizieren und „ernstem“ Kammerstil stehen, lässt sich in Opus 15 die Tendenz zu erkennen, die sich zunehmend am klassischen Modell orientieren.

Besonders auffällig ist die weitere Emanzipation des Violoncellos, das Boccherini – selbst Virtuose auf diesem Instrument – nicht nur als Bassfundament, sondern als gleichwertigen melodischen Partner einsetzt. Dadurch wirken die Dialoge zwischen den vier Stimmen dichter und abwechslungsreicher.

Die Tonartenfolge ist ausgewogen (C-, D-, Es-, F-, A- und B-Dur) und spiegelt die Orientierung am „hellen“ Klangideal des französischen Geschmacks. Gerade in den langsamen Sätzen entfaltet Boccherini seine berühmte kantable Linie, die zeitgenössische Hörer an die italienische Opernarie erinnerte.

Insgesamt markieren die Quartette des Opus 15 einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum „reifen“ Boccherini-Quartett, das bald auch in Madrid entstandene Werke prägen sollte.

 

CD Boccherini 6 String Quartets, op. 15, Alea Ensemble, Dynamic 2014

Opus 22 – Sei Quartetti (1775, Madrid)

Elegant, galant, aber auch mit dramatischen Momenten.

G 183 – Quartett C-Dur

G 184 – Quartett d-Moll

G 185 – Quartett Es-Dur

G 186 – Quartett F-Dur

G 187 – Quartett G-Dur

G 188 – Quartett A-Dur

Die Sei Quartetti op. 22 (G 183–188) entstanden 1775 in Madrid, kurz nach Boccherinis Übersiedlung nach Spanien. Sie gelten als ein besonders repräsentatives Beispiel seines reifen galanten Stils: licht, elegant und mit feiner melodischer Linienführung, zugleich aber immer wieder von dramatischen Kontrasten durchzogen – etwa im d-Moll-Quartett G 184, das mit expressiven Wendungen und dunklem Tonfall hervorsticht.

Die Tonartenfolge – C-Dur, d-Moll, Es-Dur, F-Dur, G-Dur und A-Dur – ist ausgewogen, wobei die Moll-Färbung im zweiten Quartett den Zyklus spannungsreich akzentuiert. Charakteristisch sind die kantablen langsamen Sätze, die oft fast arienhaft wirken, und die menuettartigen Mittelsätze, die eine spanische Leichtigkeit ausstrahlen. Gleichzeitig deutet Boccherini durch überraschende harmonische Schattierungen und rhythmische Pointierungen eine dramatische Tiefe an, die über das rein Unterhaltende hinausweist.

Opus 22 verbindet damit die galante Eleganz des Pariser Geschmacks mit der neu gewonnenen Inspiration seines spanischen Umfelds – ein Meilenstein auf dem Weg zu Boccherinis ganz eigener Quartettkunst.

Keine Aufnahme gefunden.

 

Opus 24 – Sei Quartetti (1776–78)

G 189 – Quartett C-Dur

G 190 – Quartett D-Dur

G 191 – Quartett Es-Dur

G 192 – Quartett F-Dur

G 193 – Quartett G-Dur

G 194 – Quartett g- Moll

G 189 – Quartett C-Dur

 

Die Sei Quartetti op. 24 (G 189–194) entstanden in den Jahren 1776–1778 während Boccherinis Tätigkeit in Madrid. Sie stehen an einem Übergangspunkt seines Schaffens: die Werke wirken nach außen hin noch galant und gefällig, tragen aber bereits die Handschrift einer gereiften, individuellen Quartettkunst.

Die Tonartenfolge – C-, D-, Es-, F-, G-Dur sowie g-Moll – zeigt ein bewusstes Spannungsfeld zwischen heiterem Glanz und expressiver Dramatik. Besonders das g-Moll-Quartett (G 194) hebt sich durch seinen dunkleren, eindringlichen Tonfall ab und gilt als einer der Höhepunkte des Zyklus.

Charakteristisch ist Boccherinis sangliche Melodik, die den Quartetten eine beinahe vokale Aura verleiht. Die langsamen Sätze erreichen oft den Ausdruck einer lyrischen Arie, während die Menuette mit eleganter Leichtigkeit an den höfischen Tanz erinnern. Gleichzeitig findet man in den Finalsätzen spielerische Energie, gelegentlich durch unerwartete harmonische Wendungen aufgebrochen.

Mit Opus 24 vertieft Boccherini seine Kunst des Quartettspiels: die Stimmen sind gleichberechtigter geführt, das Violoncello tritt selbstbewusst hervor, und die Musik verbindet galante Eleganz mit emotionaler Tiefe. Damit kündigen sich bereits jene Qualitäten an, die Boccherini im europäischen Quartettrepertoire eine Sonderstellung verschaffen sollten.

 

G 189 – Quartett C-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=srJ6BV3hQYw

 

G 191 – Quartett Es-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=xVbifgP3NJk

 

G 194 – Quartett g-Moll

https://www.youtube.com/watch?v=37vOD1e4EwU

Eleganz und Ausgewogenheit – Boccherinis Streichtrios op. 26

 

​​

https://www.youtube.com/watch?v=GWfFPDoMhYE

 

Die sechs Streichtrios des Opus 26 (G 195–200), komponiert um 1778 in Madrid, gehören in die Reihe der zahlreichen Trios, die Luigi Boccherini (1743–1805) über mehrere Jahrzehnte hinweg schrieb. Sie sind für die Besetzung mit zwei Violinen und Violoncello bestimmt, wobei letzteres – Boccherinis eigenes Instrument – eine deutlich selbständigere und melodisch geprägte Rolle erhält als in den meisten zeitgenössischen Trios.

Die Werke umfassen:


G 195 – Trio C-Dur
G 196 – Trio D-Dur
G 197 – Trio Es-Dur
G 198 – Trio F-Dur
G 199 – Trio G-Dur
G 200 – Trio A-Dur

Diese Tonartenfolge wirkt ausgewogen und hell, ganz dem galanten Geschmack des späten 18. Jahrhunderts verpflichtet. Die Anlage der Stücke ist zumeist dreisätzig (schnell – langsam – schnell), wobei die langsamen Mittelsätze durch sangliche Kantilenen auffallen, während die Finalsätze oft einen tänzerischen, leichtfüßigen Charakter haben.

Opus 26 besticht durch klare Eleganz und kammermusikalische Feinheit. Das Violoncello tritt regelmäßig als dialogischer Partner auf, sodass die Werke einen gleichberechtigteren Stimmencharakter haben als die noch stärker „basso“-orientierten Trios früherer Zeit. Damit markieren sie einen wichtigen Schritt hin zu jener Ausgewogenheit, die auch Boccherinis Quartett- und Quintettstil prägt.

 

Sei Trios op. 32 (G 201–206) – Madrid, 1780

Die sechs Streichtrios des Opus 32 (G 201–206), entstanden 1780 in Madrid, führen Luigi Boccherinis (1743–1805) kontinuierliche Beschäftigung mit der Triogattung fort. Geschrieben für zwei Violinen und Violoncello, verfolgen sie den Weg zu einer immer ausgewogeneren, dialogischen Stimmenführung, in der das Cello – das Instrument des Komponisten – eine gleichberechtigte Rolle einnimmt.

Die einzelnen Werke umfassen:


G 201 – Trio B-Dur
G 202 – Trio C-Dur
G 203 – Trio D-Dur
G 204 – Trio Es-Dur
G 205 – Trio F-Dur
G 206 – Trio G-Dur

Diese Tonartenfolge verleiht dem Zyklus ein helles, beinahe festliches Gepräge. Auch hier bevorzugt Boccherini die dreisätzige Form (rasch – langsam – rasch), doch wirken die Sätze gegenüber den Vorgängerzyklen umfangreicher, ausdrucksstärker und abwechslungsreicher.

Besonders charakteristisch ist die kantable Linienführung der langsamen Mittelsätze, die oft wie „Arien ohne Worte“ anmuten. Das Violoncello übernimmt darin nicht nur begleitende Funktionen, sondern häufig thematisch zentrale Aufgaben, wodurch die Trios eine kammermusikalische Geschlossenheit entfalten. In den Finalsätzen zeigt sich Boccherinis Sinn für Eleganz, Leichtigkeit und tänzerischen Schwung.

Mit Opus 32 erreichte Boccherini in seinen Triokompositionen eine neue Stufe der Reife und Ausdrucksvielfalt. Diese Werke machen deutlich, dass die Trios für ihn keineswegs nur Gelegenheitskompositionen waren, sondern – gleichrangig neben Quartetten und Quintetten – einen festen Platz in seinem Œuvre einnahmen.

CD Boccherini, 6 String Quartets, op. 32, Esterházy Quartet, Warner Music 1977

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https://www.youtube.com/watch?v=lqu3S9tAxu8&list=OLAK5uy_nhgr3VGcQpX42t_seO8kTqwQNjccj40f0&index=2

 

Sei Quartetti op. 33 (G 207–212) – Madrid/Paris, 1780

Die sechs Streichquartette des Opus 33 (G 207–212) entstanden um 1780 in Madrid und wurden noch im selben Jahr in Paris veröffentlicht. Sie gehören zur mittleren Schaffensphase Luigi Boccherinis (1743–1805) und verdeutlichen eindrucksvoll, wie ernst er das Quartett als eigenständige, künstlerisch anspruchsvolle Gattung nahm – längst nicht mehr als bloßes „Divertimento“ für Kenner und Liebhaber.

Die Werke umfassen:


G 207 – Quartett C-Dur
G 208 – Quartett A-Dur
G 209 – Quartett Es-Dur
G 210 – Quartett F-Dur
G 211 – Quartett G-Dur
G 212 – Quartett D-Dur

Die Tonartenfolge verleiht dem Zyklus eine insgesamt helle, strahlende Klangfärbung, die nur punktuell von Mollnuancen durchbrochen wird. Formal wechseln die Quartette zwischen drei- und viersätzigen Strukturen. In den langsamen Sätzen zeigt sich eine von Boccherinis größten Stärken: ein kantabler, lyrischer Ausdruck, der häufig an die Opernarie erinnert. Die Menuette sind von besonderem Reiz – elegant geformt, zugleich aber rhythmisch prägnant und nicht selten mit einem unverkennbaren „spanischen Unterton“, der Boccherinis Madrider Jahre widerspiegelt.

Stilistisch überzeugen die Quartette durch eine sorgfältig austarierte Stimmführung. Das Violoncello, Boccherinis eigenes Instrument, tritt aus der Rolle des bloßen Bassfundaments heraus und wird gleichberechtigt in den melodischen Dialog einbezogen.

Mit dem Opus 33 gelang Boccherini eine Sammlung, die galanten Glanz mit feiner Dramaturgie und substanzieller kompositorischer Gestaltung verbindet – ein gewichtiger Beitrag zur Entwicklung des Streichquartetts, parallel zu Joseph Haydns nahezu zeitgleich erschienenen, berühmten „Russischen Quartetten“ op. 33.

 

CD Boccherini, String Quartets, op. 33, Ensemble: Revolutionary Drawing Room, CPO 1993

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=B56UnUD-NZ0&list=OLAK5uy_mutSqZzM1m85yWEW61WPoDTZ_ATsK2RtE&index=2

 

Sei Quartetti G 213–G 218 (1787–1790)

Die Streichquartette mit den Gérard-Nummern G 213 bis G 218 entstanden zwischen 1787 und 1790, also in einer Phase, in der Luigi Boccherini (1743–1805) seine Kammermusik bereits auf ein hohes Maß an Reife und Ausdrucksvielfalt geführt hatte. Sie verteilen sich auf mehrere Opuszahlen: G 213 gehört zu op. 39 (1787), G 214–215 bilden op. 41 (1788), während G 216–217 in op. 42 (1789) und G 218 in op. 43 (1790) eingeordnet sind.

Die Werke umfassen:


G 213 – Quartett A-Dur (op. 39)
G 214 – Quartett Es-Dur (op. 41/1)
G 215 – Quartett A-Dur (op. 41/2)
G 216 – Quartett D-Dur (op. 42/1)
G 217 – Quartett C-Dur (op. 42/2)
G 218 – Quartett A-Dur (op. 43)

Trotz ihres künstlerischen Werts sind diese Werke lange Zeit im Schatten geblieben. Während andere Zyklen Boccherinis wie op. 32 oder op. 33 immer wieder im Konzertsaal und auf Tonträgern präsent sind, fristen die Quartette G 213–218 ein Schattendasein. Ein Grund dafür liegt wohl in der zeitlichen Nähe zu Haydns berühmten „Russischen Quartetten“ op. 33, die das öffentliche Interesse stark auf sich zogen. Boccherinis Werke erscheinen dagegen zurückhaltender, intimer und ganz dem kammermusikalischen Gesprächston verpflichtet.

Von den sechs Quartetten hat zumindest G 213 einzelne Aufmerksamkeit gefunden. Es existieren Aufnahmen unter anderem durch das Revolutionary Drawing Room (CPO) sowie neuere Einspielungen durch das Quartetto Italiano, die die Feinheit von Boccherinis Quartettstil deutlich hervortreten lassen. Auch G 214–215 sind durch Editionen und vereinzelte Aufnahmen dokumentiert, wenn auch selten im regulären Konzertrepertoire. Die späteren Werke, G 216–218, sind hingegen bislang kaum auf Tonträgern präsent und werden von Ensembles praktisch nicht aufgeführt.

Musikalisch zeigen diese Quartette eine klare Weiterentwicklung: das Violoncello, Boccherinis eigenes Instrument, tritt noch entschiedener aus der bloßen Bassfunktion heraus und beteiligt sich gleichberechtigt am melodischen Dialog. Die langsamen Sätze besitzen eine sangliche, beinahe ariose Qualität, die an die italienische Oper erinnert, während die Menuette – ein Markenzeichen Boccherinis – oft einen unverkennbar spanischen Einschlag tragen, wie er in seinen Madrider Jahren immer deutlicher hervortrat.

Gerade weil diese Quartette bisher so vernachlässigt sind, bieten sie heute eine reizvolle Gelegenheit, Boccherinis Quartettkunst in ihrer ganzen Breite neu zu entdecken. Sie verbinden melodische Eleganz mit feiner kammermusikalischer Balance und verdienen es, wieder stärker in das Bewusstsein von Interpreten und Hörern zu rücken.

Die folgende Aufnahmen sind zwar nicht immer von professioneller Studioqualität, vermitteln aber einen ersten Höreindruck des Werkes.

G 213 – Streichquartett in A-Dur, op. 39

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https://www.youtube.com/watch?v=i0QQ3ItHe44

 

G 214 – Streichquartett in Es-Dur, op. 41 Nr. 1, (Tracks 9 bis 12)

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https://www.youtube.com/watch?v=-uYiUfD5sFY&list=OLAK5uy_nP7eu5DXkoQdSY3K3fZfTaDNsn_1oZ0_k&index=9

 

G 215 – Streichquartett in A-Dur, op. 41 Nr. 2 (Tracks 9 bis 12)

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G 216 – Streichquartett in D-Dur, op. 42 Nr. 1

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https://www.youtube.com/watch?v=euqseJp_msY

 

G 217 – Streichquartett in C-Dur, op. 42 Nr. 2

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https://www.youtube.com/watch?v=lQnSPwm1mww

 

G 218 – Streichquartett in A-Dur, op. 43 Nr. 1

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https://www.youtube.com/watch?v=IYYY3hUcGG8

 

Sei Quartetti op. 44 (G 219–224) – Madrid, um 1793

Mit den sechs Streichquartetten des Opus 44 (G 219–224) erreichte Luigi Boccherini (1743–1805) eine weitere Stufe der Reife. Die Werke entstanden um 1793 in Madrid, also in einer Zeit, in der er bereits eine lange Erfahrung mit der Quartettgattung besaß und zugleich immer stärker unter dem Eindruck der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Europa stand.

 

Die Werke umfassen:

 

G 219 – Quartett B-Dur
G 220 – Quartett g-Moll
G 221 – Quartett D-Dur
G 222 – Quartett C-Dur
G 223 – Quartett A-Dur
G 224 – Quartett Es-Dur

Die Tonartenfolge ist abwechslungsreicher als in den früheren Zyklen, da mit g-Moll (G 220) auch ein deutlich dunklerer Charakter vertreten ist. Diese Vielfalt spiegelt sich in der Musik: Boccherini arbeitet stärker mit Kontrasten, weitet die langsamen Sätze zu innigen, beinahe meditativen Klangbildern aus und verleiht den schnellen Sätzen mehr Energie und Dramatik.

Charakteristisch ist weiterhin die gleichberechtigte Behandlung aller vier Stimmen. Das Violoncello tritt nicht nur als Fundament, sondern häufig als melodischer Partner auf, manchmal sogar als Träger der Hauptthemen. Die Menuette, die auch in diesem Zyklus nicht fehlen, zeigen Boccherinis typische Mischung aus Eleganz, tänzerischem Schwung und gelegentlichen volkstümlichen Anklängen.

Mit Opus 44 knüpfte Boccherini an seine früheren Quartettzyklen an, zugleich aber erweiterte er Ausdrucks- und Formmöglichkeiten. Diese Sammlung gehört zu den gewichtigen Zeugnissen seiner späten Quartettkunst, die neben Haydns und Mozarts Beiträgen zur Gattung ihre ganz eigene, unverwechselbare Farbe entfaltet. Die Aufnahmen des Opus 44 sind Rah.

G 223 – Quartett A-Dur (Fragment)

 

https://www.youtube.com/watch?v=zL_T9D6KzVY&list=OLAK5uy_mhKUFmwq9SH_XEbqk48wBnyP7_Tzw2Jxs&index=2

 

Sei Quartetti G 225–G 230 (Op. 44 Nr. 6 und Op. 48 Nr. 1–5)

Diese sechs Streichquartette markieren die Fortsetzung und stilistische Entwicklung in Boccherinis Spätwerk:

 

G 225 – Quartett Es-Dur, Op. 44 Nr. 6

G 226 – Quartett F-Dur, Op. 48 Nr. 1

G 227 – Quartett A-Dur, Op. 48 Nr. 2

G 228 – Quartett h-Moll, Op. 48 Nr. 3

G 229 – Quartett Es-Dur, Op. 48 Nr. 4

G 230 – Quartett G-Dur, Op. 48 Nr. 5

Die Zyklen gehören zu den letzten Quartettzyklen Boccherinis und entstanden um 1794. Der Wechsel von Opus 44 zu 48 zeigt eine bewusste Weiterführung der Kammermusik, mit einem noch größeren Gewicht auf Ausdruck, Harmonie und Formentwicklung.

Tonartenvarianz und Stimmbalance


Die Tonarten wechseln zwischen heller und dramatischer Stimmung – von Es-Dur über F-Dur, A-Dur bis hin zu h-Moll – und spiegeln eine facettenreiche Klangpalette wider. Das Violoncello tritt weiterhin gleichberechtigt neben den übrigen Instrumenten auf und trägt thematisch häufig entscheidend zur melodischen Entwicklung bei. Boccherini bleibt seinem kammermusikalischen Dialog treu, setzt aber gezielt Farbnuancen und expressive Tiefen.

Ausdruck und Form


Gerade in den langsamen Mittelsätzen entfaltet sich kantabler, oft arioser Charakter, während die schnellen Sätze mit lebendigem, tänzerischem Impuls glänzen. In diesen späten Quartetten erreicht Boccherini eine besonders reife Balance zwischen galantem Stil und musikalischer Substanz.

Rezeption und Aufführungsstand


Im Gegensatz zu frühen Quartettzyklen wie Opus 26 oder 33 sind diese Werke kaum im Konzertprogramm oder auf Tonträgern vertreten. Die bisher seltenen Referenzen liegen zumeist in spezialisierten historischen Editionen. Ihr spieltechnisches und ästhetisches Potenzial bleibt weitgehend unentdeckt – eine Lücke, die es lohnt, durch Neuinterpretationen zu schließen.

Für die Quartette G 225–G 230 existieren bisher keine bekannte Aufnahmen.

 

Sei Quartetti G 231–G 236 (op. 52, 1795)

Mit dem Opus 52 veröffentlichte Luigi Boccherini (1743–1805) im Jahr 1795 in Paris einen weiteren vollständigen Zyklus von sechs Streichquartetten. Diese Sammlung gehört zu seinen späten Kammermusikwerken und zeigt eindrucksvoll, dass er die Gattung auch nach Haydns und Mozarts großen Beiträgen auf eigenständige Weise weiterführte.

Die Werke umfassen:

G 231 – Quartett A-Dur, op. 52 Nr. 1

G 232 – Quartett C-Dur, op. 52 Nr. 2

G 233 – Quartett Es-Dur, op. 52 Nr. 3

G 234 – Quartett F-Dur, op. 52 Nr. 4

G 235 – Quartett g-Moll, op. 52 Nr. 5

G 236 – Quartett B-Dur, op. 52 Nr. 6

Charakter und Stil


Die Tonartenfolge zeigt eine Mischung aus hellen und dunkleren Stimmungen, wobei besonders das g-Moll-Quartett (G 235) eine neue Ausdruckstiefe eröffnet. Formell handelt es sich meist um viersätzige Werke, die den klassischen Zyklus (schnell – langsam – Menuett – schnell) einhalten. Boccherinis Handschrift bleibt unverkennbar: sangliche, ariose langsame Sätze, Menuette mit spanischem Kolorit und eine gleichberechtigte Stimmführung, in der das Violoncello oft thematisch tragend ist.

 

Bedeutung

 

Opus 52 ist einer der letzten Quartettzyklen Boccherinis. Er entstand in einer Zeit, in der die europäische Musikwelt bereits stark von den Errungenschaften Haydns und Mozarts geprägt war. Dennoch gelingt es Boccherini, durch Eleganz, melodische Feinheit und kammermusikalische Intimität eine ganz eigene Sprache zu behaupten. Diese Quartette bilden somit einen späten Höhepunkt in seinem kammermusikalischen Schaffen.

CD Boccherini, String Quartets, Vol. 3 - op. 52, Ensemble Quartetto d'Archi di Venezia, Dynamic 1996 (G 232 bis G 235):

 

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https://www.youtube.com/watch?v=deu7Oca7Wlk&list=OLAK5uy_n5VJrH0Spz5loC77eo1Y_C2ukYfKdfC2U&index=2

 

Sei Quartetti G 237–G 242 (op. 58, 1797)

Die sechs Quartette des Opus 58 entstanden 1797, also in einer späten Schaffensphase Luigi Boccherinis (1743–1805). Sie wurden in Paris veröffentlicht und stehen bereits im Schatten jener stilistischen Umbrüche, die um 1800 von Beethoven eingeleitet wurden. Boccherini hielt jedoch unbeirrt an seiner eigenen Klangsprache fest – voller Eleganz, melodischer Zartheit und einem unverkennbar persönlichen Tonfall.

Die Werke umfassen:

G 237 – Quartett A-Dur, op. 58 Nr. 1

G 238 – Quartett d-Moll, op. 58 Nr. 2

G 239 – Quartett Es-Dur, op. 58 Nr. 3

G 240 – Quartett C-Dur, op. 58 Nr. 4

G 241 – Quartett F-Dur, op. 58 Nr. 5

G 242 – Quartett B-Dur, op. 58 Nr. 6

Charakter und Form


Die Tonartenfolge ist bewusst kontrastreich angelegt, mit dem dramatischen d-Moll-Quartett (G 238) als deutlichem Gegenpol zu den überwiegend hellen Dur-Tonarten. Formal bevorzugte Boccherini in diesem Zyklus viersätzige Strukturen mit Menuett, doch die langsamen Sätze nehmen oft einen besonders gewichtigen Platz ein und wirken wie innige, vokal inspirierte Meditationen.

Stilistische Eigenart


Das Violoncello, Boccherinis eigenes Instrument, ist wiederum nicht nur Bassfundament, sondern trägt häufig die melodische Linie oder tritt in gleichberechtigtem Dialog mit der ersten Violine. In den Menuetten zeigt sich der charakteristische „spanische Akzent“ – rhythmisch pointierte Gesten und elegante Tanzschwünge, die seinen Madrider Jahren geschuldet sind.

 

Bedeutung

 

Opus 58 gehört zu den letzten Quartetten Boccherinis und markiert den Abschluss einer langen Auseinandersetzung mit dieser Gattung. In einer Zeit, in der Beethoven bereits seine ersten Quartette vorbereitete, wirken Boccherinis Werke wie eine bewusst gepflegte Gegenwelt: weniger dramatisch-heroisch, dafür umso kultivierter, lyrischer und von einer fast intimen Raffinesse.

CD Boccherini, String Quartets, Op. 58, Ensemble Revolutionary Drawing Room, CPO 1992

 

https://www.youtube.com/watch?v=-ReT5_NCK8g&list=OLAK5uy_lnQxH-vzU0ss5jXwi4KFttGBdnCcweP0k&index=2

 

Sei Quartetti G 243–G 248 (op. 64, 1798)

Die sechs Streichquartette des Opus 64 (G 243–G 248) wurden 1798 in Paris veröffentlicht und gehören zu den letzten Quartettwerken Luigi Boccherinis. Sie sind Zeugnisse eines reifen Komponisten, der seine eigene Tonsprache bis zuletzt bewahrte, auch wenn die Musikwelt sich längst in Richtung der neuen, kraftvolleren Ausdrucksformen Beethovens bewegte.

 

Die Werke umfassen:

G 243 – Quartett A-Dur, op. 64 Nr. 1

G 244 – Quartett Es-Dur, op. 64 Nr. 2

G 245 – Quartett D-Dur, op. 64 Nr. 3

G 246 – Quartett g-Moll, op. 64 Nr. 4

G 247 – Quartett C-Dur, op. 64 Nr. 5

G 248 – Quartett B-Dur, op. 64 Nr. 6

Charakter und Tonartenbild


Die Tonartenfolge verbindet strahlende und lyrische Klangwelten (A-Dur, Es-Dur, D-Dur, C-Dur, B-Dur) mit der ernsten, dramatisch gefärbten g-Moll-Tonart (G 246), die einen besonderen Kontrast innerhalb des Zyklus bildet. Dadurch entsteht ein spannungsreicher Bogen, der zwischen Eleganz und Ausdruckstiefe vermittelt.

Musikalische Gestaltung


Boccherini setzt weiterhin auf viersätzige Formmodelle mit Menuett, doch die Ausarbeitung zeigt ein hohes Maß an Raffinesse. Die langsamen Sätze sind gesanglich und weit ausschwingend, oft in einer Intensität, die beinahe kontemplativ wirkt. Die schnellen Sätze behalten eine Leichtigkeit, die Boccherinis Musik von schwergewichtiger Dramatik fernhält, ohne je oberflächlich zu sein. Auffällig bleibt die konsequente Gleichberechtigung aller vier Stimmen: das Violoncello ist melodisch aktiv und oft Träger thematischer Ideen, was den Quartetten ihre besondere Klangbalance gibt.

Bedeutung und Ausblick


Opus 64 bildet den Schlusspunkt von Boccherinis jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit dem Streichquartett. Anders als Haydn oder Beethoven setzte er nicht auf formale Experimente oder heroische Gesten, sondern auf Eleganz, kantable Linien und eine fast intime Gesprächskultur zwischen den Stimmen. Damit hinterließ er einen Quartettkosmos, der bis heute als eigenständige, feinsinnige Alternative zu den großen Klassikern dieser Gattung wahrgenommen werden kann – leider jedoch bis heute nur in Teilen erschlossen und auf Tonträgern vertreten.

G 243 (Tracks 5 bis 8):

G 248:

https://www.youtube.com/watch?v=qL7ySDu8QmI

 

Von den sechs Quartetten des Opus 64 sind bislang nur zwei Werke in Aufnahmen greifbar. Das A-Dur-Quartett G 243 liegt in einer professionellen Einspielung des Quartetto Italiano (Warner Classics, 2022) vor und vermittelt einen seltenen Einblick in Boccherinis späte Quartettkunst. Ergänzend dazu bietet das YouTube Video das Quartett G 248.

 

Luigi Boccherini schrieb zwischen 1761 und 1798 insgesamt 100 Streichquartette, die im Gérard-Werkverzeichnis die Nummern G 195 bis G 295 tragen. Sie markieren neben seinen berühmten Streichquintetten einen zentralen Bereich seines Schaffens. Boccherini führte das Quartett von seinen frühen, noch im Divertimento-Stil gehaltenen Werken hin zu reifen, ausgeglichenen Zyklen, die Eleganz, melodischen Reichtum und feine kammermusikalische Balance miteinander verbinden. Anders als Haydn, der das Quartett zu einem Feld formaler Experimente machte, pflegte Boccherini einen stärker kantablen, lyrischen Tonfall, oft geprägt von mediterraner Leichtigkeit und mit Anklängen an spanische Tanzrhythmen – eine Folge seines jahrzehntelangen Aufenthalts in Madrid. Das Violoncello, sein eigenes Instrument, wird dabei konsequent aus der Rolle des bloßen Bassfundaments gelöst und gleichberechtigt in den Dialog der Stimmen eingebunden.

 

Übersicht aller Streichquartette G 195–295

Op. 26 – Sei Quartetti (1778, Madrid)

G 195 – C-Dur

G 196 – D-Dur

G 197 – Es-Dur

G 198 – F-Dur

G 199 – G-Dur

G 200 – A-Dur

Op. 32 – Sei Quartetti (1780, Madrid)

G 201 – B-Dur

G 202 – C-Dur

G 203 – D-Dur

G 204 – Es-Dur

G 205 – F-Dur

G 206 – G-Dur

Op. 33 – Sei Quartetti (1780, Madrid/Paris)

G 207 – C-Dur

G 208 – A-Dur

G 209 – Es-Dur

G 210 – F-Dur

G 211 – G-Dur

G 212 – D-Dur

Op. 39 – Quartetto (1787, Madrid)

G 213 – A-Dur

Op. 41 – Due Quartetti (1788)

G 214 – Es-Dur

G 215 – A-Dur

Op. 42 – Due Quartetti (1789)

G 216 – D-Dur

G 217 – C-Dur

Op. 43 – Quartetto (1790)

G 218 – A-Dur

Op. 44 – Sei Quartetti (1793)

G 219 – B-Dur

G 220 – g-Moll

G 221 – D-Dur

G 222 – C-Dur

G 223 – A-Dur

G 224 – Es-Dur

Op. 44 Nr. 6 + Op. 48 Nr. 1–5 (1794)

G 225 – Es-Dur (op. 44 Nr. 6)

G 226 – F-Dur (op. 48 Nr. 1)

G 227 – A-Dur (op. 48 Nr. 2)

G 228 – h-Moll (op. 48 Nr. 3)

G 229 – Es-Dur (op. 48 Nr. 4)

G 230 – G-Dur (op. 48 Nr. 5)

Op. 52 – Sei Quartetti (1795, Paris)

G 231 – A-Dur

G 232 – C-Dur

G 233 – Es-Dur

G 234 – F-Dur

G 235 – g-Moll

G 236 – B-Dur

Op. 58 – Sei Quartetti (1797, Paris)

G 237 – A-Dur

G 238 – d-Moll

G 239 – Es-Dur

G 240 – C-Dur

G 241 – F-Dur

G 242 – B-Dur

Op. 64 – Sei Quartetti (1798, Paris)

G 243 – A-Dur

G 244 – Es-Dur

G 245 – D-Dur

G 246 – g-Moll

G 247 – C-Dur

G 248 – B-Dur

Späteste Quartette (1798, unveröffentlicht / nur handschriftlich)

G 249 – Es-Dur

G 250 – F-Dur

G 251 – A-Dur

G 252 – d-Moll

G 253 – C-Dur

G 254 – B-Dur

G 255 – G-Dur

G 256 – e-Moll

G 257 – D-Dur

G 258 – g-Moll


(so fortlaufend bis G 295 – insgesamt 100 Quartette; die letzten Werke sind fragmentarisch oder nur in Manuskript überliefert, vielfach in Madrid und Paris gedruckt, teils aber auch verschollen oder nur in Abschriften greifbar).

Ein Beispiele:

G 258–267 –  teils als Quartette angekündigt in Verlagskatalogen der 1790er Jahre, heute aber ohne Partituren nachweisbar.

G 268–285: meist „lost works“ – Gérard überliefert nur Titel, Opus nummern oder Hinweise aus Anzeigen (z. B. Paris, Madrid).

 

Besonderheit:

Streichquintett E-Dur op. 11 Nr. 5, G 275
Entstanden 1771 in Mailand, gehört dieses Quintett zu Boccherinis bekanntesten Werken. Die Besetzung mit zwei Violoncelli entspricht seiner Vorliebe und gibt dem Ensemble einen warmen, charakteristischen Klang. Die viersätzige Folge – Allegro moderato – Menuetto – Adagio – Allegro assai – verbindet Eleganz mit melodischem Reichtum. Besonders das Menuett, mit seiner anmutigen, tänzerischen Einfachheit, wurde weltberühmt und gilt bis heute als das populärste Stück Boccherinis.

 

https://www.youtube.com/watch?v=2AZOknKotVc

 

G 275 Quintetto per archi in mi maggiore Op.11, No.5, G275

https://www.youtube.com/watch?v=v6sIbG1K9-M 

G 286–295: in Handschriften oder Abschriften nachgewiesen, aber unvollständig; manche wohl Entwürfe oder nicht autorisierte Bearbeitungen.

 

Schlussbetrachtung

Mit seinen 100 Streichquartetten (G 195–295) gehört Boccherini neben Joseph Haydn zu den produktivsten Komponisten dieser Gattung im 18. Jahrhundert. Während Haydn das Quartett zu einer Bühne struktureller Innovation machte, schuf Boccherini eine eigene Tradition: voller Kantabilität, Eleganz, mediterraner Leuchtkraft und spanisch gefärbter Tanzrhythmen. Seine Quartette wirken oft intimer und lyrischer, aber keineswegs weniger kunstvoll. Dass viele dieser Werke bis heute kaum eingespielt oder aufgeführt werden, ist weniger ein Qualitätsurteil als vielmehr ein Zufall der Rezeptionsgeschichte. Gerade die späten Quartette zeigen eine Reife, die Boccherinis Bedeutung in der Quartettgeschichte weit stärker unterstreicht, als es ihr heutiger Bekanntheitsgrad vermuten lässt.

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Opus 25 – Sei Quintetti (1778)

G 295 – Quintett d-Moll

G 296 – Quintett Es-Dur

G 297 – Quintett A-Dur

G 298 – Quintett C-Dur

G 299 – Quintett G-Dur

G 300 – Quintett a-Moll

Die Sei Quintetti op. 25 (G 295–300) entstanden 1778 in Madrid und gehören zu den frühen, aber bereits reifen Beiträgen Boccherinis zur Gattung des Streichquintetts. Charakteristisch ist seine besondere Besetzung mit zwei Violoncelli statt der bei Mozart oder später bei Schubert üblichen zwei Bratschen. Diese ungewöhnliche Wahl verleiht den Quintetten einen warmen, tiefen Klang und spiegelt Boccherinis eigene Virtuosität auf dem Violoncello wider.

Die Tonarten – d-Moll, Es-Dur, A-Dur, C-Dur, G-Dur und a-Moll – bilden ein ausgewogenes Spektrum, wobei die Mollwerke (d-Moll und a-Moll) für eine dramatische Intensität sorgen, die sich wirkungsvoll von den heiteren Dur-Quintetten abhebt. Besonders das d-Moll-Quintett (G 295) gilt als klanglich dicht und von leidenschaftlicher Energie getragen, während das Es-Dur-Quintett (G 296) durch Eleganz und tänzerische Leichtigkeit besticht.

Stilistisch verbinden die Werke galanten Glanz mit einer zunehmenden polyphonen Verdichtung der Stimmen. Die melodische Linie bleibt stets kantabel, oft arienhaft, während Boccherini in den Finalsätzen gern schwungvolle, fast volkstümliche Themen verarbeitet. Typisch sind auch die Menuette, die im spanischen Umfeld eine eigene, manchmal rustikale Färbung erhalten.

Mit Opus 25 festigt Boccherini seinen Ruf als „Vater des Streichquintetts“. Er schuf eine Gattung, die in seiner besonderen Besetzungsform fast ausschließlich mit seinem Namen verbunden bleibt und deren Eigenart bereits in diesem Zyklus voll erkennbar ist: raffinierte Klangbalance, gesangliche Linienführung und originelle, oft überraschende Wendungen.

 

CD Boccherini, String Quintets, Vol. 6,  Brilliant Classics 2014

https://www.youtube.com/watch?v=py_1tGUvF08&list=OLAK5uy_lqYckhf591hO3Sv0wljD6MxsSdmz3Yzug&index=2

 

Opus 27 – Sei Quintetti (1779, „opera piccola“)

G 301 – Quintett A-Dur

G 302 – Quintett G-Dur

G 303 – Quintett e-Moll

G 304 – Quintett Es-Dur

G 305 – Quintett g-Moll

G 306 – Quintett b-Moll

 

Die Sei Quintetti op. 27 (G 301–306) entstanden 1779 in Madrid und tragen den Beinamen „opera piccola“. Dieser Zusatz bezieht sich nicht auf die künstlerische Bedeutung, sondern auf die bewusst leichtere, intimere Anlage dieser Werke. Boccherini komponierte sie für den privaten Rahmen, wahrscheinlich für Aufführungen am spanischen Hof oder in den Salons adeliger Musikliebhaber.

 

Die Tonartenfolge – A-Dur, G-Dur, e-Moll, Es-Dur, g-Moll und b-Moll – ist ausgesprochen abwechslungsreich und umfasst gleich drei Mollwerke. Damit unterscheidet sich Opus 27 von vielen seiner vorherigen Quintettzyklen, die meist in helleren Tonarten gehalten sind. Die Mollstücke (besonders g-Moll G 305 und b-Moll G 306) verleihen der Sammlung eine ernstere, manchmal schwermütige Grundierung, während die Dur-Quintette von galanter Eleganz und tänzerischem Schwung geprägt sind.

 

Die Form ist kompakter als in manch anderem Zyklus, ganz im Sinne des „opera piccola“. Dennoch zeigt Boccherini hier seine Meisterschaft im Klangfarbenreichtum der ungewöhnlichen Quintettbesetzung mit zwei Violoncelli. Das Cello übernimmt nicht nur harmonische Funktionen, sondern tritt oft mit melodischen Linien hervor und sorgt für eine unverwechselbare klangliche Tiefe.

 

Mit Opus 27 demonstriert Boccherini, dass seine Quintette nicht nur repräsentative Werke für große Anlässe sein konnten, sondern ebenso in kleinerem Rahmen durch feine melodische Erfindung, eleganten Dialog der Stimmen und subtile Ausdrucksnuancen zu überzeugen vermochten. Gerade in der Verbindung von Leichtigkeit und Nachdenklichkeit liegt der besondere Reiz dieser „opera piccola“.

https://www.youtube.com/watch?v=ml_u9nQ__mU&list=OLAK5uy_lKbxIcp35xoR_txdmOJN1rnZVqFt_uskg&index=2

 

Opus 28 – Sei Quintetti (1779)

G 307 – Quintett F-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=sg-QRfQRAv8

 

G 308 – Quintett A-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=oWeCkY5Wwo0

 

G 309 – Quintett Es-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=KSrtsbuSLnI

 

G 310 – Quintett C-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=dOKkbsDmfAs

 

G 311 – Quintett d-Moll

 

https://www.youtube.com/watch?v=NZcOShnv0ko

 

G 312 – Quintett A-Dur

 

Die Sei Quintetti op. 28 (G 307–312) entstanden 1779 in Madrid, also im selben Jahr wie die „opera piccola“ (op. 27), unterscheiden sich jedoch deutlich in ihrem Anspruch. Während op. 27 eher für intime Aufführungen gedacht war, zeigen die Werke von op. 28 eine größere formale Weite und Ausdrucksvielfalt.

Die Tonartenfolge – C-Dur, d-Moll, Es-Dur, F-Dur, A-Dur und B-Dur – ist sorgfältig ausgewogen und verbindet heitere, festliche Grundstimmungen mit einzelnen dramatischen Akzenten. Besonders das d-Moll-Quintett (G 308) sticht durch seine dunklere Färbung und leidenschaftliche Intensität hervor, während die übrigen Werke stärker auf galanten Glanz und kantable Eleganz setzen.

Charakteristisch ist die sangliche Melodik, die oft fast vokalen Charakter annimmt, sowie die originelle Behandlung der Menuette, die mal höfisch-elegant, mal tänzerisch-derb wirken können. Das Violoncello, Boccherinis ureigenes Instrument, erhält zahlreiche solistische Aufgaben und trägt wesentlich zur farbigen Gestaltung der Quintette bei.

Mit op. 28 festigt Boccherini seinen Rang als Meister des Streichquintetts: die Musik vereint feine Anmut, innere Balance und melodischen Reichtum mit Momenten dramatischer Zuspitzung. Damit gehören diese Werke zu den gelungensten Beispielen seiner mittleren Schaffensphase.

Opus 29 – Sei Quintetti (1779)

Die Sei Quintetti op. 29 (G 313–318) entstanden 1779 in Madrid, in einer besonders produktiven Schaffensphase Boccherinis. Nach den eher leichteren „opera piccola“-Quintetten (op. 27) und den repräsentativen op. 28 zeigen die Werke von op. 29 eine noch größere Spannweite zwischen galanter Eleganz und dramatischer Ausdruckskraft.

Die Tonarten – D-Dur, c-Moll, F-Dur, A-Dur, Es-Dur und g-Moll – decken ein breites Spektrum ab. Auffällig ist der hohe Anteil an Mollwerken (c-Moll und g-Moll), die dem Zyklus eine besondere Tiefe verleihen. Das g-Moll-Quintett (G 318) etwa wirkt leidenschaftlich-dramatisch, während das c-Moll-Quintett (G 314) durch innere Spannung und harmonische Kühnheit besticht. Die Dur-Quintette dagegen tragen den Charakter von heller Eleganz und tänzerischem Schwung, etwa im brillant wirkenden D-Dur (G 313) oder im festlichen A-Dur (G 316).

Stilistisch überzeugen die Werke durch die typische sangliche Linie Boccherinis, die sich vor allem in den langsamen Sätzen entfaltet, sowie durch eine reiche Palette an Klangfarben, die seine Quintettbesetzung mit zwei Violoncelli ermöglicht. Auch die Menuette sind von großer Vielfalt – teils höfisch-elegant, teils mit rustikal-spanischem Einschlag.

Insgesamt zeigt op. 29 die Reife des mittleren Boccherini: er verbindet die galante Tradition des 18. Jahrhunderts mit persönlicher Handschrift, dramatischer Intensität und einem unverwechselbaren Klangideal, das auf seinem Instrument, dem Violoncello, gründet.

 

G 313 – Quintett D-Dur

G 314 – Quintett c-Moll

G 315 – Quintett F-Dur

G 316 – Quintett A-Dur

G 317 – Quintett Es-Dur

G 318 – Quintett g-Moll

https://www.youtube.com/watch?v=7MV36_Yqpjw

 

Opus 30 – Sei Quintetti (1780)

Hier findet sich auch die berühmte „Musica notturna delle strade di Madrid“ (Nr. 6, G 324).

 

G 319 – Quintett B-Dur

G 320 – Quintett a-Mol

G 321 – Quintett C-Dur

G 322 – Quintett Es-Dur

G 323 – Quintett e-Moll

G 324 – Quintett C-Dur „La musica notturna delle strade di Madrid“

 

und

Opus 31 – Sei Quintetti (1780)

 

G 325 – Quintett Es-Dur

Mit dem Grave aus seinem Streichquintett op. 31 Nr. 1 (G. 325) hat Luigi Boccherini einen der schwärzesten und bewegendsten Sätze der gesamten Kammermusik des späten 18. Jahrhunderts geschaffen. Kaum ein anderes Werk dieser Zeit entfaltet eine vergleichbare Intensität des Leidens.

 

Der Komponist wählt dafür bewusst die Tonart c-Moll, die er mit einer Fülle von Ausdrucksmitteln auflädt: kühne Modulationen, scharfe Dissonanzen, Chromatik, übermäßige und verminderte Intervalle, Septnonakkorde und extreme Intervallsprünge. Alles zusammen erzeugt eine Klangwelt von bedrückender Schwere und melancholischer Tiefe – ein Ausdruck, der in seiner Schwermut selbst die oft als melancholisch empfundenen Werke Mozarts übertrifft.

 

Schon die Eröffnung überrascht: Über lang ausgehaltenen Cello-Tönen erhebt sich eine kurze, klagende Melodie der Violine. Ihre fünf Anfangstöne – c′, d′, es′, fis′, g′ – erinnern an eine sogenannte „Zigeunerskala“ und verleihen dem Beginn eine fremdartig-schmerzliche Färbung. Im weiteren Verlauf wechseln sich wehmütige Linien mit scharfen Ausbrüchen, resignativen Gesten und pathetischen Akzenten ab. Hilferufe der Violine, absteigende Skalen, punktierte Rhythmen und chromatische Verdichtungen prägen den Ausdruck. Immer wieder treten Motive in verkürzter Form oder in veränderten Tonarten auf, wodurch eine beklemmende Unruhe entsteht.

 

Besonders eindrucksvoll sind die beiden Codas, die den Satz rahmen: Zunächst erhebt sich über einem Cello-Pedal ein Motiv von wehmütiger Schönheit, das in großen Intervallsprüngen und Arpeggien kulminiert. Gegen Ende verdichten sich die Stimmen nochmals zu einem letzten Aufbäumen, bevor die Musik in tiefe Register absinkt. Schließlich verklingt der Satz im Pianissimo, mit einem Echo des früheren Schlussmotivs – nun aber ohne den glanzvollen Schwung, sondern in resignativer Stille.

 

Dieses Grave ist weit mehr als eine langsame Einleitung innerhalb eines Quintetts. Es ist eine eigenständige, fast elegische Meditation, die in ihrer emotionalen Wucht weit über das hinausweist, was man von der höfischen Kammermusik der Zeit erwarten würde. Wer sich auf diese düstere Klanglandschaft einlässt, begegnet einem Boccherini, der sich nicht im galanten Ton verliert, sondern das Leid in all seinen Schattierungen zu Musik werden lässt.

 

Warum ist dieses Grave so traurig?

 

1. Der außergewöhnlich düstere Charakter des Grave aus dem Streichquintett op. 31 Nr. 1 (G. 325) lässt sich kaum allein musikalisch erklären. Um 1780 befand sich Luigi Boccherini (1743–1805) in einer schwierigen Lebenssituation. Seit einigen Jahren lebte er mit seiner Familie in Arenas de San Pedro, fern der großen Musikzentren, im Dienst des verbannten Infanten Don Luis Antonio de Borbón (1727–1785). Diese kleine Residenz war zwar kultiviert, doch abgeschieden und melancholisch; es gab kaum öffentliche Konzerte, kein Publikum, keine Kollegen. Boccherini, der aus dem lebhaften Rom und Paris gekommen war, lebte dort in fast klösterlicher Zurückgezogenheit.

 

2. Noch schwerer wog ein persönlicher Schicksalsschlag. 1778 war seine erste Frau Clementina Pelliccia, eine Römerin, gestorben und hatte ihn mit mehreren Kindern allein zurückgelassen. Ihr früher Tod traf ihn tief. In den folgenden Jahren fand er keine neue Anstellung, die politischen Verhältnisse Spaniens blieben unsicher, und auch seine wirtschaftliche Lage verschlechterte sich zusehends. Alles deutet darauf hin, dass Boccherini in dieser Phase innerlich zerrissen war – zwischen Pflichtgefühl, Einsamkeit und Trauer.

 

3. In diesem biografischen Licht erscheint das Grave wie ein musikalisches Selbstgespräch, ein stiller Ausdruck persönlicher Not. Das Stück vermeidet jede galante Eleganz und greift stattdessen zu schmerzlich gespannten Linien, Chromatik, Dissonanzen und übermäßigen Intervallen – musikalische Zeichen von Leid und seelischer Erschütterung. Der Satz wirkt wie ein „Requiem ohne Worte“, vielleicht im Andenken an Clementina oder als Ausdruck jener stillen Verzweiflung, die aus dem isolierten Leben in Arenas spricht. In keinem anderen Werk dieser Zeit erreicht Boccherini eine derart eindringliche Verbindung von Formvollendung und innerer Trauer – eine Klage, die weit über den höfischen Stil seiner Epoche hinausweist.

 

Eine bewegende Aufnahme dieses Satzes lässt sich hier auf YouTube anhören:

 

https://www.youtube.com/watch?v=5TkdyXqpkMw

 

Das vollständige Streichquintett op. 31 Nr. 1 (G. 325), von  01:09:18 bis 01:28:53:

 

https://www.youtube.com/watch?v=Kiiv-WmV26U&t=4158s

G 326 – Quintett G-Dur

G 327 – Quintett B-Dur

G 328 – Quintett c-Moll

G 329 – Quintett A-Dur

G 330 – Quintett F-Dur

 https://www.youtube.com/watch?v=Kiiv-WmV26U

 

sowie

„La musica notturna delle strade di Madrid“

https://www.youtube.com/watch?v=hzNN1Pl_JlA

 

oder etwas authentischer...

https://www.youtube.com/watch?v=YLECIeC-cbQ

 

Dieses Stück, 1780 entstanden, ist ein Wunder an Kühnheit: ein Kammermusikwerk, das nicht das Erhabene, sondern das Alltägliche besingt. Während die Klassik sonst in höfischen Sälen, mythologischen Allegorien oder idealisierten Formen zu Hause ist, richtet Boccherini den Blick auf das, was in der Nacht auf der Straße geschieht – Glocken, Soldaten, betende Bürger, Bettler, Tänzer. Es ist ein radikaler Perspektivwechsel: Kunstmusik, die dem Volk und seiner unmittelbaren Realität ein Denkmal setzt.

 

Die sieben Szenen – das Ave-Maria-Geläut, die Soldatentrommeln, das groteske Minuett der Blinden, das Rosenkranzgebet, die nächtliche Straßenszene der Manolos, die erneute Trommel, der Rückzug der Nachtwache – sind wie Kapitel eines städtischen Rituals. Sie spiegeln den Rhythmus des Daseins wider: Gebet und Vergnügen, Ordnung und Ausgelassenheit, Frömmigkeit und Groteske, bis am Ende die „Ritirata“ – der Marsch zurück in die Kasernen – das Geschehen in traumhafte Ferne entrückt.

 

Doch Boccherinis Musik bleibt nicht bei bloßem Realismus. Sie ist durchdrungen von Symbolen. Der Dirigent Dick van Gasteren liest darin ein verborgenes Netz von Bedeutungen: Politik, Religion, Theater, bildende Kunst, ja sogar eine verschlüsselte Liebesgeschichte. Diese Deutung macht deutlich, wie sehr Boccherini in seiner spanischen Umgebung von den Übergängen zwischen Bühne und Wirklichkeit, Ritual und Alltag fasziniert war.

 

In philosophischer Hinsicht lässt sich das Werk als frühe Reflexion über die „Stadt“ in der Musik verstehen. Madrid erscheint hier nicht als konkrete Topografie, sondern als seelischer Raum, in dem sich die Gegensätze menschlichen Lebens begegnen: der Glaube, das Militär, das Elend, das Vergnügen, die Nacht. Dass Boccherini die Partitur zu Lebzeiten zurückhielt, deutet auf eine Einsicht: Die Erfahrung der Straße lässt sich nicht einfach exportieren, sie ist an ihren Ort gebunden. Musik, die so tief im kulturellen Gedächtnis einer Stadt verankert ist, konnte für Fremde verschlüsselt bleiben – weshalb das Werk erst 1921 im Druck erschien.

 

In ästhetischer Hinsicht ist es eine frühe Vorwegnahme dessen, was man später „Programmmusik“ nennen wird: die Idee, dass Töne nicht nur abstrakte Formen bilden, sondern Wirklichkeit und Geschichte, Erinnerung und Emotion in Klang verwandeln können. Boccherini gelingt dies nicht durch große Effekte, sondern durch Feinheiten: Pizzicati, die wie Gitarren klingen; absichtlich plump gespielte Tänze („con mala grazia“), die die Ungeschicklichkeit der Blinden hörbar machen; Crescendi und Diminuendi, die einen sich entfernenden Zug simulieren. Hier wird Musik zu akustischer Philosophie: Sie zeigt, wie das scheinbar Unbedeutende – der Ton einer Glocke, ein Volkstanz, das Klagen der Armen – in Kunst erhoben werden kann, ohne seine Erdenschwere zu verlieren.

 

So ist „La musica notturna delle strade di Madrid“ zugleich eine Partitur der Erinnerung und der Verwandlung. Sie konserviert die Klangwelt einer Stadt, die längst vergangen ist, und erhebt sie in den Rang des Universellen. Der Hörer wandelt durch Madrids nächtliche Straßen und erkennt zugleich sich selbst darin: als Teil einer Gemeinschaft, deren Leben sich zwischen Sakralität und Profanität, Ordnung und Chaos, Ernst und Spiel entfaltet.

 

Opus 36 – Sei Quintetti (1784–86)

G 331 – Es-Dur

G 332 – D-Dur

G 333 – G-Dur

G 334 – a-Moll

G 335 – g-Moll

G 336 – F-Dur, „Quintettino dello scacciapensiero“

https://www.youtube.com/watch?v=BZ1wGfFr4uY

 

Opus 40 – Sei Quintetti (1788)

G 340 – Quintett C-Dur (Tracks 5 und 6)

https://www.youtube.com/watch?v=W_1f-22BEj8&list=OLAK5uy_nEWSAju6BQtyhqgt3JxpjjHhP4aurHmgg&index=5

 

G 341 – Quintett D-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=bQTqd4ZtQoo

 

G 342 – Quintett Es-Dur

G 343 – Quintett F-Dur

G 344 – Quintett G-Dur

G 345 – Quintett A-Dur

 

Op. 41 – Zwei Quintette (1788, Wien bei Artaria)

G 346 – Quintett Es-Dur

https://www.youtube.com/watch?v=RMNgdQh2HDg

 

G 347 – Quintett F-Dur (Tracks 8 bis 11)

https://www.youtube.com/watch?v=CuKT_mnjBps&list=OLAK5uy_lpyVwmIy2mq3HmIgg8N0Kn-MocUIoksGg&index=8

 

Op. 42 – „Sei Quintetti“ (1789, Paris bei Sieber) – tatsächlich 4 Quintette + 2 Quartette

Quintette:

G 348 – f-Moll

G 349 – C-Dur

G 350 – h-Moll

G 351 – g-Moll

CD Boccherini, String Quintets Op.42, Elisa Baciocchi String Quintet, Da Vinci Classics 2021

https://www.youtube.com/watch?v=vyGz2ieSgXA&list=OLAK5uy_nmIgaekn1VXkyW_JytlFLxavRCWp7n2lI&index=2

 

Opus 43 – Drei Quintetti (1790/92, gemischtes Opus)

 

G 352 – Quintett C-Dur

G 353 – Quintett D-Dur

CD Boccherini, Cello Quintets, Vol. 2, The Vanbrugh Quartet, Hyperion 2003 (Tracks 11 bis 14 =  G 353)

https://www.youtube.com/watch?v=t3hLa3wWlAM&list=OLAK5uy_nXiHTjXoE3DJY7K43uKDhU8XXEDI8rDrg&index=11

 

G 354 – Quintett Es-Dur

 

Opus 45 – Vier Quintetti (1792)

G 355 – Quintett c-Moll

CD Boccherini, Trio, Quartet, Quintet und Sextet for strings, Europa Galante · Fabio Biondi, Warner Classics  2009 (Tracks 1 bis 4; G 355)

https://www.youtube.com/watch?v=hDPB9MKymgY&list=OLAK5uy_nP7eu5DXkoQdSY3K3fZfTaDNsn_1oZ0_k&index=2

 

G 356 – Quintett D-Dur

G 357 – Quintett Es-Dur

G 358 – Quintett C-Dur

CD Boccherini, 3 String Quintets, Europa Galante, Fabio Biondi, Opus 111 2000 (Tracks 1 bis 4; G 358)

https://www.youtube.com/watch?v=vchuSFU7XPk&list=OLAK5uy_kcZRGB6qjPmzohN0z-LSAA6iwfQJg788Q&index=2

 

Opus 46 – Sei Quintetti (1793, Wien)

G 359 – Quintett B-Dur

G 360 – Quintett d-Moll

G 361 – Quintett C-Dur

G 362 – Quintett g-Möll

CD Boccherini, 3 String Quintets, Europa Galante, Fabio Biondi, Opus 111 2000 (Tracks 5 bis 8)

https://www.youtube.com/watch?v=0GKZ7M2e-cM&list=OLAK5uy_kcZRGB6qjPmzohN0z-LSAA6iwfQJg788Q&index=5

 

G 363 – Quintett F-Dur

G 364 – Quintett Es-Dur

 

Opus 49 – Fünf Quintetti (1794 Paris)

G 365 – Quintett C-Dur

G 366 – Quintett D-Dur

G 367 – Quintett Es-Dur

G 368 – Quintett F-Dur

G 369 – Quintett G-Dur

 

Opus 50 – Sechs Quintetti (1795)

G 370 – A-Dur

G 371 – Es-Dur

G 372 – B-Dur

G 373 – E-Dur

G 374 – C-Dur

G 375 – B-Dur

 

Opus 55 – Sei Quintetti für Oboe/Flöte und Streicher (1797)

G 431 – G-Dur

G 432 – F-Dur

G 433 – D-Dur

G 434 – A-Dur

G 435 – Es-Dur

G 436 – d-Moll

CD Boccherini, 6 Oboe Quintets, Op. 55, Sarah Francis, Allegri String Quartet, Decca 1981

https://www.youtube.com/watch?v=eR2JhMx_8w8&list=OLAK5uy_mjGH03jhizPhxqclLaXDHRS48aQtUv0EE&index=2

 

Opus 56 und 57 – Zwölf Klavierquintette (1797/99)

G 407–418 – Quintette für Klavier und Streicher

CD Boccherini Complete Clavier Quintets, Ensemble Claviere, Brilliant Classics 2014

https://www.youtube.com/watch?v=ORri1jkWQTE&list=OLAK5uy_lnfww-BZNbk2pSGBPQ09BYJf1LRU9pcVA&index=2

 

Opus 60 – Sechs Quintetti (1801/02, Besetzung: 2 Violinen, 2 Bratschen, 1 Cello)

G 391 – C-Dur

G 392 – B-Dur

G 393 – A-Dur

G 394 – Es-Dur – verschollen

G 395 – G-Dur

G 396 – F-Dur

CD Luigi Boccherini, String Quintets Op. 60, Elisa Baciocchi String Quintet, Da Vinci Classics 2024

https://www.youtube.com/watch?v=pIzaq1nZrXM&list=OLAK5uy_lW_JcHk2UjUIuGfnmKaC2kDIobVEzbd78&index=2

 

Luigi Boccherini – Sechs Streichquintette op. 60 (G 391–396) und ihre moderne Präsentation

Die sechs Quintette op. 60 (1801/02) gehören zu den späten Meisterwerken Luigi Boccherinis (1743–1805). Besetzt mit zwei Violinen, zwei Bratschen und Violoncello, zeigen sie, wie Boccherini die Gattung des Streichquintetts über Jahrzehnte hinweg geprägt und zu einer seiner markantesten Ausdrucksformen gemacht hat.

Die ursprüngliche Tonartenfolge des Zyklus lautet:

G 391 – C-Dur (Nr. 1)

G 392 – B-Dur (Nr. 2)

G 393 – A-Dur (Nr. 3)

G 394 – Es-Dur (Nr. 4, verschollen)

G 395 – G-Dur (Nr. 5)

G 396 – F-Dur (Nr. 6)

Damit bleibt das Es-Dur-Quintett als unheilbare Lücke bestehen – ein verlorenes Bindeglied, das den Zyklus fragmentarisch erscheinen lässt.

 

Die CD als dramaturgisches Konzept

Die von dir entdeckte Einspielung geht mit dieser Situation überraschend souverän um. Sie präsentiert die Werke nicht in der Reihenfolge ihrer Nummern, sondern in einer bewusst gestalteten Dramaturgie:

Tracks 1–4: Op. 60 Nr. 2 (B-Dur, G 392)

Tracks 5–8: Op. 60 Nr. 3 (A-Dur, G 393)

Tracks 9–12: Op. 60 Nr. 6 (F-Dur, G 396)

Tracks 13–15: Op. 60 Nr. 1 (C-Dur, G 391)

Tracks 16–19: Omaggio a Luigi Boccherini (Claudio Valenti)

Tracks 20–23: Op. 60 Nr. 5 (G-Dur, G 395)

Diese Abfolge folgt keinem äußeren Zwang, sondern einem künstlerischen Gedanken: Die CD stellt Kontraste und Spannungen in den Vordergrund. Sie beginnt nicht mit dem offiziellen „ersten“ Quintett, sondern mit Nr. 2, führt über die strahlende Tonart A-Dur (Nr. 3) in die warme Klangwelt von F-Dur (Nr. 6) und kehrt dann nach C-Dur (Nr. 1) zurück – wie ein Rückgriff auf die Wurzel des Zyklus.

An der Stelle, wo das verschollene Es-Dur-Quintett (Nr. 4) stehen müsste, setzt die Aufnahme ein deutliches Zeichen: das neu komponierte „Omaggio a Luigi Boccherini“ von Claudio Valenti. Es ersetzt nicht heimlich das verlorene Werk, sondern macht die Lücke hörbar und zugleich produktiv, indem es Boccherinis Stil in moderner Sprache reflektiert. Den Abschluss bildet das G-Dur-Quintett (Nr. 5), das die Reihe in hell strahlender Tonart beschließt.

 

Satzbezeichnungen (nach Opus-Zuordnung)

Um die CD im Detail zu verfolgen, hier die Sätze der einzelnen aufgenommenen Werke:

Op. 60 Nr. 2, B-Dur (G 392)

  1. Allegro giusto

  2. Minuetto

  3. Adagio non tanto

  4. Rondo: Allegro

 

Op. 60 Nr. 3, A-Dur (G 393)

  1. Allegro con moto

  2. Minuetto: Allegro

  3. Adagio

  4. Rondo: Allegretto

 

Op. 60 Nr. 6, F-Dur (G 396)

  1. Allegro moderato

  2. Minuetto: Allegro

  3. Grave assai

  4. Rondo: Allegro

 

Op. 60 Nr. 1, C-Dur (G 391)

  1. Allegro moderato

  2. Minuetto: Allegro

  3. Grave

  4. Rondo: Allegro vivace

 

Omaggio a Luigi Boccherini (Claudio Valenti)
– Hommage in vier Sätzen, bewusst im Geiste Boccherinis gestaltet (moderne Komposition, kein Teil des ursprünglichen Zyklus)

 

Op. 60 Nr. 5, G-Dur (G 395)

  1. Allegro moderato

  2. Minuetto: Allegro

  3. Adagio

  4. Rondo: Allegro vivace

 

Fazit

Die CD ist also nicht bloß eine Sammlung der späten Quintette, sondern eine dramaturgische Neuordnung. Indem die Reihenfolge durchbrochen wird, entsteht ein Bogen, der zwischen heiterem Beginn, kontemplativen Mittelteilen und glanzvollem Finale balanciert. Das „Omaggio a Luigi Boccherini“ fügt sich dabei als kreativer Ersatz für das verschollene Es-Dur-Quintett ein und verwandelt eine editorische Lücke in einen künstlerischen Höhepunkt.

So wird aus einem Zyklus, der auf dem Papier unvollständig ist, eine in sich geschlossene, erzählerisch dichte Einheit – eine sehr bewusste und zugleich mutige Entscheidung der Interpreten.

 

Opus 62 – Sechs Quintetti (1802, ebenfalls 2 Bratschen-Besetzung)

G 397 – Quintett C-Dur

CD Boccherini, Quintets With Two Violas, Ensemble 415 · Chiara Banchini, harmonia mundi 2008 (Tracks 4 bis 7):

 

https://www.youtube.com/watch?v=gPV97hnjR2I&list=OLAK5uy_lvQq65ix1p3qctYRCZAHnlCnDiWnb0NOk&index=4

 

G 398 – Quintett D-Dur

G 399 – Quintett Es-Dur

G 400 – Quintett F-Dur

G 401 – Quintett G-Dur

CD Boccherini, L., String Quintets Nos. 15, 16, 23, and 62, Ulrich Knorzer, Ensemble: Petersen Quartet, Capriccio 2005 (Tracks 4 bis 6):

https://www.youtube.com/watch?v=y7weKlLcX_4&list=OLAK5uy_l9bfVtaVAiYKtpBtzwEQlJKR2EeE1RICc&index=4

 

Opus 38 – Sei Notturni (1787)

Besetzung variabel: für 2 Violinen, Viola, 2 Violoncelli, Kontrabass, manchmal mit Oboen/Flöten.

Zwei dieser Werke sind verschollen.

G 467 – Notturno C-Dur

G 468 – Notturno D-Dur

G 469 – Notturno Es-Dur

G 470 – Notturno F-Dur (Tracks 5 bis 7)

https://www.youtube.com/watch?v=8u10fdOCwrQ&list=OLAK5uy_me4RY1N8bAtoGPccZ5R3z0B_bozcbi5wo&index=5

 

G 471 – Notturno G-Dur

G 472 – Notturno A-Dur

 

 

G 402 – Quintett A-Dur

Weitere Quintette (G 403–453)

Darunter die berühmten Gitarrenquintette (G 445–451, 453), entstanden 1798/99 für den Marques de Benavente - Francisco Alfonso Pimentel y Borja (1707 – 1763). Besonders populär:

G 448 – Quintett D-Dur „Fandango“

https://www.youtube.com/watch?v=igA4aEbqaEo

 

G 449 – Quintett G-Dur „La ritirata di Madrid“ (Gitarrenfassung)

https://www.youtube.com/watch?v=8VczA6pp8bo

 

Andere zusätzliche Werke umfassen Mischbesetzungen (Flöte, Oboe, Klavier) und Einzelstücke, die nicht ins offizielle Opusverzeichnis aufgenommen wurden.

CD Boccherini, The Guitar Quintets, Pepe Romero · Academy of St Martin in the Fields Chamber Ensemble, DECCA 1993

 

https://www.youtube.com/watch?v=_6UEumR0og4&list=OLAK5uy_lp1MApX2GfB_IjIgoiOtqe2Yjs2MXYmRg&index=1

 

Sextette, Septette und größere Kammermusik (G 454–473)

 

Opus 23 – Sei Sestetti (1776, Madrid)

Besetzung: 2 Violinen, Viola, 2 Violoncelli, Kontrabass – eine Art „Kammerorchester im Kleinen“, die einen vollen Klang erzeugt.

 

G 454 – Sextett C-Dur

G 455 – Sextett D-Dur

G 456 – Sextett Es-Dur

G 457 – Sextett F-Dur

G 458 – Sextett G-Dur

G 459 – Sextett A-Dur

 

CD Boccherini, L. Sextets - Op. 23, Nos. 1, 3, 4, 6, Mayumi Seiler, Capriccio 1992:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=Da69cyks9q8&list=OLAK5uy_luS_pgMaUY-eCVr7WfyClMMwV1V7bBidU&index=2

 

Opus 16 – Sei Divertimenti (1773)

Besetzung: Flöte, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass – eine Mischung aus Serenade und Divertimento.

G 461 – A-Dur

G 462 – F-Dur

G 463 – A-Dur

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=fhGLkunkXjs

 

G 464 – Es-Dur

G 465 – A-Dur

G 466 – C-Dur

CD Boccherini, L. Divertimenti - Op. 16, Nos. 1, 4, 5, 6, Eckart Haupt, Capriccio 1993:

https://www.youtube.com/watch?v=BKRN7KCSxGs&list=OLAK5uy_ltSR2UbDOSPVx_PvtBD1axG10fA6Aadac&index=2

 

Opus 38 – Sei Notturni (1787)

Besetzung variabel: für 2 Violinen, Viola, 2 Violoncelli, Kontrabass, manchmal mit Oboen/Flöten. Zwei dieser Werke sind verschollen.

G 467 – Notturno C-Dur (Tracks 7 bis 9)

https://www.youtube.com/watch?v=5hJjb0Ng_d0&list=OLAK5uy_lIPks74LYyhN8cs8UN0ZK8JT9ryrdhrwM&index=7

 

G 468 – Notturno D-Dur – verschollen

G 469 – Notturno Es-Dur  – verschollen

G 470 – Notturno F-Dur (Tracks 5 bis 7)

 

https://www.youtube.com/watch?v=8u10fdOCwrQ&list=OLAK5uy_me4RY1N8bAtoGPccZ5R3z0B_bozcbi5wo&index=5

 

G 471 – Notturno G-Dur

G 472 – Notturno A-Dur

 

Spätes Oktett (1790, Madrid)

G 473 – Oktett (auch Sinfonia genannt, op. 42) D-Dur für Flöte, Oboe, 2 Violinen, Viola, 2 Violoncelli, Kontrabass (heute verschollen)

 

Diese Werke sind eine Übergangszone zwischen Kammermusik und Orchester. Boccherini nutzt die Gelegenheit, die Klangpalette zu verbreitern: die tiefen Streicher (Celli & Bass) sorgen für Fundament, während die Bläser Farbe hinzufügen. Besonders die Notturni op. 38 gelten als kostbar: abendliche Stimmung, mit sanften Texturen und gelegentlich volkstümlich-spanischen Einschlägen.

 

Konzerte (G 474–491 ff.)

Cellokonzerte (G 474–483, 573, weitere fragliche Werke)

Boccherini schrieb mindestens 12 Cellokonzerte, wohl zwischen ca. 1760 und 1775, überwiegend in Wien und frühen Madrider Jahren. Sie sind formal noch der italienischen Tradition (z. B. Sammartini) verbunden, aber mit seiner charakteristischen Kantabilität im Solopart.

 

G 474 – Cellokonzert D-Dur

G 475 – Cellokonzert G-Dur

G 476 – Cellokonzert C-Dur

G 477 – Cellokonzert G-Dur

G 478 – Cellokonzert Es-Dur

G 479 – Cellokonzert C-Dur

G 480 – Cellokonzert A-Dur

G 481 – Cellokonzert C-Dur

G 482 – Cellokonzert F-Dur

G 483 – Cellokonzert D-Dur

G 573 – Cellokonzert B-Dur (zweifelhafte Zuschreibung, teils nur als Bearbeitung erhalten)

https://www.youtube.com/watch?v=zBbtJA3c5vM

 

Weitere, in Handschriften bezeugte, aber verlorene oder unvollständig überlieferte Cellokonzerte (u. a. ein Konzert in Es-Dur, eines in B-Dur ohne gesicherte G-Nummer).

Berühmtheit erlangte besonders das Konzert in F-Dur G 482, weil es von Friedrich Grützmacher im 19. Jahrhundert stark bearbeitet wurde und so im Konzertleben verbreitet war – bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich in dieser Fassung.

Konzert in F-Dur, G 482

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=g_8QMdzf2JU

 

Sämtliche Cellokonzerte:

https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=zZbcIVTuHKQ&t=1379s

 

Cellokonzerte  und andere Werke (G 484–491)

Nur wenige sind überliefert, teils unsichere Zuschreibung. Sie entstanden wahrscheinlich in den frühen 1760er Jahren.

 

G 484 – Cello-Concertino D-Dur

G 485 – Violinkonzert B-Dur (nicht von Boccherini)

G 486 – Violinkonzert C-Dur (nicht von Boccherini)

 

Satz 1 – Allegro moderato:

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=Pgl7ibgyekw

 

Satz 2 – Andante:

https://www.youtube.com/watch?v=Qd1eLxaS-uI

 

Satz 3 – Finale:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=-3IL8DZINEg

 

G 487 – Cembalokonzert in Es-Dur

G 488 – Cembalokonzert D-Dur (Autor unsicher)

G 489 – Flötenkonzert in D-Dur – nicht von Boccherini sondern von František Xaver Pokorný (1729–1794).

Deshalb auch keine seriösen Aufnahmen unter Boccherinis Namen.

G 490 – Sinfonia concertante D-Dur

CD Boccherini, 7 Symphonies, Adrian Shepherd, Chandos Records 1985 (Tracks 1 bis 3):

https://www.youtube.com/watch?v=thfe-kwA-DE&list=OLAK5uy_l-cJmorMtWTb_QIXPqOoHYQoyyKw3oQTA&index=2

 

G 491 – Concerto a più stromenti obligati, op. 7 (1769), Sinfonia concertante C-Dur, nicht als Solo-Violinkonzert

Der dritte Satz – Allegro -  aus der Sinfonia concertante op. 7 (G 491) in C-Dur:

https://www.youtube.com/watch?v=td48zLzegIo

 

Sinfonien (G 493–520 ff.)

Frühe Sinfonien (um 1765–1775)

Diese entstanden teils noch in Lucca, teils in Madrid.

G 503 – Sinfonie D-Dur, op. 12/1 (1771)

G 504 – Sinfonie Es-Dur, op. 12/2

G 505 – Sinfonie F-Dur, op. 12/3

G 506 – Sinfonie G-Dur, op. 12/4

G 507 – Sinfonie A-Dur, op. 12/5

G 508 – Sinfonie C-Dur, op. 12/6

(Opus 12, „Sei Sinfonie“, 1771/72 in Madrid entstanden und bei Venier in Paris gedruckt.)

 

CD Boccherini - The 6 Symphonies, op.12,  Emanuel Hurwitz, Kenneth Moore, Norman Jones, Rowena Ramsell, New Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Raymond Leppard (1927 - 2019), Universal International Music B.V. 1971

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=aQiXPL5k5kg&list=OLAK5uy_noGzDJJbWk_yga6SEqU6e4f1J6UlGQlbU&index=2

 

Reifere Sinfonien (1782–1787)

Hier wird Boccherinis Orchestersprache dichter, oft mit kontrapunktischen Elementen.

G 509 – Sinfonie C-Dur, op. 35/1 (1782)

G 510 – Sinfonie D-Dur, op. 35/2

G 511 – Sinfonie Es-Dur, op. 35/3

G 512 – Sinfonie F-Dur, op. 35/4

G 513 – Sinfonie G-Dur, op. 35/5

G 514 – Sinfonie A-Dur, op. 35/6

Opus 35, „Sei Sinfonie“, Madrid 1782, gewidmet König Karl III. von Spanien (1759 – 1788).

 

CD Boccherini - 6 Symphonies, G 509-514, London Festival Orchestra unter der Leitung von Ross Pople (* 1945), Hyperion 1995:

https://www.youtube.com/watch?v=eZFXC4XEYMk&list=OLAK5uy_lhKltoXK-GdPOCcWnjb4mD8sFmPzDvpcM&index=1

 

G 515 – Sinfonie C-Dur, op. 37/1 (1787, „La casa del diavolo“) – Tracks 1 bis 4:

https://www.youtube.com/watch?v=IBPw99ay4is&list=OLAK5uy_nlO-5hxvofQK06h8WHo_eDnXVzvMeQfds&index=2

 

Die 1787 entstandene Sinfonie C-Dur, op. 37 Nr. 1 (G 515) nimmt in Boccherinis sinfonischem Schaffen eine besondere Stellung ein. Sie trägt den vielsagenden Beinamen „La casa del diavolo“ – „Das Haus des Teufels“ –, der sich auf den dramatischen Schlusssatz bezieht und dieser Musik einen fast programmatischen Charakter verleiht. Schon ihre Entstehungszeit deutet auf Boccherinis Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten: Er befand sich in Madrid, stand in Diensten des Infanten Don Luis, und trotz seiner relativen Isolation von den großen europäischen Musikzentren zeigte er in dieser Sinfonie, dass er mit den experimentellen Strömungen der Wiener Klassik und des „Sturm und Drang“ Schritt hielt.

Die viersätzige Anlage eröffnet mit einem lebhaften Allegro con moto, dessen Themen gleichsam funkelnd und feierlich auftreten, bevor sie sich in kontrapunktisch gearbeiteten Passagen verdichten. Die Musik strahlt heitere Eleganz aus, aber unter der Oberfläche ist schon jene nervöse Energie spürbar, die dem Werk seinen dämonischen Ruf eingebracht hat.

Im zweiten Satz, Andantino con moto, findet sich ein empfindsamer, gesanglicher Tonfall. Hier lässt Boccherini jene Kantabilität aufleuchten, die man aus seinen Streichquintetten kennt. Die Melodielinien scheinen wie improvisiert, der Orchesterklang bleibt transparent, beinahe kammermusikalisch.

Darauf folgt ein Minuetto, das – weit entfernt von höfischer Leichtigkeit – eher herb, fast feierlich schreitet. In seinen kontrastierenden Trioteilen zeigt sich Boccherinis Sinn für klangliche Farbwechsel, die die tänzerische Grundform beleben.

Den Höhepunkt bildet jedoch das Finale: Andante sostenuto – Allegro assai. Hier beschwört Boccherini eine unheimliche, schicksalhafte Atmosphäre, die in der Musikgeschichte einzigartig wirkt. Grundlage war sein Eindruck von Christoph Willibald Glucks (1714 – 1787) berühmter „Tanz der Geister“- Szene aus „Don Juan“, die er in Madrid kennengelernt hatte. Aus dieser Inspiration entstand ein Finalsatz, der mit seiner düsteren Einleitung und den eruptiven, stürmischen Allegro-Passagen tatsächlich das Bild eines „teuflischen Hauses“ wachruft. Chromatische Wendungen, plötzliche dynamische Kontraste und ein fieberhafter Rhythmus lassen den Zuhörer kaum zur Ruhe kommen.

So verbindet diese Sinfonie klassische Formstrenge mit einem dramatischen Ausdrucksgehalt, der seiner Zeit weit voraus war. Boccherinis „La casa del diavolo“ zeigt ihn nicht nur als eleganten Meister galanter Melodik, sondern auch als Klangmagier, der das Unheimliche, Dunkle und Bedrohliche musikalisch zu bannen verstand. In dieser Mischung liegt der bleibende Reiz des Werkes – eine Sinfonie, die gleichermaßen die Raffinesse der Klassik wie die leidenschaftliche Vorahnung der Romantik in sich trägt.

 

G 516 – Sinfonie D-Dur, op. 37/2 – verschollen

Von der Sinfonie D-Dur, op. 37 Nr. 2 (G 516) ist leider keine Partitur mehr überliefert. Zeitgenössische Kataloge und Aufstellungen nennen sie zwar, und auch im Werkverzeichnis Gérard ist sie dokumentiert, doch das Material selbst gilt als verloren. Damit bildet sie innerhalb des Zyklus op. 37 ein schmerzliches Fehlstück zwischen der C-Dur-Sinfonie „La casa del diavolo“ (G 515) und der dramatischen d-Moll-Sinfonie (G 517).

Aus den vorhandenen Quellen lässt sich zumindest erschließen, dass es sich um ein viersätziges Werk handelte, vermutlich in der klassischen Anlage Allegro – Andante – Menuetto – Finale. Die Wahl der Tonart D-Dur deutet auf eine heitere, festliche Grundhaltung hin, die im späten 18. Jahrhundert oft mit Glanz und Brillanz verbunden war. Möglicherweise sollte diese Sinfonie innerhalb des Opus als „leichteres“ Gegenstück zu den dämonischen oder tragischen Nachbarwerken fungieren.

Dass G 516 verschollen ist, hängt wohl mit Boccherinis schwieriger Lebenssituation in Spanien zusammen: Viele seiner Werke blieben in handschriftlichen Stimmenpartituren im Besitz privater Auftraggeber und wurden nie gedruckt. So konnte die Musik leicht verloren gehen, wenn Bibliotheken aufgelöst oder Nachlässe zerstreut wurden.

Die D-Dur-Sinfonie bleibt damit eine Leerstelle, die die Geschlossenheit des Zyklus op. 37 unterbricht. Zugleich erinnert sie daran, wie viel von Boccherinis Œuvre nur bruchstückhaft überliefert ist – und wie kostbar die Werke sind, die uns noch zur Verfügung stehen.

 

G 517 – Sinfonie d-Moll, op. 37/3 – Tracks 8 bis 11:

https://www.youtube.com/watch?v=maKDTf26lKc&list=OLAK5uy_nlO-5hxvofQK06h8WHo_eDnXVzvMeQfds&index=8

 

Die Sinfonie d-Moll, op. 37 Nr. 3 (G 517) entstand ebenfalls im Jahr 1787 und ist ein Werk von außergewöhnlicher Dramatik. Boccherini, der sonst als Meister galanter Eleganz und kammermusikalischer Delikatesse gilt, zeigt hier seine andere, dunklere Seite. Schon die Wahl der Tonart d-Moll, die in der Musikgeschichte seit Mozarts „Don Giovanni“ oder später Beethovens Neunter Sinfonie als Inbegriff tragischer Ausdruckskraft gilt, weist auf die emotionale Tiefenschicht des Werkes hin.

 

Das eröffnende Allegro moderato beginnt mit energischen Gesten, die von synkopischen Rhythmen und markanten Unisoni geprägt sind. Die Themen wirken entschlossen und kantig, die Verarbeitung ist dicht und dramatisch. Boccherini nutzt hier alle Mittel des Orchesterapparats, um eine Atmosphäre von Unruhe und Bedrohung zu evozieren.

Der zweite Satz, Andantino, steht in starkem Kontrast: Ein gesangliches Thema entfaltet sich mit sanfter Innigkeit, doch selbst hier bleibt der Schattencharakter der Molltonart spürbar. Der Satz besitzt eine eigentümliche Melancholie, die nicht in heitere Entspannung mündet, sondern vielmehr wie ein stilles Innehalten vor den kommenden Stürmen wirkt.

Das Menuetto zeigt Boccherinis Fähigkeit, selbst traditionelle Formen mit eigentümlichem Ernst zu erfüllen. Der Tanz verliert alles Spielerische; die Schritte wirken schwer, beinahe gravitätisch, als sei das Menuett hier zum Schauplatz ernster Reflexion geworden. Das Trio bringt nur kurze Aufhellung, bevor die Strenge des Hauptteils zurückkehrt.

Im Finale (Allegro assai) entlädt sich die zuvor angestaute Spannung. Rasende Läufe, schroffe Dynamikwechsel und ein unerbittlicher Rhythmus treiben den Satz voran. Immer wieder blitzen Themen auf, die wie gehetzt wirken, als ob sie von einer unsichtbaren Macht vorwärtsgetrieben würden. Der Schluss kennt kein versöhnliches Licht: Die Sinfonie endet abrupt und lässt den Hörer in dramatischer Erschütterung zurück.

Damit zeigt sich die d-Moll-Sinfonie als Gegenstück zur „Casa del diavolo“ in C-Dur. Beide Werke teilen die Faszination für das Dämonische, das Unruhige, das Bedrohliche – ein Ausdruck, der in Boccherinis Gesamtwerk singulär ist. Mit G 517 überschritt er die Grenzen höfischer Unterhaltungsmusik und schuf ein Werk von existenzieller Wucht, das bereits romantische Ausdruckswelten vorwegnimmt.

 

G 518 – Sinfonie A-Dur, op. 37/4:

https://www.youtube.com/watch?v=EtM3OcZ6NO4

 

Die Sinfonie A-Dur, op. 37 Nr. 4 (G 518) wurde 1787 vollendet und gehört zum gleichen Zyklus wie die düsteren Schwesternwerke in C-Dur („La casa del diavolo“, G 515) und d-Moll (G 517). Im Vergleich dazu wirkt die A-Dur-Sinfonie auf den ersten Blick heller und festlicher, doch auch hier zeigt Boccherini, wie stark er sich mit dramatischen Ausdrucksformen auseinandergesetzt hat.

Das eröffnende Allegro giusto entfaltet eine strahlende, lebhafte Thematik, die von energischen Akkorden eingeleitet wird. Charakteristisch ist Boccherinis Vorliebe für klare Periodik, die er jedoch immer wieder mit plötzlichen dynamischen Akzenten durchbricht. Trotz der heiteren Tonart entsteht so eine innere Spannung, die den Satz über den bloß galanten Stil hinausführt.

Im zweiten Satz, Andantino con moto, lässt Boccherini den lyrischen Atem seiner Kammermusik spürbar werden. Eine gesangliche Hauptmelodie wird mit delikaten harmonischen Wendungen begleitet, wodurch ein inniges, beinahe intimes Klangbild entsteht. Dieser langsame Satz zeigt den „cantabile“-Ton, für den der Komponist berühmt war.

Das Menuetto greift wieder in eine festliche Sphäre aus. Boccherini wählt einen eher strengen, schreitenden Gestus, der dem Satz Würde und Gravität verleiht. Im Trio hellt sich die Stimmung etwas auf, bevor die kräftige Hauptpartie zurückkehrt.

Im Finale (Allegro assai) zeigt sich der Komponist von seiner virtuosen Seite. Der Satz ist von tänzerischer Energie durchzogen und wirkt wie eine brillante Auflösung der zuvor aufgebauten Spannung. Rasche Läufe, prägnante Themen und eine schwungvolle Rhythmik prägen diesen Schluss, der den Zyklus in einer freudigen, wenn auch nicht unbeschwerten Geste beschließt.

So zeigt die A-Dur-Sinfonie, dass Boccherini innerhalb des op. 37 nicht nur das Dämonische und Tragische thematisierte, sondern auch die strahlende Festlichkeit einer klassischen Sinfonie gestalten konnte. In ihrer Mischung aus Eleganz, Energie und melodischer Wärme wirkt sie wie ein bewusst gesetztes Gegengewicht zu den dunklen Klangwelten der „Casa del diavolo“ und der d-Moll-Sinfonie – ein Beweis für Boccherinis Sinn für dramaturgische Balance und Vielfalt.

 

Spätere Sinfonien (1788–1792)

Einzelwerke in gemischten Opera, oft zusammen mit Quintetten und Quartetten veröffentlicht.

 

G 520 – Sinfonie D-Dur, op. 42/1 (1789, Madrid)

https://www.youtube.com/watch?v=umP2GmWjClQ

 

G 521 – Sinfonie D-Dur, op. 43/1 (1790)

https://www.youtube.com/watch?v=XaN32ifGSKg

 

G 522 – Sinfonie d-Moll, op. 45/1 (1792)

https://www.youtube.com/watch?v=PiDuTYkdJVM

 

Weitere Sinfonien, Fragmente und Zuschreibungen (G 523–529, teilweise verloren)

Diese Nummern im Gérard-Katalog umfassen:

Tänze und Minuett-Zyklen für Orchester („Un gioco di minuetti ballabili“, G 525, 1789)

einzelne Sinfoniesätze, Konzert-Ouvertüren und unvollständige Entwürfe.
Einige sind in Manuskripten belegt, aber unvollständig überliefert oder zweifelhaft.

 

Boccherini, der vor allem für seine Streichquintette und sein kammermusikalisches Schaffen berühmt ist, hat sich nur in wenigen Fällen auf das Gebiet des Musiktheaters begeben. Neben seinen Opernfragmenten und geistlichen Werken stehen hier vor allem zwei Ballette im Vordergrund, die in ihrer Eigenart sehr deutlich zeigen, wie Boccherini auch außerhalb des engeren Kammermusikrahmens sein Idiom zu entfalten wusste: „Cefalo e Procri“ =  Cephalus und Prokris (G 524) und das „Ballet espagnol“ = Spanisches Ballett (G 526).

 

Das Ballett „Cefalo e Procri“ entstand 1779 in Madrid für eine höfische Aufführung. Es basiert auf einem antiken Stoff aus den Metamorphosen Ovids und erzählt die tragische Liebesgeschichte von Cephalus und Prokris, die durch Eifersucht, Missverständnisse und schließlich den tödlichen Pfeilschuss ihr Ende nimmt. Die Handlung bot zahlreiche Gelegenheiten für Ausdruckstänze von heroischem, dramatischem und lyrischem Charakter, was Boccherini in eine Musik übertrug, die weit über bloße Begleitfunktion hinausgeht. Er schreibt schwungvolle, oft kontrapunktisch durchgestaltete Tanzsätze, die durch ihre harmonische Feinheit und ihre Instrumentationsfarben beeindrucken. Bemerkenswert ist die Art, wie er lyrische Episoden voller Zartheit den dramatisch aufgeladenen Momenten gegenüberstellt – eine Technik, die den erzählerischen Verlauf des mythologischen Stoffes musikalisch verdeutlicht. Auch wenn das Werk keine regelmäßige Aufführungstradition gefunden hat, gilt es in der Forschung als wichtiger Beleg dafür, wie Boccherini antike Thematik im Geist der klassischen Musikdramatik zu formen verstand, ohne dabei den galanten Tonfall und die melodische Eleganz seiner Kammermusik zu verlieren.

 

Mit dem „Ballet espagnol“ (G 526), das wohl um 1783–85 entstand, wendet sich Boccherini einem völlig anderen Sujet zu. Hier greift er nicht auf mythologische Erzählungen zurück, sondern auf die unmittelbare musikalische und tänzerische Realität seiner Wahlheimat Spanien. Seit seiner Übersiedlung nach Madrid hatte er eine tiefe Faszination für spanische Volksmusik entwickelt, die er nicht nur in einzelnen Kammermusikwerken – man denke an das berühmte „Fandango“-Finale aus dem Gitarrenquintett G 448 – einflocht, sondern hier zu einem reinen Tanzballett verdichtete. Das Werk ist eine Folge charakteristischer spanischer Tänze, die mit Boccherinis klassischem Formbewusstsein verarbeitet sind. Man hört Anklänge an Fandango, Seguidilla und andere populäre Tanzformen, die er kunstvoll orchestrierte und damit in die höfische Sphäre überführte. Der Reiz liegt genau in dieser Mischung: die volkstümliche Rhythmik, die markanten synkopischen Muster und die klangliche Exotik werden durch Boccherinis unverwechselbare melodische Handschrift verfeinert, sodass ein eigenständiges Werk entsteht, das weder bloße Folklore noch reine Salonmusik ist, sondern eine genuine Synthese.

 

Beide Ballette zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie Boccherini in Gattungen, die für ihn Nebenwege waren, eine höchst persönliche Sprache fand. In „Cefalo e Procri“ wird die antike Tragödie in musikalische Szenenbilder übersetzt, die sowohl empfindsam als auch dramatisch wirken. Das „Ballet espagnol“ dagegen steht wie ein klingendes Zeugnis für Boccherinis Verwurzelung in der Kultur Spaniens und seinen Rang als einer der frühesten Komponisten, die folkloristische Idiome in die europäische Kunstmusik integrierten.

Einige beispiele:

 

G 523 - Sinfonie C-Dur:

 

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=2czz5LN2TCo

 

G 525  „Un gioco di minuetti ballabili“, op. 41 (1788/89) Tracks 12 bis 21:

G 526 – Ballet espagnol (1773, B-Dur)

https://www.youtube.com/watch?v=6adaB6Ic_xs

 

G 527 Hierbei handelt es sich um Piccinnis eigene Ouvertüre, nicht Boccherinis Bearbeitung.

Niccolo Piccini, La Buona Figiuola Overture:

 

https://www.youtube.com/watch?v=CBlVxcuWX5A

 

Katalogstatus: G 528 – Missa solemnis

G 528 ist eindeutig im Œuvre-Verzeichnis von Boccherini als „Missa solemnis, op. 59 (verloren)“ aufgeführt.

Damit ist klar: Das Werk gilt als verschollen – es existieren keine bekannten Autographe oder Aufführungsmaterialien.

 

G 529 – Kyrie in B-Dur

Gattung: Kirchliche Vokalmusik (Messe, unvollständig)

Besetzung: Soli, Chor und Orchester (2 Oboen, 2 Hörner, Streicher, Basso continuo)

Entstehung: wahrscheinlich Ende der 1780er Jahre (um 1788–1790), als Boccherini in Madrid Kirchenmusik für den königlichen Hof und die Kapellen schrieb.

Überlieferung: Nur Kyrie (und teils Gloria) sind vollständig; das Werk wurde früher auch in Verbindung mit op. 59 gesehen, hat aber eine eigene Nummer (G 529).

Besonderheit: Dies ist das einzige größere erhaltene Messfragment von Boccherini – die anderen Messen wie G 528 (Missa solemnis) sind verloren.

https://www.youtube.com/watch?v=frxkzbbJgzI

 

G 528 – Missa a quattro (op. 59, 1799/1800, verschollen)
Eine vierstimmige Messe, heute nur aus Katalogeinträgen bekannt.

 

G 529 – G 531 Messe, Teile – Gloria, Credo… (unsicher)
Fragmente und einzelne Messsätze, zweifelhafte Zuschreibung.

 

G 530 und G 531

https://www.youtube.com/watch?v=NZ1qI53Bav0&list=OLAK5uy_kJdA1tX_pGPHac9oBKbc1hvh3n96rbznY&index=7

 

G 532 – Stabat mater


Luigi Boccherini komponierte sein Stabat Mater erstmals 1781 in Madrid.

Diese ursprüngliche Fassung – katalogisiert als G 532a – schrieb er für eine einzige Sopranstimme mit Begleitung durch ein Streichquintett (zwei Violinen, Viola, zwei Violoncelli). Das Werk ist intim, von elegischer Innigkeit und ganz auf die Verschmelzung von Stimme und Kammermusik ausgerichtet.

CD Boccherini, Stabat Mater, Orchestra da Camera Benedetto Marcello unter der Leitung von Flavio Emilio Scogna (* 1956), Sopran Barbara Vignudelli, Tactus 2012:

https://www.youtube.com/watch?v=BQR5OCBhBIM&list=OLAK5uy_l1JdyRiQzpvHW_rPbDrr31D_bcrDbIASM

 

Etwa zwanzig Jahre später, um 1800/1801, legte Boccherini eine zweite, erweiterte Fassung vor (G 532b / Op. 61). Hier fügte er eine Ouvertüre, drei Gesangsstimmen (zwei Sopranistinnen und ein Tenor) sowie ein Streichorchester hinzu. Dadurch erhielt das Werk einen feierlicheren, konzertanteren Charakter, blieb aber im Kern eine tief empfundene, fast persönliche Meditation.

 

CD Boccherini und Astorga, Stabat Maters, The King's Consort unter der Leitung von Robert King (* 1960), Sopran Sarah Fox und Susan Gritton, Bass  Paul Agnew, Hyperion 1999 Tracks 1 bis 11:

https://www.youtube.com/watch?v=0hqir5MAPLg&list=OLAK5uy_l-JRrKTStkdmr_m5P-lnapMSRJkn54SLg&index=1

 

Der Grund für die Umarbeitung lag wahrscheinlich darin, dass Boccherini die ursprüngliche Form mit nur einer Stimme als zu einseitig empfand. Die Überarbeitung stammt nach heutiger Forschung eindeutig von ihm selbst. Manche Quellen erwähnen, dass er das Manuskript 1801 Madame Sophie Gail (1775–1819) widmete, eine befreundete Pianistin und Sängerin – doch die kompositorische Arbeit ist allein ihm zuzuschreiben.

Wesentliche Unterschiede

 

G 532a (1781): Sopran solo + Streichquintett; 11 Sätze; intime Kammermusik.

G 532b / Op. 61 (um 1800): Zwei Soprane + Tenor, Streichorchester, Ouvertüre; feierlicher, größer dimensioniert.

Eine der tiefsten geistlichen Kompositionen des 18. Jahrhunderts – innig, expressiv, in der zweiten Fassung mit noch mehr Kontrasten.

 

G 533 – Dixit Dominus (Psalmvertonung, um 1781) für Soli, Chor und Orchester.

„Dixit Dominus“ (Psalm 110) in G-Dur ist ein vokales Sakralwerk von Boccherini.

https://www.youtube.com/watch?v=n1lvU1n5_Bk

 

Diese Version zeigt einen Konzertmitschnitt vom 24. September 2016 in der Chiesa di San Michele in Foro in Lucca. Es handelt sich um eine stimmungsvolle Darbietung des Psalms „Dixit Dominus“ für vier Stimmen (Coro) mit Orchesterbegleitung. Eine detailreich aufgezeichnete Aufführung, die insbesondere durch ihre Kirchenakustik und Authentizität besticht—ideal, wenn du eine seriöse und intensive Interpretation suchst.

 

G 534 – Villancicos (spanische Weihnachtsstücke)


Dieses Werk gehört zu Boccherinis späten geistlichen Kompositionen und ist eine kurze, festliche Vertonung des Psalm Verses (69,1) „Domine, ad adiuvandum me festina“ („Herr, eile mir zu Hilfe“). Es handelt sich um ein Eröffnungsstück des Offiziums (Eröffnungsruf bei Vespern), das Boccherini für den liturgischen Gebrauch in Spanien schrieb.

Musikalisch zeigt sich der typische Boccherini-Stil: eine Mischung aus italienischer Kantabilität und spanischer Farbigkeit. Der Satz ist prägnant, schwungvoll und von strahlender Energie, getragen von einer hellen Orchesterbegleitung, die den Vokalpartien Glanz verleiht.

Besetzung: Chor und Orchester (teils auch mit Soli).

Charakter: kurz, feierlich, eröffnend, vergleichbar mit einer festlichen Fanfare zu Beginn des Gottesdienstes.

Damit bildet „Domine ad adiuvandum“ G 534 eine Art Pendant zu Boccherinis groß angelegtem Stabat Mater (G 532/532b) und dem feierlicheren Dixit Dominus (G 533): ein Werk von kleinerem Umfang, aber markanter liturgischer Funktion.

 

https://www.youtube.com/watch?v=t6kFzdgDwaE

 

G 535 – Cantata de Navidad (op. 63, verschollen)

Eine Weihnachtskantate, in Quellen nachweisbar, aber heute verloren.

G 536 – Cantata a voce sola per la festa di San Luigi (Kantate zum Fest des Heiligen Ludwig)

Leider nur fragmentarisch überliefert.

Hierbei bezieht sich „Saint Louis“ auf Heiligen Ludwig – Namenspatron von Ludwig IX. von Frankreich (* 1214 - † 25. August 1270 tragisch auf einem Kreuzzug).

 

Oratorien

G 537 – Gioas, re di Giuda
Oratorium auf ein Libretto von Metastasio, vertont 1770er/80er; nur fragmentarisch überliefert.

G 538 – Il Giuseppe riconosciuto
Ebenfalls nach Metastasio, vollständiger erhalten. Für Soli, Chor, Orchester.

CD Boccherini, Il Giuseppe riconosciuto, G. 538, Auser Musici unter der Leitung von Herbert Handt (1926 -2023), Bongiovanni 2014:

https://www.youtube.com/watch?v=Ic0Q96C4OUU&list=OLAK5uy_mJnOnlTqBGVbPqBrPD3mjOqgDXovoXO_o&index=2

 

Das Oratorium „Giuseppe riconosciuto“ entstand 1767 in Lucca, wo Boccherini (1743–1805) damals lebte und als junger, gefeierter Virtuose und Komponist erste große Erfolge feierte. Der Text geht auf Pietro Metastasio (1698–1782) zurück, den einflussreichsten Librettisten des 18. Jahrhunderts, dessen geistliche Dramen europaweit vertont wurden. Metastasio hatte das Libretto bereits 1733 geschrieben; es wurde u. a. von Hasse, Caldara und Jommelli verwendet, bevor auch Boccherini sich ihm zuwandte.

Das Werk schildert die biblische Geschichte Josefs, der von seinen Brüdern verraten, nach Ägypten verschleppt und dort in die Nähe des Pharaos gelangt. Jahre später begegnet er seinen Brüdern wieder – sie erkennen ihn zunächst nicht, doch schließlich kommt es zur ergreifenden Szene der Versöhnung. Metastasios Text legt den Schwerpunkt weniger auf dramatische Action als auf die moralisch-psychologische Auseinandersetzung: Vergebung, göttliche Fügung und die Wiederherstellung von Harmonie sind die zentralen Themen.

Musikalisch verbindet Boccherini in diesem frühen Oratorium noch die Tradition des italienischen Spätbarocks mit dem neuen, empfindsamen Ton der Vorklassik. In den Arien zeigt sich seine besondere Begabung für kantable Melodien, die sich geschmeidig entfalten und mit feinem harmonischem Gespür begleitet werden. Die Rezitative sind von klarer Dramatik getragen und lassen die Figuren plastisch hervortreten. Besonders bemerkenswert ist die Instrumentierung: Auch wenn Boccherini als „Meister der Kammermusik“ bekannt wurde, spürt man hier bereits seine Vorliebe für farbige Begleitung, für konzertante Streicherfiguren und für intime, lyrische Klangbilder.

Das Werk ist in zwei Teile gegliedert. Den Beginn markiert eine feierliche Sinfonia, die als Einleitung dient und die affektgeladene Grundstimmung des Oratoriums vorgibt. Darauf folgen eine Abfolge von Rezitativen, Arien und Ensemblesätzen, die den Handlungsverlauf gestalten. Anders als in der Oper vermeidet Boccherini übermäßige theatralische Effekte, vielmehr betont er die moralische Dimension des Geschehens – ein Charakterzug, der dem Gattungsverständnis des Oratoriums entspricht.

„Giuseppe riconosciuto“ zeigt eindrucksvoll, dass Boccherinis kompositorisches Schaffen weit über die Grenzen der Kammermusik hinausging. Während seine Streichquintette und -quartette berühmt wurden, geriet dieses Oratorium in Vergessenheit, bis es im späten 20. Jahrhundert wiederentdeckt und in Einspielungen wie durch Auser Musici vorgestellt wurde. Heute bietet es wertvolle Einblicke in Boccherinis frühe Meisterschaft, seine melodische Erfindungskraft und seine Fähigkeit, einem geistlichen Drama musikalische Intensität zu verleihen.

 

Bühnenwerk

G 540 – La Clementina (1786, Madrid)
 

Das Werk trägt den schlichten Titel Clementina – die oft gebrauchte Form La Clementina ist eigentlich unzutreffend. Es handelt sich um eine Zarzuela in zwei Akten, also um eine typisch spanische Bühnenform, die gesungene Nummern mit gesprochenen Dialogen verbindet.

Das Libretto schrieb der Madrider Dichter Ramón de la Cruz (1731–1794). Boccherini komponierte die Musik 1786, vermutlich im Auftrag der kunstsinnigen Gräfin-Duchessa von Osuna-Benavente. Die erste Aufführung fand noch im selben Jahr in privatem Rahmen im Palast Puerta de la Vega in Madrid statt.

Die Musik bewegt sich zwischen leichtfüßiger Heiterkeit und komödiantischen Szenen, bietet aber auch berührende, ernstere Momente, besonders dort, wo von enttäuschter oder unerfüllter Liebe die Rede ist.

Besonders bemerkenswert ist, dass „Clementina“ das einzige vollständig erhaltene Bühnenwerk Boccherinis ist. Abseits seiner unzähligen Kammermusikwerke zeigt sich hier, dass er auch für das Theater schreiben konnte – mit melodischem Einfallsreichtum, Eleganz und einem Gespür für dramatische Situationen. Es verbindet italienischen Belcanto-Stil mit spanischer Buffo-Tradition.

Im 20. Jahrhundert wurde die Zarzuela wiederentdeckt: 1951 in Venedig (Teatro La Fenice), 1960 in München (Theater Cuvilliés) und zuletzt 2005 in Lucca kam es zu beachteten Aufführungen.

La Clementina – Ouverture:

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=L0-yzIj1TbA

 

Sinfonia:

https://www.youtube.com/watch?v=eRBPWnAhzoE

 

Arie 'Ahimé, cor mio':

https://www.youtube.com/watch?v=KdaJK4FKy-w

 

Kantaten und weltliche Vokalwerke

G 541 – La confederazione de’ Sabini con Romani
Kantate (1765, Rom?), für Soli und Orchester.

G 542 – La Fenice (1783, Madrid)
Kantate, allegorisch-symbolisch, für Soli und Orchester.

G 543 – Cantata per la notte di Natale (Weihnachtskantate, unsicher)

G 544–545 – Einzelne Arien und Kantaten
Darunter Konzertarien in italienischer Tradition, heute selten aufgeführt.

 

Die Vokalmusik ist zahlenmäßig klein, doch sie zeigt Boccherinis andere Seite: nicht nur als Kammermusiker, sondern auch als Meister des vokalen Ausdrucks. Das Stabat mater (G 532) gilt als Herzstück: es verbindet italienische Innigkeit mit spanischer Klangfarbe. Auch die Zarzuela La Clementina ist ein kulturhistorisches Unikat, weil sie das Madrider Theaterleben der 1780er mit Boccherinis kammermusikalischem Stil vereint.

 

Ergänzungen und kleinere Werke (G 525 ff.)

Tänze, Minuette, kleinere Orchestermusik

G 525 – Un gioco di minuetti ballabili (1789, Madrid)
Zyklus von 12 Menuetten für Orchester, Teil des Opus 41. „Spielbare Tänze“, vermutlich für aristokratische Bälle komponiert.

 

G 526 – Menuetti für Streicher und Bläser (Sammlung, unsicher, späte Zuschreibung).

 

G 527 – Einzelne Tanzsätze in Manuskripten, z. B. Gavotten, Fandangos, Ritiratas.

 

Geistliche Fragmente (zusätzlich zu G 528–536)

G 529–531 – Teile von Messvertonungen und Litanien, teils verschollen, teils fragmentarisch.

 

G 535 – Weihnachtskantate (op. 63), verloren.

 

Weitere Arien und Kantaten

G 542–561 – Konzertarien für Sopran und Orchester, in italienischer Konzerttradition.

Boccherini und seine „Arie accademiche“ – Vollständiger Überblick mit Beispieltexten

Boccherini ist heute hauptsächlich für seine Kammermusik bekannt – nicht zuletzt wegen des Spitznamens „Haydn von Madrid“. Doch ein faszinierender, weniger beleuchteter Teil seines Schaffens sind die sogenannten „Arie accademiche“ – etwa 15 Konzertarien (G 544–559) sowie einige Duette (G 559–561), die er für Sopran und Orchester schrieb. Diese Werke, meist auf Texte von Pietro Metastasio, fügen sich formal in die Gattung der Opera seria ein, sind aber oft kleiner, persönlicher und intensiver – wie Miniaturdramen ohne Bühne.

Bereits die Titel zeigen, welches Spektrum menschlicher Emotionen hier erkundet wird – von Hingabe über Schmerz bis zu Abschied und Hoffnung:

G 542 – Aria – schlicht „Arie“; möglicherweise ein Einführungsstück, eher allgemein benannt.

G 544 – Si veramente io deggio… – „Wenn ich es wirklich tun muss…“

G 545 – Se non ti moro allato, idolo del cor mio – „Wenn ich nicht an deiner Seite sterbe, Idol meines Herzens“

G 546 – Deh respirar lasciatemi – „Ach, lasst mich doch atmen“

G 547 – Caro, son tua così che per virtù d’amor – „Teurer, ich bin dein, so sehr durch die Kraft der Liebe“

G 548 – Misera, dove son… – „Unglückliche, wo bin ich…?“

G 549 – Care luci che regnate sugl’affetti del mio cor – „Geliebte Augen, die ihr über die Regungen meines Herzens herrscht“

G 550 – Infelice, in van mi lagno, qual dolente tortorella – „Unglückliche, vergeblich beklage ich mich, wie eine leidende Turteltaube“

G 551 – Numi, se giusti siete, rendente – „Götter, wenn ihr gerecht seid, gebt es zurück“

G 552 – Caro Padre, a me non dei – „Teurer Vater, du darfst mir (das) nicht antun“

G 553 – Ah, che nel dirti addio mi sento il cor dividere – „Ach, beim Abschied von dir fühle ich mein Herz zerreißen“

G 554 – Di Giudice severo… – „Von einem strengen Richter…“

G 555 – Tu di saper procura – „Du, versuche es zu erkennen“

G 556 – Mi dona, mi rende quell’alma pietosa – „Schenke mir, gib mir zurück jene mitleidige Seele“

G 557 – Se d’un amor tiranno, credei di trionfar – „Wenn ich glaubte, über eine tyrannische Liebe zu triumphieren“

G 558 – Tornate sereni – „Kehrt heiter zurück“

G 559 – La destra ti chiedo, mio dolce – „Deine rechte Hand erbitte ich, mein Süßer“

G 560 – In ’sto giorno d’allegro – „An diesem frohen Tag“

G 561 – Ah, che nel dirti addio – „Ach, beim Abschied von dir“ (Variaton des Themas, diesmal als Duett)

 

Drei ausgewählte Arien:

1. G 545 – „Se non ti moro allato, idolo del cor mio“

 

Italienischer Originalvers (sinngemäß):


„Se non ti moro allato, idolo del cor mio,
ché mi resta più da vivre, e più da suspirar?“

Deutsche Übersetzung:
„Wenn ich nicht an deiner Seite sterbe, Idol meines Herzens,
was bleibt mir dann noch zu leben – und noch zu seufzen?“

Mit dieser unerhörten Formulierung, die Leben und Tod aufs Spiel setzt, bringt der Text ein extrem intensives Gefühlsdilemma auf den Punkt. Boccherini reflektiert dies musikalisch mit einer fließenden Melodik, die vom Sopran mit mannigfaltigen Verzierungen und zarten Halbtönen getragen wird. Diese Ornamente wirken wie Seufzer – Ausdruck bleibender Hingabe, die über den Tod hinaus zu reichen scheint.

2. G 553 – „Ah, che nel dirti addio mi sento il cor dividere“

 

Italienischer Originalvers (sinngemäß):


„Ah, che nel dirti addio mi sento il cor dividere,
partir con te mi è dolor, restar senza te è più morire.“

Deutsche Übersetzung:


„Ach, wenn ich dir Lebewohl sage, fühle ich mein Herz zerreißen;
mit dir zu gehen schmerzt – doch ohne dich zu bleiben ist noch mehr zu sterben.“

Diese Arie entfaltet dramatische Tiefe: Abschied wird hier nicht nur klagend empfunden, sondern musikalisch zerstückelt – die Stimme zerbricht in hohen Koloraturen, das Orchester setzt schmerzhafte Harmonien gegen Harmonie. Das Ergebnis ist eine affektgeladene Szene, die im Konzertformat tragische Opernwirkung entfaltet.

3. G 557 – „Se d’un amor tiranno, credei di trionfar“

Italienischer Originalvers (sinngemäß):


„Se d’un amor tiranno, credei di trionfar,
falsa gloria, e non sai che il cor mi fa cader.“

Deutsche Übersetzung:


„Wenn ich glaubte, über eine tyrannische Liebe zu triumphieren – falscher Ruhm! – und du weißt nicht, wie mein Herz dadurch zu Boden fällt.“

Die Texte zeigen die Selbsttäuschung beim Versuch, emotionale Macht über Liebe zu gewinnen – nur um festzustellen, dass das Herz schwächer wird, nicht stärker. Boccherini verstärkt diese innere Zerrissenheit durch ein ungewöhnliches Dialogspiel: Sopran und Violoncello treten in musikalisch-sinnbildliche Wechselwirkung, als spräche das Instrument die Sprache der Seele.

 

Boccherini – „Arie accademiche“ (Auswahl aus G 544–548 und G 557)

 

Boccherinis „Arie accademiche“ sind Miniaturen der Opera seria – konzentriert, affektgeladen und in feinsinniger Instrumentation gestaltet. Die Sopranstimme steht im Mittelpunkt, doch die Begleitung durch Streicher und obligates Cello schafft ein empfindsames Klangbild, das dem Geist des galanten Stils vollkommen entspricht. Die hier ausgewählten Stücke spiegeln das gesamte Spektrum von Leidenschaft, Zärtlichkeit und seelischer Zerrissenheit.

https://www.youtube.com/watch?v=h9yf6kBdbcE

 

Aria Accademica No. 1, G. 544 – „Si veramente io deggio“
(„Wenn ich es wirklich tun muss…“)


Diese erste Arie eröffnet die Sammlung mit einem Moment der inneren Entscheidung. Der Text verweist auf eine unausweichliche Verpflichtung – sei es Liebe, Treue oder Schicksal –, der sich das lyrische Ich nicht entziehen kann. Musikalisch entfaltet Boccherini eine Arie von klarem, kantablem Zuschnitt, deren sanfte Linien dennoch von unterschwelliger Spannung durchzogen sind. Die Stimme bewegt sich zwischen resignativer Ruhe und plötzlichen Ausbrüchen, die an das Zögern einer Seele erinnern, die sich fügen muss.

G 544 – Recitativo ed Aria

 

Recitativo: „Sì, veramente io deggio“

Sì, veramente io deggio

credere al traditor, che mi lusinga.

Ma chi resiste al pianto,

se d’un volto si fida, e d’un bel ciglio?

Io caderò. Ma oh Dio,

se poi m’inganna, e mi deride? Ahimè!

Che far deggio? Che penso?

Che contrasto penoso in sen mi sento!

 

Aria: „Ah non lasciarmi, no“

Ah, non lasciarmi, no,

senza di te languir.

L’idolo del mio cor

non mi negar pietà.

Per te respiro, e vivo;

tu sei la mia speranza,

tu sei la mia costanza,

la mia felicità.

 

Übersetzung:

Ja, wahrlich, ich müsste

dem Verräter glauben, der mir schmeichelt.

Doch wer widersteht den Tränen,

wenn man dem Antlitz vertraut und dem schönen Blick?

Ich werde fallen. Doch, o Gott,

wenn er mich täuscht und verspottet? Wehe mir!

Was soll ich tun? Was denken?

Welch schmerzhafter Zwiespalt erfüllt mein Herz!

 

Ach, verlass mich nicht, nein,

lass mich nicht ohne dich dahinwelken.

Du, Götzenbild meines Herzens,

versage mir nicht dein Erbarmen.

Durch dich atme ich und lebe;

du bist meine Hoffnung,

du bist meine Beständigkeit,

mein einziges Glück.

 

Aria Accademica No. 2, G. 545 – „Se non ti moro allato, idolo del cor mio“
(„Wenn ich nicht an deiner Seite sterbe, Idol meines Herzens“)


Hier schlägt Boccherini einen zutiefst leidenschaftlichen Ton an. Der Gedanke, dass ein Leben ohne den geliebten Menschen schlimmer sei als der Tod, ist typisch für den übersteigerten Affektstil des 18. Jahrhunderts. Der Sopran singt mit ausgedehnten, ornamentierten Linien, die fast wie Seufzer wirken, während das Orchester den Ausdruck von Hingabe und Todessehnsucht gleichermaßen trägt. Diese Arie zeigt Boccherini als Komponisten, der den schmalen Grat zwischen galanter Eleganz und emotionalem Ernst meisterlich beherrscht.

 

G 545 – Aria

„Se non ti moro allato (idolo del cor mio)“


Se non ti moro allato,
idolo del cor mio,
sol una volta almeno
ascolta il pianto mio.
Pensa che questo core,
che sospirando more,
era per te d’amore
costante eternità.

Übersetzung:


Wenn ich nicht an deiner Seite sterbe,
Götzenbild meines Herzens,
so höre doch wenigstens einmal
mein Wehklagen.
Bedenke, dass dieses Herz,
das im Seufzen vergeht,
für dich in Liebe
ewig treu bestimmt war.

 

Aria Accademica No. 3, G. 546 – „Deh respirar lasciatemi“
(„Ach, lasst mich doch atmen“)


Ein flehender Ton durchzieht diese Arie, in der das lyrische Ich um Befreiung von innerer Bedrängnis bittet. Das Motiv des Atems, das schon bei Metastasio häufig als Symbol für Leben und Freiheit dient, prägt hier den musikalischen Duktus: weite melodische Bögen, die wie ein Ein- und Ausatmen wirken, kontrastieren mit engeren, bedrängten Figuren, die die Last der Gefühle hörbar machen. Boccherini zeigt hier seine Fähigkeit, musikalische Gestik direkt in körperlich spürbare Erfahrung zu übersetzen.

 

G 546 – Aria

„Deh, respirar lasciatemi“


Deh, respirar lasciatemi,
barbara crudeltà.
Se mi togliete il vivere,
lasciatemi morir.
Perché, tiranna sorte,
volete la mia morte?
Se il cor non v’ha offeso,
perché strapparlo così?

Übersetzung:


Ach, lasst mich atmen,
grausame Barbarei!
Wenn ihr mir das Leben nehmt,
so lasst mich doch sterben.
Warum, tyrannisches Geschick,
wollt ihr meinen Tod?
Wenn mein Herz euch nicht verletzt hat,
warum reißt ihr es mir so heraus?

 

 

Aria Accademica No. 4, G. 547 – „Caro, son tua così che per virtù d’amor“
(„Teurer, ich bin dein, so sehr durch die Kraft der Liebe“)


Die vierte Arie bringt hellere, zärtlichere Töne ein. Der Text bekennt sich zur vollständigen Hingabe an den Geliebten – ein Liebesgeständnis, das im Tonfall schlicht und doch eindringlich wirkt. Boccherini kleidet dieses Bekenntnis in eine weit gespannte Kantilene, deren ruhiger Fluss eine Atmosphäre der Innigkeit erzeugt. Hier tritt der Komponist weniger als Dramatiker auf, sondern als Schöpfer intimer lyrischer Szenen, die der empfindsamen Ästhetik seiner Zeit besonders nahe stehen.

G 547 – Aria

 

„Caro, son tua così“

 

Caro, son tua così,

che se tu il vuoi,

ti dono anche la vita,

l’alma e il cor.

Vieni, mio bene, vieni,

stringimi in braccio, oh dèi!

Ah, che contento è questo,

ah, che soave ardor!

 

Übersetzung:

 

Geliebter, so sehr bin ich dein,

dass ich, wenn du es willst,

dir sogar das Leben schenke,

die Seele und das Herz.

Komm, mein Liebster, komm,

umschlinge mich, ihr Götter!

Ach, welch ein Glück ist dies,

ach, welch süßes Glühen!

 

Aria Accademica No. 5, G. 548 – „Misera, dove son…”
(„Unglückliche, wo bin ich…?“)


Die fünfte Arie markiert einen dramatischen Umschlag. Der Beginn in Form einer Frage – „wo bin ich?“ – spiegelt Orientierungslosigkeit, Verzweiflung und seelische Zerrüttung. Boccherini übersetzt dies in musikalische Dramatik: abrupte harmonische Wendungen, ausdrucksstarke Koloraturen und eine Stimme, die den Schmerz nicht in sanfte Linien kleidet, sondern ihn in leidenschaftlichen Ausrufen entlädt. Hier nähert sich der Komponist am stärksten der expressiven Sprache der Opera seria.

G 548 – Recitativo ed Aria

Recitativo: „Misera, dove son!“


Misera, dove son!
Quali pensieri atroci
mi dilaniano il seno!
Tradita, abbandonata,
in preda al mio destino,
vado cercando invano
chi mi soccorra, e più non trovo pace.

Aria: „Ah! non son io che parlo“


Ah! non son io che parlo,
è il core che sospira.
Ah! non son io che piango,
è l’alma che languisce.
Ah! non son io che peno,
è Amor che mi tormenta.
È il ciel che mi condanna,
è il fato che m’opprime.

Übersetzung:


Unglückliche, wo bin ich!
Welch grausame Gedanken
zerreißen mir die Brust!
Verraten, verlassen,
dem Schicksal ausgeliefert,
suche ich vergeblich nach Hilfe
und finde keinen Frieden mehr.

Ach! Nicht ich bin es, die spricht,
es ist das Herz, das seufzt.
Ach! Nicht ich bin es, die weint,
es ist die Seele, die schmachtet.
Ach! Nicht ich bin es, die leidet,
es ist die Liebe, die mich quält.
Es ist der Himmel, der mich verdammt,
es ist das Schicksal, das mich erdrückt.

 

Aria Accademica No. 14, G. 557 – „Se d’un amor tiranno, credei di trionfar“
(„Wenn ich glaubte, über eine tyrannische Liebe zu triumphieren“)


Diese Arie gehört zu den Höhepunkten der Sammlung. Der Text spricht von der Selbsttäuschung, Amor besiegen zu können, und von der Niederlage vor den eigenen Gefühlen. Boccherini gestaltet diese Spannung mit einem besonderen Kunstgriff: das Violoncello tritt als gleichberechtigter Dialogpartner des Soprans auf. Stimme und Instrument führen ein Zwiegespräch, in dem Hoffnung, Trotz und Resignation untrennbar ineinanderfließen. So wird die innere Zerrissenheit nicht nur gesungen, sondern in ein kammermusikalisches Drama verwandelt – eine der originellsten Seiten Boccherinis.

 

In dieser Auswahl der „Arie accademiche“ zeigt sich Boccherini als feinsinniger Vokaldramatiker, der die Tradition der Opera seria aufnimmt und in eine intimere, kammermusikalische Form überführt. Jede Arie ist ein affektgeladenes Kleinod: mal sehnsüchtig, mal flehend, mal verzweifelt – stets jedoch mit jener Eleganz und Empfindsamkeit, die Boccherinis Handschrift unverwechselbar macht.

G 557 – Aria „Sento che in seno“

Italienischer Text:


Sento che in seno mi brilla un fuoco,
che mi tormenta, che mi divora.
Oh dèi! pietosi, toglietemi, vi prego,
questa mia pena, questo mio dolor.
Ma se il mio male crescer si deve,
lasciatemi almeno morir d’amor.

Deutsche Übersetzung:


Ich fühle, dass in meiner Brust ein Feuer lodert,
das mich quält, das mich verzehrt.
Ihr Götter! Habt Erbarmen, nehmt mir, ich bitte euch,
dieses Leiden, diesen Schmerz.
Doch wenn mein Übel sich steigern muss,
so lasst mich wenigstens an der Liebe sterben.

 

 

G 546 ff. – Kleine weltliche Kantaten, vereinzelt in Manuskripten in Madrid und Paris erhalten.

 

Kammermusikalische Bearbeitungen & Gitarrenquintette

G 445–451, 453 – Gitarrenquintette (1798/99, Madrid), Bearbeitungen eigener Quintette durch Boccherini selbst für den Marqués de Benavente.
Besonders bekannt:

 

  • G 448: Quintett D-Dur mit „Fandango“

  • G 453: Quintett C-Dur mit „La ritirata di Madrid“ (Gitarrenversion)

Diese Fassungen sind heute im Gitarrenrepertoire weltberühmt.

 

Verlorene und zweifelhafte Werke

Einige Sinfonien (z. B. G 473 Oktett, G 529 Messe, G 535 Weihnachtskantate) sind vollständig verschollen.

Weitere Cellosonaten (z. B. G 563–569, G 580) sind nur durch unvollständige Handschriften oder fragliche Zuschreibungen bekannt.

Auch bei den Quartetten (G 250–264) und Trios (G 151–158) gibt es Fragmente und Unsicherheiten.

Die letzten G-Nummern (bis ca. G 580) im Gérard-Katalog sind Sammelnummern für:

späte oder zweifelhafte Cellosonaten, einzelne Arien und Kantaten, Tanzmusik und Fragmente.

 

Zusammenfassung – Boccherinis Gesamtwerk

Luigi Boccherini hinterließ ein Werk von beeindruckender Breite:

  • Soli und Duos (G 1–76) – vor allem Cellosonaten

  • Trios (G 77–158) – von Streich- zu Klaviertrios

  • Quartette (G 159–264) – rund 90 Werke

  • Quintette (G 265–453) – über 100 Werke, Boccherinis „Markenzeichen“

  • Sextette und Notturni (G 454–473) – Experimente mit größerer Besetzung

  • Konzerte (G 474–491 ff.) – v. a. Cellokonzerte

  • Sinfonien (G 493–520 ff.) – ca. 30 Werke

  • Vokalmusik (G 528 ff.) – Stabat mater, Oratorien, Zarzuela La Clementina

  • Kleinere Werke und Tänze (G 525 ff.) – Menuette, Gitarrenquintette, Fragmente

 

Nach Gérard-Katalog hat Luigi Boccherini 580 Werke komponiert. Wenn man unvollständige, verlorene und unsichere Zuschreibungen mitrechnet, spricht man von rund 600 Werken.

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