Giuseppe Antonio Brescianello (um 1690–1758)
Giuseppe Antonio Brescianello war einer jener italienischen Musiker, die im 18. Jahrhundert die Klangwelt süddeutscher Höfe entscheidend prägten und dabei den italienischen Konzertstil mit der deutschen Hofkultur verschmolzen. Über seine Herkunft wissen wir wenig; gesicherte Nachrichten setzen erst im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts ein. 1714 begegnet er in Venedig, im Gefolge der exilierten bayerischen Kurfürstin Therese Kunegunde Sobieska (1676–1730), der Tochter des polnischen Königs Johann III. Sobieski (1629–1696). Ein Jahr später taucht er am Münchner Hof des Kurfürsten Maximilian II. Emanuel (1662–1726) auf, bevor ihn Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg (1676–1733) 1716 nach Stuttgart berief. Dort übernahm er die Leitung der Kammermusik, und schon 1717 wurde er zum Hofkapellmeister ernannt – ein erstaunlich schneller Aufstieg, der von seiner Virtuosität als Geiger und von seiner Fähigkeit zeugt, den Geschmack des Hofes zu treffen.¹
Zu den ersten größeren Kompositionen am neuen Wirkungsort gehört die Oper La Tisbe, eine pastorale Handlung, die 1718 im Auftrag Eberhard Ludwigs entstand. Ob sie auf die Bühne gelangte, ist ungewiss, doch das erhaltene Libretto zeigt, wie stark Brescianello in der Tradition der italienischen Opera seria stand. In den folgenden Jahren war er wiederholt Angriffen ausgesetzt: Der Hamburger Opernmeister Reinhard Keiser (1674–1739) bewarb sich mehrfach um seine Stelle in Stuttgart, doch der Herzog hielt an Brescianello fest. 1731 verlieh er ihm den Titel eines „Raths und Oberkapellmeisters“, womit seine Stellung gefestigt war. Erst die Finanzkrise von 1737, die zur Schließung der Stuttgarter Oper führte, nahm ihm einen wichtigen Teil seines Wirkungsfeldes.²
Brescianello reagierte darauf, indem er sich mit ganzer Energie der Instrumentalmusik zuwandte. Um 1738 erschien in Amsterdam sein einziges gedrucktes Werk, die 12 Concerti e sinphonie op. 1. Der Druck bei Michel-Charles Le Cène (†1743) zeigt ihn auf der Höhe seiner Kunst: In den Konzerten folgt er dem venezianischen Ritornell-Prinzip Antonio Vivaldis (1678–1741), doch anstelle reiner Virtuosität setzt er auf sangliche Mittelsätze von großer Innigkeit. Die Sinphonie der Sammlung changieren zwischen Tanzsuite und konzertanter Mehrsatzform; sie beweisen seinen Sinn für orchestrale Balance, für den Wechsel von Tutti und Episoden, für Klarheit und Eleganz.³ Dass ein Exemplar dieses Drucks im legendären „Schrank II“ der Dresdner Hofkapelle aufbewahrt wurde, verweist auf die Wertschätzung, die Brescianellos Musik auch über Württemberg hinaus genoss.
Die Dresdner Sammlung enthält überhaupt den größten Teil seiner handschriftlich überlieferten Werke. Mehrere Violinkonzerte – etwa in e-Moll, d-Moll und C-Dur – sind dort ebenso erhalten wie fragmentarische Sinfonien. Diese Werke zeigen einen Komponisten, der das brillante Idiom Vivaldis beherrscht, aber nicht bloß kopiert, sondern eine eigene, oft ernste, mollbetonte Klangsprache pflegt. Besondere Bedeutung haben die zwölf Concerti à 3 für zwei Violinen und Basso continuo, die sich in der Tradition der Triosonate bewegen, zugleich aber konzertante Züge tragen: Themen werden dialogisch zwischen den Violinen geführt, imitatorische Abschnitte wechseln mit kantablen Passagen, wodurch ein intimes und zugleich spannungsvolles Klangbild entsteht.⁴
Ein singuläres Kapitel seines Schaffens bilden die achtzehn Partiten für Mandora, auch gallichone genannt, die vermutlich um 1740 entstanden. Sie sind in Dresden vollständig überliefert und stellen einen Höhepunkt der Lautenliteratur dar. Jede Partita eröffnet mit einem freien Präludium und folgt dann der klassischen Tanzfolge von Allemande, Courante, Sarabande und Gigue, häufig ergänzt durch Menuette oder Rondeaux. Diese Werke zeigen Brescianellos Meisterschaft in der idiomatischen Behandlung des Instruments: fließende Figurationen, kunstvolle Akkordbrechungen, aber auch liedhafte Melodien, die den intimen Charakter der Mandora voll ausschöpfen. Damit hebt er dieses Instrument, das sonst im Schatten der Theorbe stand, zu einer eigenständigen Stimme der höfischen Musik.⁵
Als Herzog Karl Eugen von Württemberg (1728–1793) 1744 die Regierung übernahm, kehrte Brescianello an die Spitze der Hofkapelle zurück. Noch einmal erlebte die Kapelle unter seiner Leitung eine Blütezeit, bis er sich ab 1751 schrittweise in den Ruhestand zurückzog. Bis 1755 erhielt er eine Pension, ehe jüngere Kräfte wie Ignaz Holzbauer (1711–1783) und Niccolò Jommelli (1714–1774) das musikalische Leben in Stuttgart bestimmten. Am 3. oder 4. Oktober 1758 – die Quellen widersprechen sich über Datum und Sterbeort, genannt werden Stuttgart wie auch Ludwigsburg – schloss Giuseppe Antonio Brescianello sein Leben.
Sein Rang liegt nicht in der Erneuerung einer Gattung, sondern in der subtilen Verbindung italienischer Brillanz mit süddeutscher Noblesse. Seine Musik ist kantabel, oft ernst gestimmt, klar in der Form und reich an melodischer Schönheit. Dass sie so lange am Rande der Geschichtsschreibung blieb, hängt mit der Überlieferung zusammen: Viele Werke existierten nur in Archiven, verborgen in Handschriften. Erst durch moderne Editionen und Einspielungen – der Concerti à 3, der Mandora-Partiten, des op. 1 – wird deutlich, wie eigenständig, wie anmutig und zugleich wie kraftvoll dieser Komponist war. Brescianello erweist sich heute als ein Künstler von hohem Format, der über Jahrzehnte hinweg das Musikleben in Stuttgart prägte und ein Werk hinterließ, das den Klang der Epoche auf unverwechselbare Weise spiegelt.
Quellenüberlieferung
Die wichtigste Sammlung befindet sich in der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), im berühmten „Schrank II“. Dort liegen unter anderem die Violinkonzerte in e-Moll (Mus.2423-O-19; RISM 212007197), in d-Moll (Mus.2423-O-21; RISM 212007195) und in C-Dur (Mus.2423-O-23; RISM 212007196), mehrere Sinfonien (Mus.2423-O-24, -25), die Concerti à 3 (Mus.2437-N-1 bis N-12; RISM 212007193) sowie diverse Triosonaten (RISM 212007194). Ebenfalls dort wird das Exemplar des einzigen Drucks, der 12 Concerti e sinphonie op. 1 (Amsterdam, um 1738), aufbewahrt (Mus.2423-O-22; RISM A/I B 4337). Einzigartig ist außerdem die vollständige Sammlung der achtzehn Partiten für Mandora (Mus.2822-O-1 bis O-18; RISM 211011685). In Stuttgart hat sich das Libretto der Oper La Tisbe (1718) in der Württembergischen Landesbibliothek erhalten; das Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Bestand A 47, Hofkapelle) bewahrt Personalakten, Besoldungslisten und Korrespondenzen des Komponisten.
Literatur
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Ingeborg Allihn (1930–2009): „Brescianello, Giuseppe Antonio“. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. Aufl., Personenteil, Bd. 3. Kassel u. a. 1995.
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Ute van Everdingen (geb. 1965): „Giuseppe Antonio Brescianello. Ein italienischer Komponist am württembergischen Hof“. In: Musik in Baden-Württemberg, Jahrbuch 2004/2005, S. 87–106.
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Rudolf Gerber (1899–1957): „Die Musik am württembergischen Hofe“. In: Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 10 (1909), S. 1–48.
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Wolfgang Hirschmann (geb. 1960, Hg.): Konzert und Sinfonie zwischen Vivaldi und Stamitz. Hildesheim 2001.
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Michael Talbot (geb. 1943): Vivaldi and His Circle: New Light on the Musical Culture of Eighteenth-Century Venice. Woodbridge 1992.
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Booklettexte zu modernen Einspielungen, u. a. Adrian Chandler (geb. 1972) / La Serenissima: Concerti e Sinphonie op. 1 (Signum Classics, 2016); Der musikalische Garten: Concerti à 3 (CPO, 2007).
¹ Ute van Everdingen, Giuseppe Antonio Brescianello. Ein italienischer Komponist am württembergischen Hof, in: Musik in Baden-Württemberg, Jahrbuch 2004/2005.
² Rudolf Gerber, Die Musik am württembergischen Hofe, 1909.
³ Michael Talbot, Vivaldi and His Circle, 1992.
⁴ Wolfgang Hirschmann (Hg.), Konzert und Sinfonie zwischen Vivaldi und Stamitz, 2001.
⁵ Handschriften der SLUB Dresden, RISM 211011685.
Giuseppe Antonio auf CD – eine klingende Wiederentdeckung
Die Wiederentdeckung Giuseppe Antonio Brescianellos verdankt sich fast ausschließlich den modernen Einspielungen. Erst durch sie wurde sichtbar, welch vielfältiger, origineller und stilistisch feinsinniger Komponist sich hinter dem lange vergessenen Namen verbirgt. Heute liegt eine kleine, aber hochkarätige Diskographie vor, die von der Pracht seiner Konzerte über die Intimität seiner Kammermusik bis hin zu seiner Opern- und Lautenkunst reicht.
Einen zentralen Platz nimmt Brescianellos einzig gedrucktes Werk, die Concerti e Sinphonie op. 1, ein. Das Ensemble La Serenissima unter Adrian Chandler (* 1972 in Liverpool) hat diese Sammlung in zwei Alben mustergültig eingespielt. Das erste Album Behind Closed Doors (2021) präsentiert die ersten drei Konzerte und die ersten drei Sinfonien. Hier zeigt sich die Verbindung von venezianischem Schwung und süddeutscher Noblesse. Adrian Chandler führt seine Musiker mit rhythmischer Energie und feinem Sinn für Kantabilität. Besonders eindrücklich gelingt das c-Moll-Konzert, in dem sich dramatische Ritornelle und innige Mittelsätze abwechseln – eine Musik, die im besten Sinn zwischen Brillanz und Nachdenklichkeit schwebt.
Brescianello hat wie gesagt nur ein einziges gedrucktes Opus veröffentlicht:
Giuseppe Antonio Brescianello: Concerti e Sinphonie, op. 1, Augsburg, 1727, erschienen bei Johann Jakob Lotter (1693–1773)
Das Werk umfasst 12 Stücke:
6 Concerti (Nr. 1–6)
und
6 Sinfonie (Nr. 7–12)
Die Nummerierung variiert je nach Quelle etwas, weil in der Druckausgabe die Concerti und Sinfonien nicht strikt getrennt, sondern gemischt erscheinen.
Der zweite Teil, Brescianello Unlocked (2023), ergänzt die Sammlung mit den restlichen drei Konzerten, den Sinfonien IV–VI und einer prachtvollen A-Dur-Ouvertüre. Hier tritt die Vielfalt seiner Ausdrucksweise noch klarer hervor: Das A-Dur-Konzert funkelt in heiterer Virtuosität, während die Mollwerke eine tiefe Ernsthaftigkeit entfalten. Besonders beeindruckend ist der Wechsel zwischen kraftvollen Tutti und lyrischen Solopassagen, die Adrian Chandler mit glanzvollem Geigenton zum Strahlen bringt. Mit diesen beiden Alben liegt das gesamte op. 1 erstmals in einer Interpretation vor, die sowohl stilistisch fundiert als auch packend musiziert ist.
Die ganze CD:
https://www.youtube.com/watch?v=UrEnJohYTWE&list=OLAK5uy_lfZB6ETwDp_RjxPYpmGV8DRuih-drbLPk&index=2
Der zweite Teil ergänzt das Gesamtbild mit den Konzerten IV–VI und den Sinfonien IV–VI sowie einer prachtvollen Ouvertüre in A-Dur. Die Interpretation wirkt noch farbiger, die Artikulation schlanker, und man spürt, wie sicher Brescianello mit Form und Affekt umzugehen wusste. Besonders das A-Dur-Konzert strahlt heitere Virtuosität aus, während die Mollwerke wieder jene Ernsthaftigkeit besitzen, die seine Musik so unverwechselbar macht.
2. Concerti à 3 – Vol. 1
Ensemble Der musikalische Garten – CPO, 2007
Die zwölf Concerti à 3 sind eine faszinierende Mischung aus Triosonate und kleinem Concerto grosso. Zwei Violinen stehen im Dialog, getragen von einem Continuo, gelegentlich verstärkt durch Viola. Schon im ersten Band dieser Einspielung spürt man die Balance zwischen kunstvoller Imitation und tänzerischem Schwung. Das Ensemble Der musikalische Garten musiziert transparent, mit schlanker Klangrede und klarer Artikulation, die den dialogischen Charakter dieser Musik deutlich macht. Besonders die langsamen Sätze entfalten eine stille Kantabilität, die an Corelli erinnert, aber doch sehr individuell wirkt.
Der Musitic Garten präsentiert sich als junges, dynamisches Ensemble in klassischer Trio-Sonaten-Besetzung mit zwei Violinen, Violoncello und Cembalo. Für diese Einspielung hat das Ensemble ein bislang unveröffentlichtes Konvolut von zwölf Concerti a tre von Giuseppe Antonio Brescianello ausgewählt – Werke, die möglicherweise noch vor seiner Übersiedlung nach Deutschland entstanden sind. Dort verbrachte Brescianello den Großteil seiner Karriere als virtuoser Geiger, Komponist und später als Kapellmeister am Hof in Stuttgart.
Die sechs Stücke dieser Aufnahme – ein zweiter Band wird das vollständige Set ergänzen – orientieren sich im Wesentlichen am Modell der Sonata da chiesa. Gleichzeitig weist der Titel „Concerti“ auf die beträchtlichen spieltechnischen Herausforderungen hin, die den Geigern abverlangt werden, wie auch die begleitenden Booklet-Texte hervorheben. Das Ensemble begegnet diesen Anforderungen souverän: Die beiden Violinen gestalten ihre Partien mit Verve und Charakter, getragen von einem Continuo, das sich unprätentiös, aber stilvoll und tragfähig erweist.
Besonders eindrucksvoll zeigt sich Brescianellos Doppelbegabung: Er versteht es, in den langsamen Sätzen dichte, klangvolle Stimmungen zu entfalten, während er in den schnellen Abschnitten kontrapunktische Feinheiten mit spielerischer Leichtigkeit entwickelt. Diese Musik, die bisher im Schatten stand, verdient zweifellos größere Beachtung – und die Musikerinnen und Musiker des Musitic Garten tragen mit ihrer inspirierten Interpretation maßgeblich dazu bei.
2. Concerti à 3 – Vol. 2
Ensemble Der musikalische Garten – CPO, 2009
Das zweite Album setzt die Entdeckung der Concerti à 3 fort und zeigt die ganze Vielfalt dieser Sammlung: energische Kopfsätze, lyrische Mittelteile, brillante Finali. Man hört, wie souverän Brescianello die dialogische Struktur entfaltet – die Violinen antworten einander, manchmal spielerisch, manchmal in fast rhetorischem Ernst. Der musikalische Garten meistert diese Vielschichtigkeit mit klanglicher Eleganz und feiner Phrasierung. Gerade hier wird deutlich, wie nah Brescianello an Corelli anknüpft und doch mit süddeutschem Kolorit einen eigenen Ton findet.
Diese Werke stellen eine bemerkenswerte Bereicherung des Repertoires im Bereich der spätbarocken Triosonate dar.
In seinem Concerti a tre zeigt Brescianello künstlerisch und fantasievoll die Möglichkeiten des freundschaftlichen Wettbewerbs zwischen den beiden grundsätzlich gleichen Geigenteilen und den Darstellern, die mit schönen langsamen Bewegungen und unbändiger virtuoser Spielfreude entzücken.
Alle vier Musiker des Ensembles Der Musikalische Garten studierten historische Aufführungen an der Schola Cantorum Basiliensis und bleiben standhaft auf der Suche nach neuen musikalischen Wegen und unentdeckten Schönheiten. Die Künstler: Germán Exheverri Chamorro (Violine), Karoline Echeverri Klemm (Violine), Annekatrin Beller (Cello) und Daniella Niedhammer (Changeord).
Dieser Aufnahme enthält:
1. Concerto Settimo in a-Moll
2. Konzert Ottavo in D-Dur
3. Konzert Nono a-Moll
4. Konzert Decimo in D-Moll
5. Concerto Undecimo in E-Moll
6. Concerto Duodecimo in A Major
https://www.youtube.com/watch?v=ykinr71L3j8&list=OLAK5uy_nUY8AWKmcZkBbnKxhm0kf4ptI6G5oYjr0
4. "La Tisbe" (Pastorale, 1718)
Barockorchester Stuttgart unter der Leitung von Jörg Halubek (* 1977) – cpo, 2014
"La Tisbe" ist die einzige erhaltene Oper von Giuseppe Antonio Brescianello, komponiert 1718 für den Hof Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg (1676–1733) in Stuttgart. Das Libretto knüpft an die antike Liebesgeschichte von Pyramus und Thisbe an, wie sie Ovid ((* 43 v. Chr. – † 17 n. Ch.) in den Metamorphosen erzählt,
Inhaltlich gehört sie zur Tradition der Pastorale: Schäfer und Schäferinnen verhandeln Themen wie Liebe, Treue und Eifersucht, verbunden mit allegorischen Figuren, die das Geschehen ins Mythische erhöhen. Anders als die große Opera seria steht hier nicht das politische Gleichnis im Vordergrund, sondern eine feinsinnige, höfische Allegorie – leicht, elegant und doch voller Affekte.
Musikalisch verbindet Brescianello italienische Operntradition mit süddeutschem Geschmack. Seine Rezitative sind klar, schlank und von natürlicher Prosodie; die Arien entfalten sich in Da-Capo-Form, oft mit kantablen Linien, die einen lyrischen, intimen Ton anschlagen. Immer wieder lässt er instrumentale Ritornelle aufblühen, die an Vivaldi erinnern, doch weniger auf Virtuosität als auf Zartheit setzen. Besonders hervorzuheben ist die Farbigkeit des Orchesters, das sich nicht auf bloße Begleitung beschränkt, sondern gleichberechtigt am Ausdruck teilnimmt.
Die Stuttgarter Einspielung unter Jörg Halubek ist die erste moderne Gesamteinspielung des Werkes. Mit historisch informierter Aufführungspraxis, schlankem Klangbild und lebendiger Rhetorik macht das Barockorchester Stuttgart deutlich, wie fein Brescianello die Affekte zeichnet: charmant im Liebesdialog, scharf im Streit, innig in den elegischen Momenten. Damit wird "La Tisbe" nicht nur als musikhistorische Kuriosität hörbar, sondern als eigenständige Oper von Rang.
https://www.youtube.com/watch?v=5zA5WOJQ9dY&list=OLAK5uy_mpwsXTSfdQM6IPHIA2o78Jm3y1tOThPu0&index=3
Diese Einspielung macht "La Tisbe" hörbar zur zauberhaften Allegorie einer barocken Opernwelt; mit federndem Schwung, textlicher Klarheit und schwebender Emotionalität wird ein Werk zum Leben erweckt, das jahrhundertelang unbeachtet blieb – und heute überzeugend vom Wert Brescianellos als Opernkomponist zeugt.
Die Sängerinnen und Sänger – darunter Julia Doyle (* 1975), Nina Bernsteiner (* 1976) und Flavio Ferri-Benedetti (* 1980) – gestalten ihre Rollen mit Klarheit, rhetorischer Präzision und poetischer Intensität. So wird "La Tisbe" aus einem bibliothekarischen Titel zu einer Oper von Rang, die das Musikleben am württembergischen Hof in seiner Vielfalt dokumentiert.
5. Partite e Sinfonie per gallichone solo (um 1740)
Davide Rebuffa (* 1981) – Tactus, 2023
https://www.youtube.com/watch?v=5fJoF6M2DfY
Die achtzehn Partiten für gallichone (Mandora) bilden eine einzigartige Sammlung innerhalb des europäischen Lautenrepertoires. Anders als viele zeitgenössische Stücke für Laute oder Theorbe handelt es sich nicht um bloße Gelegenheitsmusik, sondern um vollwertige, kunstvoll aufgebaute Zyklen. Jede Partita beginnt mit einem freien Präludium und führt durch die klassische Tanzfolge mit Allemande, Courante, Sarabande und Gigue, ergänzt durch Menuette oder Rondeaux. In dieser Abfolge verbindet Brescianello höfische Eleganz mit intimer Kantabilität.
Seine Handschrift zeigt sich im Wechsel von virtuosen Figurationen und liedhaften Melodien. Oft setzt er die Mandora wie eine singende Stimme ein, die über einem warmen harmonischen Fundament schwebt. Gerade in den langsamen Sätzen entfaltet sich eine innige Melancholie, die an französische Lautenmusik erinnert, während die schnellen Tänze eine süddeutsche Leichtigkeit atmen. Damit erweist sich Brescianello als Meister feiner Nuancen – fern vom Glanz des Opernorchesters, aber mit einem höchst persönlichen Ausdruck.
Die Aufnahme von Davide Rebuffa, gespielt auf einem originalen Gallichone von 1754, ist die erste, die sich gezielt den Partiten widmet. Sein Spiel ist klar, transparent und poetisch – nie bloß virtuos, sondern stets der Linie und der Farbe verpflichtet. So wird hörbar, dass diese Werke nicht am Rand des Œuvres stehen, sondern zu den eigenständigsten Schöpfungen Brescianellos zählen.
Im 18. Jahrhundert suchten viele bayerische Adlige nach Zerstreuung, um ihrem oft eintönigen und wenig aktiven Alltag zu entkommen. Neben beliebten Beschäftigungen wie dem Glücksspiel, dem Tabakrauchen oder dem Lesen spielte auch die Musik eine Rolle. Besonders häufig erwähnt werden dabei zwei Instrumente: die Mandora und das Gallichon (damals oft auch Kli(ch)on genannt).
Diese Instrumente waren vereinfachte Formen der Laute. Während die übliche deutsche Barocklaute mit bis zu 13 Chören (Saitenpaaren) sehr anspruchsvoll war und eine lange Ausbildung erforderte, besaßen Mandora und Gallichon in der Regel nur fünf oder sechs Saiten. Dadurch waren sie leichter zu erlernen und wurden bei Angehörigen des deutschen, österreichischen und böhmischen Adels sehr beliebt – auch bei Frauen, die im 18. Jahrhundert sonst kaum Zugang zur professionellen Musikausübung hatten.
Eine Sonderform, das größere Gallichon mit acht Chören, war vielseitiger einsetzbar. Es fand vor allem Verwendung als Generalbass-Instrument in Kammermusikensembles oder sogar in Orchestern. Besonders in Klöstern und im kirchlichen Umfeld war es weit verbreitet und erfüllte dort eine wichtige Rolle in der geistlichen Musikpraxis.
Ein erhaltenes Originalinstrument, ein Gallichon aus dem Jahr 1754, diente dem heutigen Spezialisten Davide Rebuffa (geb. 1972) als Grundlage für seine Aufführungen. Er hat sich intensiv mit dem historischen Instrumentarium beschäftigt und spielt auf Nachbauten, die auf diesem Original basieren. Damit bringt er die Klangwelt des 18. Jahrhunderts wieder zum Leben.
Besonders im Mittelpunkt stehen dabei die Werke von Giuseppe Antonio Brescianello (um 1690–1758), einem italienischen Komponisten und Geiger, der nach 1716 am württembergischen Hof in Stuttgart tätig war. Nach 1737 wirkte er als „Oberkapellmeister“ im Dienst der Herzöge von Württemberg und verbrachte dort den größten Teil seines künstlerischen Lebens. Viele seiner Kompositionen – darunter Sonaten, Konzerte und geistliche Werke – lassen vermuten, dass sie auch für Instrumente wie die Mandora oder das Gallichon bestimmt waren, die im höfischen wie im geistlichen Rahmen geschätzt wurden.
6. Concerti, Sinfonie und Ouverture
La Cetra Barockorchester Basel – Leitung: David Plantier und Václav Luks – Glossa, Reissue 2016. (Harmonia Mundi 2004)
https://www.youtube.com/watch?v=U6J0kqnCxBw&list=OLAK5uy_lWwxEjychD41u_oOSf-iqSlUQuN0TjEjo&index=1
Dieses Album versammelt ein konzentriertes Programm aus Brescianellos Instrumentalrepertoire: sinfonische Miniaturen, Concerti und eine Overtüre. Die Aufnahme bietet einen breit gefächerten Eindruck – von atmosphärischen Sinfonien über virtuose Solobeiträge (z. B. Violine, Oboe, Fagott) bis hin zu einem lebendigen Chaconne. Das Orchester spielt mit plastischer Transparenz und tänzerischem Drive, die Dialoge zwischen Solisten und Ripienogruppe gestalten sich reizvoll und sinnlich. Besonders eindrücklich ist, wie Brescianellos venezianischer Erbschaft spürbar wird – reich an Affekten, aber in klarer Form gehalten. Ein faszinierender Einstieg für jene, die Brescianellos Orchestersprache in komprimierter Form erleben möchten.
Das Programm zeigt Werke, in denen Brescianello stilistisch eng an die italienische Konzerttradition angelehnt bleibt – insbesondere sinfonische Spritzigkeit, emotionale Mittelsätze und klangfarbenreiche Solopartien – eindrücklich umgesetzt von Plantier und Luks. Besonders hervorgehoben wird ein fast zwei Minuten langes, improvisationsartiges Violincadenza im g-Moll-Konzert, das die kreative Freiheit und Spielfreude des Interpreten spürbar macht.
Brescianello: Partite I–IV per chitarra classica
Diese Einspielung ist eine Übertragung der ersten vier Partiten aus der berühmten Sammlung für Mandora (gallichone) auf die moderne klassische Gitarre. Während die Originalhandschriften um 1740 für ein Lauteninstrument konzipiert sind, gelingt es der Bearbeitung, den Geist der Musik in die Sprache der Gitarre zu übertragen: die klaren Tanzformen, die geschmeidigen Linien der Allemanden, die Eleganz der Sarabanden und die rhythmische Vitalität der Giguen bleiben vollständig erhalten.
Die Gitarre verleiht dem Werk eine neue, warme Klangfarbe, die einerseits in der Lautentradition verwurzelt ist, andererseits aber auch an romantische Gitarrenmusik denken lässt. Besonders reizvoll sind die liedhaften Melodien, die auf der Gitarre eine ganz eigene Poesie entfalten. Damit öffnet sich Brescianellos Musik einem neuen Publikum, das vielleicht eher die klassische Gitarre kennt als die historische Mandora.
Diese Einspielung präsentiert die ersten vier Partiten aus Brescianellos Sammlung für Mandora – stilvoll übertragen auf klassische Gitarre. In dieser Fassung bleiben die architektonische Klarheit der Tanzsätze (Allemande, Sarabande, Gigue etc.) und die melodische Eleganz der Originale stets spürbar. Die klassische Gitarre verleiht diesen barocken Tonfolgen eine warme, kammermusikalische Intimität, die zugleich an romantische Gitarrenliteratur erinnert.
Die Bearbeitung zeigt, wie Brescianellos Musik universell „funktioniert“: Sie klingt auf historischen Lauteninstrumenten, auf Barockorchestern und eben auch auf der modernen Gitarre überzeugend. Dadurch öffnet sich sein Werk einem ganz neuen Publikum – und gleichzeitig bleibt der barocke Kern erhalten.
https://www.youtube.com/watch?v=jOKPXA62Ahk&list=OLAK5uy_mjD3y45Hick0yCMakcT_-X0ypWBBdB0gA&index=1
Partite V, VIII, X & XIV (18 Stücke, ca. 43 Min., 2025) – Paolo Aragona (Gitarre)
Mit dieser Aufnahme eröffnet der italienische Gitarrist Paolo Aragona (* 1984) einen neuen Blick auf Brescianellos Mandora-Partiten. Während die Originale um 1740 für das gallichone konzipiert wurden, überträgt Aragona vier der umfangreicheren Zyklen – die Partiten V, VIII, X und XIV – auf die moderne Konzertgitarre. Damit entsteht ein Werkblock von 18 einzelnen Sätzen, die zusammen über 40 Minuten dauern und fast eine kleine „Suite in vierfacher Spiegelung“ ergeben.
Die Bearbeitung ist keine bloße Transkription, sondern eine idiomatische Neubefragung. Brescianellos Tanzsätze – Allemanden, Couranten, Sarabanden, Giguen – behalten ihre architektonische Klarheit, gewinnen aber durch die Gitarrenfarbe eine intime Wärme. Besonders in den Sarabanden gelingt es Aragona, den innigen, fast kontemplativen Charakter der Musik hervorzuheben. In den schnelleren Sätzen wie den Allegros, Menuetten oder Capricci wirkt die Gitarre wiederum leichtfüßig und von funkelnder Virtuosität.
Bemerkenswert ist, wie stark die Gitarre das dialogische Element dieser Musik betont: Akkordische Begleitfiguren und melodische Linien verschmelzen zu einem kammermusikalischen Gespräch, das den Hörer in den Bann zieht. So wird deutlich, dass Brescianellos Musik auch auf einem modernen Instrument ihre Kraft entfaltet – nicht als historisches Artefakt, sondern als lebendige Kunst.
https://www.youtube.com/watch?v=MkyizIiaiIE&list=OLAK5uy_kriBuPnvHV96yFK_dyAdjlZXJwMHFp55Y&index=1
Partite XI, XII, XIII, XV & XVIII – Paolo Aragona (Gitarre) – 2024
Der italienische Gitarrist Paolo Aragona (* 1984) setzt sich mit dieser Aufnahme vertieft mit Brescianellos Mandora-Zyklus auseinander, diesmal in ausgewählten Partiten: XI, XII, XIII, XV und XVIII. Das Album umfasst 25 Sätze und dauert etwa 56 Minuten – ein beeindruckender Ausschnitt aus den insgesamt 18 Partiten.
Warum diese Auswahl besonders hörenswert ist:
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Partita XI entfaltet sich mit einem fließenden Allegro, gefolgt von einem warmen Andante, einem charmanten Menuet und einem kräftigen Finale Allegro – eine kurze, aber beeindruckende kleine Dramaturgie.
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Partita XII kombiniert tänzerischen Entrée-Schritt, lebhafte Allegro, elegante Menuette, Gavotta (zart, tanzend) und abschließende Gigue – Formenreichtum in kurzer Folge.
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Partita XIII erscheint fast sakral: Aria, gefolgt von Menuet Trio, tief emotionalem Cantabile und geradezu barocker Fuga.
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Partita XV wird monumentaler: ein kraftvolles Allegro, ein ausladender Menuet I mit Trio, eine lebhafte Bourée, ein charmantes Menuet II und eine finale Gigue, die tänzerisch entschwebt.
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Partita XVIII ist der vielleicht reichste Teil: mit Aria, Bourée, mehreren Menuetts (I–III), einem Rigaudon und einer abschließenden Gigue – fast eine Mini-Suite für sich.
Aragona nimmt diese Partiten in einer sensiblen, idiomatischen Gitarrenbearbeitung auf – die Linien bleiben transparent, die Harmonien klar, und die Ritornelle pulsieren leise, mit barocker Eleganz. Die Gitarre fügt Wärme und moderne Klanglichkeit hinzu, ohne den Ursprung zu verleugnen.
https://www.youtube.com/watch?v=tA8E2Q4XRP8&list=OLAK5uy_md1J_NxZsQUbP3h6A4bt2INK8IT7i_E6E&index=1
Partita Nr. XVI in d-Moll (Gallichone / Gitarrenfassung)
Die Partita Nr. XVI in d-Moll von Giuseppe Antonio Brescianello, ursprünglich für Gallichone (Mandora) komponiert, gilt als eine der berührendsten Stücke seines Mandora-Kreises. Sie umfasst vier Sätze: Entrée, Minuetto, Siciliana und Gigue, und zeichnet sich durch ihre formale Klarheit, expressive Tiefe und eleganten Tanzcharakter aus.
Eine moderne Aufführung zeigt Michele Manuguerra auf Gitarre – mit bemerkenswerter Intimität und technischer Präzision. Die Verwandlung auf die Gitarre bewahrt die musikalische Substanz dieser Barock-Partita, unterstreicht aber gleichzeitig deren lyrische Kantilene und tänzerische Feinheit. Im slowenischen Kontext wirkt sein Spiel wie eine filigrane Filigranarbeit: dynamisch, gestochen klar und zugleich tief poetisch.
https://www.youtube.com/watch?v=T_N0zK8JDLo
Giuseppe Antonio Brescianello gehört zu jener Generation von Komponisten, die im Schatten der großen Namen wie Vivaldi, Händel oder Jommelli standen und deshalb lange unbeachtet blieben. Doch seine Musik verdient es, aus diesem Schatten hervorzutreten. In Stuttgart wirkte er über Jahrzehnte hinweg als Kapellmeister und prägte das höfische Musikleben nachhaltig. Seine Concerti e Sinphonie op. 1 dokumentieren die Aufnahme des italienischen Konzertstils nördlich der Alpen und zeigen, wie sich venezianische Virtuosität mit süddeutscher Ausgewogenheit verband. Die Concerti à 3 erweitern das Repertoire der Triosonate um konzertante Züge, während die Mandora-Partiten eines der bedeutendsten Zeugnisse für dieses seltene Instrument darstellen. Auch seine Oper La Tisbe beweist, dass er über solides dramatisches Talent verfügte und dem Geschmack seiner Zeit gerecht werden konnte.
Insgesamt ist Brescianello kein bahnbrechender Neuerer, sondern ein souveräner Meister, der die Formen seiner Epoche auf hohem Niveau beherrschte und ihnen durch melodische Erfindungskraft und harmonische Feinheit eine eigene Note verlieh. Heute erschließt sich sein Rang vor allem durch die wiederentdeckten Handschriften und durch moderne Einspielungen, die sein Werk in seiner ganzen Bandbreite hörbar machen. Er repräsentiert jenen Typus des höfischen Kapellmeisters, der gleichermaßen Dienstleister wie Künstler war – und der in beiden Rollen ein bleibendes musikalisches Erbe hinterließ.
