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Leonardo Vinci (1696 – 1730)

 

Leonardo Vinci, wurde 1696 in Strongoli (Kalabrien) geboren – wie sich aus dem Sterberegister der Kirche San Giovanni Maggiore in Neapel ergibt, in dem sein Alter mit „weniger als 34 Jahren“ angegeben ist (vgl. Archivio parrocchiale di San Giovanni Maggiore, Napoli, Registro dei defunti, 1730) – starb im Mai 1730 in Neapel und wurde am 27. Mai desselben Jahres in der Kirche Santa Caterina a Formiello beigesetzt. Der entsprechende Eintrag im dortigen Totenregister stellt die einzige zeitgenössische Quelle zu seinem Tod dar.

Leonardo Vinci zählt zu den bedeutendsten Vertretern der neapolitanischen Schule und zu den prägendsten Opernkomponisten des italienischen Spätbarock. Trotz seines kurzen Lebens hinterließ er ein beeindruckendes Œuvre, das die Entwicklung der Opera seria und insbesondere der frühen Opera buffa entscheidend mitbestimmte.

 

Vinci erhielt seine musikalische Ausbildung am Conservatorio dei Poveri di Gesù Cristo in Neapel, wo er am 14. November 1708 aufgenommen wurde. Sein Lehrer war mit hoher Wahrscheinlichkeit Gaetano Greco (um 1657–1728), der auch Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736) und Leonardo Leo (1694–1744) unterrichtete.

 

Zunächst war er dort als „convittore“ (Internatsschüler) eingeschrieben und zahlte eine jährliche Gebühr von 36 Dukaten; nach drei Jahren wurde er vom Schulgeld befreit, vermutlich, weil er inzwischen als mastricello (Schüler-Assistent oder Hilfslehrer) tätig war.

 

Bereits während der Studienzeit zeigte Vinci eine ausgesprochene Begabung für melodische Erfindungskraft und dramatische Wirkung, Eigenschaften, die sein gesamtes Schaffen kennzeichnen sollten.

 

1719 trat Vinci erstmals mit einer eigenen Komposition an die Öffentlichkeit: Die neapolitanische commedia per musica Lo cecato fauzo wurde mit großem Erfolg am Teatro dei Fiorentini aufgeführt – der wichtigsten Bühne für komische Opern in Neapel. In den folgenden Jahren schrieb Vinci für dieses Haus mehrere weitere Werke in neapolitanischer Sprache, darunter Le ddoje lettere und vor allem die 1722 entstandene Li zite ’ngalera, die als seine bekannteste Buffo-Oper gilt und bis heute erhalten ist. Mit diesen Werken trug Vinci, gemeinsam mit Leonardo Leo, maßgeblich dazu bei, dass sich die opera buffa als eigenständiges, volkstümlich geprägtes Genre neben der höfisch-erhabenen opera seria etablieren konnte.

 

Parallel dazu begann er, sich der ernsten Oper zuzuwenden. Seine erste opera seria, Publio Cornelio Scipione, wurde begeistert aufgenommen und führte zu Einladungen aus ganz Italien. 1724 brachte Vinci in Rom am Teatro Alibert seine Oper Farnace auf ein Libretto von Antonio Maria Lucchini (um 1680–nach 1730) zur Aufführung. In dieser Produktion sangen zwei der berühmtesten Kastraten ihrer Zeit: Domenico Gizzi (1680–1745) und der junge Carlo Broschi, genannt Farinelli (1705–1782).

 

Der Erfolg von Farnace machte Vinci zu einem der gefragtesten Opernkomponisten Italiens. Bereits 1725 wurde er – nach dem Tod Alessandro Scarlattis (1660–1725) – als Pro-Vicemaestro der Königlichen Kapelle von Neapel angestellt. Im selben Jahr schrieb er die Ifigenia in Tauride für Venedig. 1726 folgte in Rom die Uraufführung seiner Didone abbandonata auf das Libretto von Pietro Metastasio (1698–1782) – die erste Vertonung eines Textes dieses Dichters, mit dem Vinci fortan eng befreundet war. Diese Zusammenarbeit erwies sich als wegweisend: Vinci war der erste Komponist, der eine Reihe von Metastasios Libretti vertonte und damit deren enorme Karriere im Opernrepertoire des 18. Jahrhunderts einleitete. Zu den gemeinsamen Werken gehören Didone abbandonata (1726), Siroe re di Persia (1726), Catone in Utica (1728), Semiramide riconosciuta (1729), Alessandro nell’Indie (1729) und schließlich Artaserse (1730).

 

1728 trat Vinci der Rosenkranzbruderschaft der Kirche Santa Caterina a Formiello in Neapel bei und übernahm nach dem Tod seines Lehrers Gaetano Greco die Stelle des Kapellmeisters am Conservatorio dei Poveri di Gesù Cristo. Unter seinen Schülern befand sich, wie erwähnt, der junge Pergolesi. Schon im selben Jahr gab Vinci diese Position wieder auf, um sich ganz der Oper zu widmen – jenem Bereich, in dem er seine größten Triumphe feierte.

 

Sein letztes Werk, Artaserse, wurde am 4. Februar 1730 im Teatro delle Dame in Rom uraufgeführt und gilt als sein vollendetstes Meisterwerk. Die Musik zeichnet sich durch geschmeidige Linien, emotionale Klarheit und eine Reduktion kontrapunktischer Komplexität zugunsten gesanglicher Ausdruckskraft aus – Merkmale, die Vincis Stil in der Geschichte der Oper unverwechselbar machen und späteren Komponisten wie Johann Adolf Hasse (1699–1783) und Niccolò Jommelli (1714–1774) den Weg bereiteten.

 

Nur wenige Monate nach dieser Premiere starb Leonardo Vinci im Alter von 33 Jahren unter bis heute ungeklärten Umständen. Leonardo Vinci starb im Mai 1730 in Neapel und wurde am 27. Mai 1730 in der Kirche Santa Caterina a Formiello beigesetzt. Der Eintrag im dortigen Sterberegister gilt als die einzige zeitgenössische Quelle zu seinem Tod.

 

Berichte aus Vincis Lebenszeit, darunter auch Anspielungen des Dichters Carlo Innocenzo Frugoni (1692–1768), sprechen von einem Giftmord infolge einer Liebesaffäre – eine Legende, die seinem Nachruhm zusätzliche Aura verlieh. Vinci soll ein lebensfroher, kultivierter Mann gewesen sein, der das gesellschaftliche Leben Neapels genoss, aber in Armut starb. Sein Begräbnis wurde von der Rosenkranzbruderschaft in der Kirche Santa Caterina a Formiello ausgerichtet; die Kosten übernahm die Schwester des Kardinals Tommaso Ruffo (1663–1753) – Giulia Ruffo.

 

Vincis Musik, die neben Opern auch Oratorien, geistliche Werke und Instrumentalkompositionen umfasst, ist geprägt von einer einzigartigen melodischen Eleganz und einer neuartigen Klarheit des Ausdrucks. Er verstand es, die menschliche Stimme in ihrer ganzen Farbigkeit und Affektenvielfalt einzusetzen – ein Erbe, das seine Schüler und Nachfolger in der neapolitanischen Schule weiterführten.

 

Leonardo Vinci bleibt eine Schlüsselfigur der italienischen Oper um 1730: Er verband die volkstümliche Lebendigkeit der Buffo-Tradition mit der stilistischen Noblesse der opera seria und schuf damit ein Klangideal, das das europäische Musiktheater für Jahrzehnte prägen sollte.

Werke

Opern (opera seria und opera buffa)

Leonardo Vinci schrieb über 40 Opern, vor allem für Neapel, Rom und Venedig. Zu den bedeutendsten zählen...

 

Opera seria

"Didone abbandonata" (1726, Rom) – nach Pietro Metastasio; eines seiner berühmtesten Werke, prägt die Form der opera seria.

"Siroe, re di Persia" (1726, Rom) – Text von Metastasio; wurde später auch von Händel, Hasse und Galuppi vertont.

„Gismondo, re di Polonia“ (1727, Rom)

"Semiramide riconosciuta" (1729, Rom) – ebenfalls Metastasio; gilt als Meisterwerk.

"Catone in Utica" (1728, Rom) – eine seiner letzten Opern, politisch und dramatisch sehr wirkungsvoll.

"Alessandro nell’Indie" (1729, Rom) – populäres Werk; später von Händel (als Poro) neu vertont.

"Artaserse" (1730, Rom) – Libretto Metastasio; eines seiner bekanntesten Spätwerke, das nach seinem Tod (möglicherweise vergiftet) uraufgeführt wurde

Frühere Opern und Opera buffa

"Lo cecato fauzo" (1719, Neapel) – frühes Beispiel neapolitanischer Komödie (dialektal, buffo-Stil).

"Li zite ’ngalera" (1722, Neapel) – eine der frühesten und beliebtesten opere buffe im neapolitanischen Dialekt.

"Le doje lettere" (1723, Neapel)

"La mogliera fedele" (1724, Neapel)

 

Oratorien, Kantaten und Kirchenmusik

 

Neben seinen Opern schrieb Vinci auch geistliche Werke.

"Oratorio di Maria dolorata" (um 1723)

"Missa" in D-Dur

"Magnificat" in C-Dur

"Confitebor tibi Domine"

Diverse Motetten und Antiphonen

 

Diese Werke sind weniger bekannt, zeigen aber seine melodische Begabung auch im sakralen Stil.

 

Kammermusik und Sonstiges

 

Nur wenige erhaltene Instrumentalwerke:

Einige Sinfonien und Ouvertüren (meist Operneinleitungen)

Arien und Duette in zeitgenössischen Sammlungen

 

Moderne Einspielungen (Auswahl)

 

Es gibt in den letzten Jahrzehnten eine Wiederentdeckung seiner Musik:

Didone abbandonata – Concerto Köln / Alan Curtis (DG Archiv, 2000)

Artaserse – mit Philippe Jaroussky, Max Emanuel Cencic u. a., (Virgin Classics, 2012)

Catone in Utica – Il Pomo d’Oro, Riccardo Minasi (Naïve, 2015)

Li zite ’ngalera – Cappella della Pietà de’ Turchini / Antonio Florio (Glossa, 2001)

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Werke

Zwischen 1719 und 1730 entstand das eindrucksvolle Bühnenwerk des neapolitanischen Komponisten Leonardo Vinci, das in nur elf Jahren eine stilistische Entwicklung vom volkstümlichen Dialekttheater bis zur vollendeten opera seria durchlief.

Sein erstes bekanntes Werk, „Lo cecato fauzo“ (1719, Neapel, Libretto von Andrea Perrucci), ist eine heitere opera buffa im neapolitanischen Dialekt und markiert den Beginn seiner komischen Phase. Bereits das Folgewerk „Lo scacciavento“ (1720, ebenfalls Neapel, Perrucci) zeigt den typischen Witz und die volksnahe Charakterzeichnung, die seine frühen Opern auszeichnen und beim Publikum enorme Popularität fanden. Mit „Li zite ’ngalera“ (1722, Teatro dei Fiorentini, Libretto von Bernardo Saddumene) schuf Vinci eines der wichtigsten Beispiele der frühen opera buffa überhaupt – eine temperamentvolle Komödie in neapolitanischer Sprache, die das Genre prägte. Es folgten „Le doje lettere“ (1723, Saddumene), eine satirische Intrigenhandlung mit Ensemblefinale, und „La mogliera fedele“ (1724, Saddumene), seine letzte reine Buffa vor der Hinwendung zur ernsten Oper.

Ab 1725 wandte sich Vinci ganz der opera seria zu. Mit „Astianatte“ (Rom, Teatro delle Dame, Libretto von Antonio Salvi nach Homer) gelang ihm der Durchbruch im ernsten Fach: klare melodische Linien und dramatische Konzentration auf das Wesentliche zeichnen dieses Werk aus. Im selben Jahr vertonte er „Ifigenia in Tauride“ (Rom, Libretto von Apostolo Zeno), das seine Meisterschaft im Umgang mit klassischen Stoffen und den neuen Anforderungen der Metastasio-Ästhetik zeigt.

Das Jahr 1726 brachte den endgültigen Ruhm mit zwei Meisterwerken: „Didone abbandonata“ und „Siroe, re di Persia“ (beide Rom, Texte von Pietro Metastasio). Didone gilt als das Durchbruchswerk, das die Form der opera seria nachhaltig prägte, während Siroe mit hochdramatischen Arien und emotionaler Dichte später auch Händel und Hasse inspirierte.

In den folgenden Jahren festigte Vinci seinen Ruf als führender Vertreter der neapolitanischen Schule. Mit „Gismondo, re di Polonia“ (1727, Rom, Francesco Briani) und „Ernelinda, principessa di Norvegia“ (1727, Neapel, Briani) verband er politische Themen mit empfindsamer Melodik, wodurch sich bereits der Übergang zum galanten Stil andeutet. „Catone in Utica“ (1728, Rom, Metastasio) gilt als eines seiner besten Werke: die exemplarische Umsetzung des klassischen Librettos und die psychologische Tiefe der Figuren machen es zu einem Höhepunkt seines Schaffens. Ebenfalls 1728 entstand „Partenope“ (Rom, Silvio Stampiglia), eine elegante, leicht ironische Oper, die später auch Händel inspirierte.

In den letzten Jahren seines Lebens erreichte Vinci die Reife seines Stils. „Alessandro nell’Indie“ (1729, Rom, Metastasio) zeigt die Verbindung von dramatischer Intensität und lyrischer Eleganz; Händel adaptierte den Stoff später als Poro. Im selben Jahr folgte „Semiramide riconosciuta“ (1729, Rom, Metastasio), eine seiner schönsten Partituren, die zwischen Pathos und Grazie balanciert und als Inbegriff des neapolitanischen Opernstils gilt. Sein letztes Werk, „Artaserse“ (1730, Rom, Metastasio), wurde kurz vor seinem frühen Tod vollendet und zählt zu den Gipfeln der italienischen Oper des 18. Jahrhunderts – ein Werk von vollendeter Form, vokaler Schönheit und dramatischer Geschlossenheit.

Mit diesen Opern begründete Leonardo Vinci die klassische Form der opera seria und prägte die Musik seiner Zeit entscheidend. Seine klare, kantable Melodik, die natürliche Deklamation und die Verbindung von Ausdruck und Eleganz ebneten den Weg für Komponisten wie Hasse, Pergolesi, Händel und schließlich Mozart.

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Gismondo, re di Polonia

Sängerinnen und Sänger:
Max Emanuel Cenčić– Gismondo
Yuriy Mynenko – Ottone
Sophie Junker – Kunigunde
Aleksandra Kubas-Kruk – Primislao
Hasnaa Bennani – Giuditta
Jake Arditti – Ernesto

Orchester: 
Orkiestra Historyczna!
Musikalische Leitung und Violine: Martyna Pastuszka (* 1980)

Szenische Realisierung:
Regie: Max Emanuel Cenčić (* 1976)
Fernsehregie: Isabelle Soulard (* 1964)

Aufnahme:
Aufgezeichnet 2020 im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth
Eine Produktion des Bayreuth Baroque Opera Festival

https://www.youtube.com/watch?v=hr8tGlKwKG8 

 

Unter den zahlreichen Opern Leonardo Vincis nimmt Gismondo, re di Polonia – uraufgeführt am 11. Januar 1727 im Teatro delle Dame in Rom – eine besondere Stellung ein. Nicht nur, weil sie zu den wenigen barocken Bühnenwerken zählt, die Polen als Schauplatz wählen, sondern auch, weil sie Vincis reifes dramatisches Gespür und die Eleganz seines melodischen Stils exemplarisch zeigt. Das Libretto ist eine anonyme Umarbeitung des Dramas Il vincitor generoso von Francesco Briani (fl. um 1700), das bereits Antonio Lotti (1667–1740) im Jahr 1708 vertont hatte. Der unbekannte Bearbeiter transponierte die Handlung in die Zeit der polnischen Renaissance und wählte als historischen Hintergrund die Union von Lublin (1569), welche das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen verband. Der Titelheld, König Gismondo, ist unschwer als Sigismund II. August (1520–1572) zu erkennen, der letzte Jagiellone auf dem polnischen Thron.

Vor diesem historisch gefärbten Rahmen entfaltet sich eine komplexe, jedoch ganz barock geprägte Geschichte politischer Intrigen und verbotener Leidenschaften. Gismondos Tochter Giuditta liebt den litauischen Fürsten Primislao, während dessen Tochter Cunegonda ihr Herz an Ottone, den Sohn des polnischen Königs, verliert. Diese doppelte Liebesverbindung wird durch Ehrgefühl, Loyalitätskonflikte und dynastische Verpflichtungen bedroht – Themen, die Vinci mit jener feinsinnigen Balance von Pathos und Empfindsamkeit behandelt, die sein Stil kennzeichnet. Die Versöhnung zwischen den ehemals verfeindeten Reichen wird schließlich durch Liebe und Großmut erreicht – ganz im Geiste der barocken opera seria, in der moralische Läuterung das krönende Finale bildet.

Musikalisch gehört Gismondo, re di Polonia zu Vincis ausgereiftesten Partituren. Die zentralen Figuren Cunegonda und Ottone dominieren das Werk mit ihren emotional vielschichtigen Arien, in denen Vinci die expressive Kraft der neapolitanischen Schule auf höchstem Niveau entfaltet. Einige Nummern stammen aus früheren Opern des Komponisten – ein im 18. Jahrhundert gängiges Verfahren. So wurde der zarte Liebesduett Dimmi una volta addio aus der heute verschollenen Ernelinda übernommen. Besonders hervorzuheben ist die reiche, phantasievolle Instrumentierung, die über das übliche Streicher-Continuo-Gerüst hinausgeht. In der Arie Quell’usignolo, einer poetischen Allegorie auf die Einsamkeit des verliebten Nachtigalls, setzt Vinci Flöten und Hörner ein, um den Gesang des Vogels in zarten Farben zu malen. In Vuoi ch’io moro?, einer Klage voll resignierter Trauer, begleiten dagegen zwei Fagotte die Stimme – ein höchst ungewöhnlicher, aber wirkungsvoller Klangreiz, der Vincis Gespür für orchestrale Nuancen zeigt.

Mit Gismondo, re di Polonia erreichte Vinci einen jener Momente, in denen italienische Oper und europäische Geschichte einander berühren. Dass ein neapolitanischer Komponist ausgerechnet ein polnisches Sujet wählte, spiegelt die internationale Ausstrahlung der italienischen Oper in den 1720er Jahren wider – eine Kunstform, die keine nationalen Grenzen kannte. Vincis Musik verbindet heroische Würde und menschliche Zartheit, höfische Noblesse und seelische Empfindung – Eigenschaften, die Zeitgenossen wie Johann Adolf Hasse (1699–1783) und Niccolò Porpora (1686–1768) bewunderten und weiterführten.

 

Nach ihrer römischen Uraufführung wurde Gismondo, re di Polonia mehrfach nachgespielt, bevor sie – wie viele Werke ihrer Zeit – im Schatten des sich wandelnden Operngeschmacks verschwand. Erst in jüngster Zeit hat das Werk wieder Beachtung gefunden, nicht zuletzt durch die Wiederentdeckung der Partitur im Archivio di Stato di Torino und durch moderne Aufführungen, die die Schönheit dieser Musik neu erschließen. Vincis feine melodische Handschrift, die klare Architektur seiner Szenen und seine Fähigkeit, Leidenschaft mit Anmut zu verbinden, machen Gismondo zu einem Musterbeispiel jener Kunst, die den Komponisten zum unbestrittenen Meister der neapolitanischen Oper seiner Zeit werden ließ.

Handlung - siehe Wikipedia:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gismondo,_re_di_Polonia 

CD-Vorschlag

Leonardo Vinci: Gismondo, re di Polonia

Orkiestra Historyczna unter der Leitung von Martyna Pastuszka (* 1979), Label: Parnassus Arts Productions, 2020

DVD-Vorschlag

 

Leonardo Vinci: Gismondo, re di Polonia

Inszenierung von Max Emanuel Cencic (* 1976)

Orkiestra Historyczna unter der Leitung von Martyna Pastuszka (* 1979)

Aufgezeichnet 2020 im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth

Eine Produktion des Bayreuth Baroque Opera Festival

Label: Parnassus Arts Productions / Ozango, 2020

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Gismondo, re di Polonia

Artaserse

Mit Artaserse erreichte Leonardo Vinci den Gipfel seiner schöpferischen Laufbahn – und zugleich ihr abruptes Ende. Das Werk wurde am 4. Februar 1730 im Teatro delle Dame in Rom uraufgeführt, auf ein Libretto von Pietro Metastasio (1698–1782), dem bedeutendsten Opernpoeten des 18. Jahrhunderts. Schon die Premiere wurde von Zeitgenossen als ein musikalisches Ereignis von außergewöhnlicher Wirkung beschrieben. Nur wenige Monate später war der Komponist tot – vermutlich vergiftet, wie zahlreiche, nie ganz geklärte Berichte andeuten. Damit wurde Artaserse zu seiner künstlerischen Krönung und zugleich zu seinem Vermächtnis.

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https://www.youtube.com/watch?v=7F8g8lVbjs4 

Metastasios Text, einer der meistvertonten des Jahrhunderts, schildert den Macht- und Loyalitätskonflikt im persischen Königshaus um 465 v. Chr.: Intrigen, Vatermord, falsche Anschuldigungen und schließlich Gnade und Vergebung bilden die dramatische Struktur dieses klassischen dramma per musica in drei Akten. Die Titelfigur, Artaserse, Sohn des ermordeten Königs Serse, ringt zwischen Freundschaft und Pflicht. Sein engster Vertrauter, Arbace, wird fälschlich beschuldigt, den König getötet zu haben – in Wahrheit war es dessen eigener Vater, der ehrgeizige Befehlshaber Artabano. Die Handlung entfaltet ein fein gesponnenes Netz aus Verrat, Liebe und Loyalität: Artaserse liebt Semira, Artabanos Tochter; Arbace liebt wiederum Mandane, Artaserves Schwester. So verstricken sich politische und private Bindungen zu einem moralischen Labyrinth, aus dem nur Wahrheit und Vergebung den Ausweg weisen.

 

Vinci vertonte dieses Drama mit jener unverwechselbaren Mischung aus melodischer Leuchtkraft und psychologischer Tiefe, die ihn zu einem der einflussreichsten Komponisten der neapolitanischen Schule machte. Die Musik zeichnet sich durch große Klarheit, strukturelle Eleganz und Gesangslinien von berückender Ausdruckskraft aus. Der Kontrapunkt tritt zurück zugunsten der melodischen Linie – das Orchester begleitet diskret, doch wirkungsvoll, mit gezielten instrumentalen Farben. Besonders auffällig ist die dramatische Verwendung der Da-capo-Arie, die bei Vinci nicht bloß virtuose Zierde ist, sondern seelische Zustände verdichtet und spiegelt.

 

Die Rollen von Arbace und Mandane bilden das emotionale Zentrum der Oper. In ihren Arien entfaltet Vinci eine erstaunliche Palette an Empfindungen – von zärtlicher Schwärmerei bis zu tiefster Verzweiflung. Gerade Arbaces Musik, ursprünglich für einen Kastraten mit außerordentlichem Tonumfang geschrieben, zählt zu den anspruchsvollsten Partien des gesamten 18. Jahrhunderts. Sie vereint technische Brillanz mit einem unerwarteten Ernst und moralischer Reinheit, die seine Unschuld musikalisch ahnen lassen.

 

Das Werk wurde unmittelbar nach seiner römischen Uraufführung in zahlreichen Städten nachgespielt – ein seltener Erfolg, der die europäische Resonanz auf Vincis Musik zeigt. Auch Georg Friedrich Händel (1685–1759) nahm sich Artaserse an: 1734 bearbeitete er Teile der Partitur für London und integrierte insbesondere Arien für die Figur des Arbace in ein Pasticcio, das unter gleichem Titel aufgeführt wurde. Damit wurde Vinci indirekt in die englische Operntradition eingebunden – ein Zeichen seiner europaweiten Anerkennung.

 

Der künstlerische Höhepunkt der Oper liegt in ihrem dritten Akt, wo sich die tragischen Verwicklungen in einem Kulminationspunkt entladen: Der König, der Freund und der Vater stehen einander gegenüber, Schuld und Vergebung prallen in erschütternder Intensität aufeinander. Artabano gesteht den Königsmord und bereitet sich auf den Tod vor, während sein Sohn Arbace den Versuch unternimmt, durch Selbstaufopferung den Vater zu retten. In einer Szene von seltenem moralischem Gewicht wandelt sich der König vom Richter zum Vergebenden – ein Moment, der Vincis Humanismus und Metastasios Ideal von „guter Herrschaft“ vollkommen verkörpert.

 

Musikalisch zeigt Vinci hier sein ganzes Können. Die Arien sind kunstvoll gestaltet, doch nie manieriert; die Rezitative fließen mit natürlicher Sprachrhythmik, was Metastasios Dichtung in Musik von hoher rhetorischer Präzision verwandelt. Besonders hervorzuheben sind die empfindsamen, fast kammermusikalischen Momente, in denen der Komponist die Zartheit der menschlichen Stimme über alles stellt. Auch in Artaserse spürt man jene melodische Begabung, die später Komponisten wie Johann Adolf Hasse (1699–1783), Niccolò Jommelli (1714–1774) und Giovanni Battista Pergolesi (1710–1736) beeinflussen sollte.

 

Als die Oper nach der Uraufführung weiter durch Europa wanderte, wurde sie vielfach angepasst. Die Zahl der Kastratenpartien – ursprünglich alle Hauptrollen – machte sie zu einer Herausforderung für spätere Aufführungen. Doch gerade diese stimmliche Homogenität war für Vinci typisch: Sie schuf eine ätherische Klangwelt, in der Macht, Liebe und Schuld gleichermaßen in hohen, reinen Tönen artikuliert wurden.

 

Der dramatische Erfolg von Artaserse wurde durch tragische Umstände unterbrochen. Nur zwei Wochen nach der Premiere, am 21. Februar 1730, wurde in Rom der Tod von Papst Benedikt XIII. (1649–1730) bekanntgegeben, woraufhin alle Theater im Kirchenstaat schließen mussten. Vincis Oper, die gerade ihren Siegeszug antrat, verstummte – und wenig später verstarb der Komponist selbst. Dennoch verbreitete sich Artaserse in den folgenden Jahren in Italien, Deutschland, Frankreich und England mit ungewöhnlicher Intensität.

 

Die Faszination dieser Musik ist bis heute spürbar: eine ideale Verbindung von klassischer Form und menschlicher Leidenschaft, von höfischer Eleganz und seelischer Wahrhaftigkeit. In Artaserse erreicht Vincis Kunst jene innere Balance, die sein Werk über die Epoche hinaushebt – die klare, melodische Linie als Ausdruck moralischer und emotionaler Wahrheit.

 

Handlung - siehe Wikipedia: 

https://de.wikipedia.org/wiki/Artaserse_(Metastasio) 

CD-Vorschlag

 

Leonardo Vinci: Artaserse

Philippe Jaroussky – Artaserse

Max Emanuel Cencic – Mandane

Franco Fagioli – Arbace

Valer Barna-Sabadus – Semira

Yuriy Mynenko – Megabise

Daniel Behle – Artabano

Concerto Köln – I Barocchisti

Leitung: Diego Fasolis (* 1958)

Label: Parnassus Arts Productions / Warner Classics 2012

 

DVD-Vorschlag

 

Leonardo Vinci: Artaserse

Franco Fagioli – Arbace

Max Emanuel Cencic – Mandane

Philippe Jaroussky – Artaserse

Valer Barna-Sabadus – Semira

Yuriy Mynenko – Megabise

Daniel Behle – Artabano

{Oh!} Orkiestra Historyczna

Musikalische Leitung: Martyna Pastuszka (* 1979)

Regie: Max Emanuel Cencic

Aufgezeichnet 2020 im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth

Eine Produktion des Bayreuth Baroque Opera Festival

Label: Parnassus Arts Productions / Ozango 2020

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Artaserse
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