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Pierre Moulu (1484 – um 1550)

Pierre Moulu (* 1484 im Département Eure-et-Loir, † um 1550) war ein franko-flämischer Komponist und Kleriker der Renaissance.

 

Die wenigen gesicherten Informationen über Moulus Biographie stammen aus päpstlichen Bittschriften aus dem Jahr 1505. Darin wird ein "Petrus Moulu" aus der Diözese Meaux erwähnt, der zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt war – was auf ein Geburtsjahr um 1484 schließen lässt. Aus denselben Dokumenten geht hervor, dass er zwischen 1505 und 1513 als Kaplan an der Kathedrale Saint-Étienne in Meaux tätig war. Wahrscheinlich entstand seine Messe Stephane gloriose für diese Kirche.

 

Obwohl sein Name nicht in den Gehaltslisten des Pariser Hofes erscheint, deuten zahlreiche Hinweise darauf hin, dass Moulu während der Regierungszeit von König Ludwig XII. (1498–1515) dem königlichen Umfeld eng verbunden war. Nach dem Tod der Königin Anne de Bretagne im Jahr 1514 komponierte er die eindrucksvolle Trauermotette "Fiere Attropos", in der er den Verlust beklagte. Auch in seiner Motette "Mater floreat florescat".

 

Vermutlich für einen festlichen Anlass geschaffen, findet sich eine Huldigung des Königs und der Königin. Dort ruft er insgesamt dreizehn Musiker auf, darunter berühmte Hofkomponisten wie Antoine de Longueval, Jean Braconnier († 1512), Johannes Prioris, Antoine de Févin, Hilaire Bernnoneau, Antonius Divitis und Jean Mouton. Diese standen teils in Diensten des Königs, teils der Königin.

 

Über Moulus späteres Leben ist nahezu nichts bekannt. Nach 1520 verlieren sich die Spuren. Selbst das Todesjahr bleibt im Dunkeln. Dennoch bewahrte sich sein Name im kulturellen Gedächtnis: Der Komponist Jehan Daniel († 1530) sowie die Dichter François Rabelais († 1552) und Pierre de Ronsard († 1585) führten ihn in Listen bedeutender Musiker ihrer Zeit, die insbesondere auf Hofsänger und Komponisten verwiesen.

 

Moulus Werke erfreuten sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts einer weiten Verbreitung und finden sich an denselben Orten wie die Kompositionen von Jean Mouton und Jean Richafort. Obwohl ihn Pierre de Ronsard später als Schüler Josquins bezeichnete, lässt sich diese Beziehung nicht eindeutig belegen. Stilistisch steht Moulu eher in der Nähe Moutons. Seine Werke zeichnen sich durch fließenden imitatorischen Kontrapunkt aus, der gelegentlich von Stimmenreduktionen, paarigen Imitationen und kurzen homophonen Passagen aufgelockert wird.

 

Einige seiner vierstimmigen Motetten und Chansons enthalten raffinierte rhythmische Figuren und nutzen die Wiederholung von Schlusswendungen – Elemente, die später von Komponisten wie Claudin de Sermisy weiterentwickelt wurden. Während Moulu in diesen Fällen eine eher ausgeglichene und dichte kontrapunktische Textur bevorzugt, griff er in seinen mehrstimmigen Kompositionen häufig auf Cantus-firmus- und Kanon Techniken zurück.

 

Seine drei- und vierstimmigen Chansons repräsentieren stilistisch eine Übergangsphase zwischen den eher formstrengen Werken von Antoine de Févin und der lyrischen Leichtigkeit Sermisys. In vier seiner fünf Messen verarbeitete er thematisches Material von Josquin oder dessen Zeitgenossen.

 

Ein herausragendes Beispiel seines Schaffens stellt die Missa Alma Redemptoris Mater, auch Missa duarum facierum genannt, dar. Diese Komposition erlaubt zwei verschiedene Aufführungsarten: entweder unter Beachtung der Pausen über Viertelwerten oder mit durchgehender musikalischer Bewegung. Diese Flexibilität spiegelt Moulus künstlerisches Streben nach struktureller Vielfalt und Ausdruckstiefe wider.

 

Seine drei Motetten sind in den Codex Medici überliefert.

 

1. Mater floreat (2 pars)

Fol. 51v–55 — 4 Stimmen

 


Lateinischer Text:


Mater floreat ecclesia sancta,
Christum laudet et collaudet Mariae filium,
qui in cruce pependit pro salute nostra,
et resurrexit tertia die,
ut nos liberaret a potestate diaboli.
Alleluia.

Deutsche Übersetzung:


Die Mutter, die heilige Kirche, möge erblühen,
Christus loben und zugleich Maria preisen, den Sohn,
der am Kreuz hing zu unserem Heil
und am dritten Tage auferstand,
um uns zu befreien aus der Macht des Teufels.
Halleluja.

 

Diese Motette ist eine kunstvolle Marienhymne, die in zwei Abschnitte gegliedert ist. Moulu verbindet eine klare, syllabische Textbehandlung mit weichen Imitationen und schafft so einen ausgewogenen Klang, der sowohl die Verehrung der Jungfrau Maria als auch eine festliche Atmosphäre vermittelt. Die Komposition zeichnet sich durch breite Melodiebögen und eine fast kontemplative Klangfarbe aus.

 

2. Vulnerasti cor meum (2 pars)

Fol. 119v–122 — 4 Stimmen

Achtung: eine moderne Fassung für fünf Stimmen.


Lateinischer Text:


Vulnerasti cor meum, soror mea sponsa,
vulnerasti cor meum in uno oculorum tuorum,
et in uno crine colli tui.
Quam pulchra es et quam decora,
carissima in deliciis!
Statura tua assimilata est palmae,
et ubera tua botris.
Dixi: Ascendam in palmam
et apprehendam fructus eius.

Deutsche Übersetzung:


Du hast mein Herz verwundet, meine Schwester, Braut,
du hast mein Herz verwundet mit einem einzigen deiner Blicke
und mit einer einzigen Locke deines Halses.
Wie schön bist du und wie lieblich,
Geliebte voller Wonne!
Dein Wuchs ist einer Palme vergleichbar,
und deine Brüste den Trauben.
Ich sprach: Ich will auf die Palme steigen
und ihre Früchte ergreifen.

 

Hier vertont Moulu einen Hohelied-Text: „Vulnerasti cor meum, soror mea sponsa“ („Du hast mein Herz verwundet, meine Schwester, Braut“). Die Motette ist ein Beispiel für die innige, fast madrigaleske Empfindsamkeit, die Moulus Stil prägt. Er setzt auf ein dichtes Geflecht von Imitationen, in dem das Wort vulnerasti („verwundet“) durch ausdrucksvolle melodische Linien hervorgehoben wird. Der zweite Teil bringt mehr Bewegtheit, um die Freude und die Süße der Liebesmetaphern musikalisch zu spiegeln.

 

3. In omni tribulatione et angustia — Zuschreibung unsicher

 

Fol. 79v–80 — 4 Stimmen

In der Forschung teils Pierre Moulu zugeschrieben, teils Jean Mouton. Die Quelle im Medici-Codex nennt keinen Komponistennamen.

Lateinischer Text:

In omni tribulatione et angustia,

succurre nobis, Domine, Deus noster,

et per intercessionem beatae Mariae semper Virginis

et omnium sanctorum tuorum

a cunctis nos protege periculis.

 

Deutsche Übersetzung:

In aller Bedrängnis und Angst

komm uns zu Hilfe, o Herr, unser Gott,

und durch die Fürbitte der seligen Maria,

der immerwährenden Jungfrau,

und all deiner Heiligen

bewahre uns vor allen Gefahren.

 

Die Zuschreibung ist in der Forschung nicht eindeutig: teils wird die Motette Moulu zugeschrieben, teils Jean Mouton. Der Text ist eine Bitte um Beistand in Not und Gefahr. Musikalisch zeigt sich eine enge imitatorische Führung, die den Flehruf „in omni tribulatione“ eindringlich ausmalt. Der Satz ist schlichter als bei Mouton, wirkt inniger und persönlicher, was für Moulu spricht.

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