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Józef Wieniawski (1837-1912)

Józef Wieniawski (* am 23. Mai 1837 in Lublin, † am 11. November 1912 in Brüssel) war ein bedeutender polnischer Pianist, Komponist, Pädagoge und Dirigent. Er entstammte einer hochmusikalischen Familie: Seine Mutter Regina († 1884), die Schwester des renommierten Pianisten Edward Wolff († 1880), unterrichtete ihn zuerst am Klavier. Sein älterer Bruder Henryk († 1880) war ein herausragender Geiger und Komponist des 19. Jahrhunderts, während sein jüngerer Bruder Aleksander († 1912) als Sänger tätig war. Sein Neffe Adam Tadeusz Wieniawski († 1950) wurde später ebenfalls ein angesehener Komponist und Pädagoge und war einer der Mitbegründer des Internationalen Henryk-Wieniawski-Violinwettbewerbs.

In seiner Heimatstadt Lublin erhielt Józef Wieniawski ersten Unterricht von Franciszek Synek, bevor er im Alter von zehn Jahren ans Pariser Konservatorium ging (1847–1850). Dort studierte er Klavier unter Pierre Joseph Zimmermann (†  1853) und Antoine François Marmontel († 1898) sowie Komposition und Kammermusik bei Charles Valentin Alkan († 1888). Er wurde mehrfach ausgezeichnet und schloss sein Studium mit dem Prémier Grand Prix ab. Später perfektionierte er seine Klaviertechnik unter der Anleitung seines Onkels Edward Wolff († 1880).

Bereits 1846 trat Józef Wieniawski gemeinsam mit seinem Bruder Henryk als musikalisches Wunderkind in Paris auf. Ihre Konzerttourneen führten sie durch zahlreiche Länder wie Polen, Russland, die Ukraine, Deutschland, Österreich, Belgien und Frankreich und wurden überall begeistert gefeiert. Eine ihrer bekanntesten gemeinsamen Kompositionen, das“ Grand Duo Polonais“, erntete stets großen Applaus. Die Brüder arbeiteten auch an weiteren Stücken zusammen, darunter das 1848 entstandene "Allegro de Sonate“ in g-Moll Op. 2.  Im Jahr 1855 trennten sich ihre beruflichen Wege, und Józef setzte seine Ausbildung in Weimar bei Franz Liszt († 1886) und in Berlin bei Adolf Bernard Marx († 1866) fort.

Nach seiner Rückkehr nach Warschau 1859 organisierte er dort musikalische Veranstaltungen, bei denen er unter anderem mit bekannten Künstlern wie Jan Hornziel († 1871), Joachim Goebelt, seinem Bruder Aleksander und später auch Ignacy Jan Paderewski († 1941) zusammenarbeitete. In Paris setzte sich Józef Wieniawski für die Förderung der Werke Stanisław Moniuszkos († 1872) in Frankreich ein, insbesondere durch die Veröffentlichung dessen Lieder und die Bemühungen, eine seiner Opern dort aufzuführen.

1864 zog er nach Moskau, wo er zunächst als Lehrer an der Moskauer Musikgesellschaft tätig war und später am Konservatorium unterrichtete. Ein Jahr darauf gründete er private Musikklassen, die rund 700 Schüler anlockten. 1870 kehrte er nach Warschau zurück und war maßgeblich an der Gründung der Warschauer Musikgesellschaft beteiligt. 1875 übernahm er die Leitung der Musikgesellschaft und organisierte zahlreiche hochkarätige Konzerte mit internationalen Solisten. Nach einigen Jahren verließ er Warschau jedoch wieder und zog nach Paris.

Ab 1878 unterrichtete Wieniawski am Konservatorium in Brüssel, wo er ebenfalls erfolgreich Kammermusikkonzerte organisierte. 1889 heiratete er Melania Hilsheimer, die Tochter eines Dresdner Bankiers, mit der er drei Kinder hatte, darunter die Geigerin und Cellistin Elisabeth und Marcelle.

Józef Wieniawski hinterließ ein umfangreiches kompositorisches Werk, das neben Klavierstücken auch Kammermusik, symphonische Werke und Lieder umfasst. 51 seiner Kompositionen wurden veröffentlicht, und einige seiner Werke sind auf frühen Grammophonaufnahmen erhalten geblieben. Wieniawski starb in Brüssel und wurde auf dem Friedhof von Ixelles beigesetzt.

Werke von Józef Wieniawski

 

Op. 1: 2 Idylles

  - Épanchement (Es-Dur)

  - La Barque (A-Dur)

 

Op. 2: Allegro de Sonate  

  - für Violine und Klavier (g-Moll; ca. 1848, mit Henryk Wieniawski)

 

Op. 3: Valse de concert Nr. 1 (Des-Dur)

 

Op. 4: Tarantelle Nr. 1 (e-Moll)

 

Op. 5: Grand Duo Polonais  

  - in e-Moll für Violine und Klavier (1852, mit Henryk Wieniawski; auch Op. 8 bei Henryk)

 

Op. 6: Fantasie über Themen aus "La sonnambula"

  - (Fantaisie et Variations de Concert sur des Motifs de "La sonnambula" de Bellini; Des-Dur)

 

Op. 7: Valse de salon (F-Dur

 

Op. 8: Pensée fugitive (Des-Dur)  

 

Op. 9: Barcarolle-Caprice (h-Moll)  

  - (1. der 2 Morceaux de concert)

 

Op. 10: Romance-Étude (a-Moll)  

  - (2. der 2 Morceaux de concert)

 

Op. 11: Polka brillante (D-Dur)  

Op. 12: Souvenir de Lublin, Romance variée (Ges-Dur)  

Op. 13: Polonaise Nr. 1 (C-Dur)

 

Op. 14: 8 Romances sans paroles (2 Bände)

 

Op. 15: Rondeau (g-Moll)  

 

Op. 16: Modlitwa (Modlitwa do Najświętszej Maryi Panny Ostrobramskiej) (As-Dur)  

  - für Stimme & Klavier (Orgel).  

  - Verschiedene Sprachversionen: Lateinisch (Ave Maria), Deutsch  (Gebet), Französisch (Prière)

 

Op. 17: Lieder

  - Pieśń wiosenna (Frühlingslied), Text: R. Zmorski

  - Pieśń jesienna (Herbstlied), Text: A. Z. Wicherski

 

Op. 18: Souvenir d'une valse (f-Moll)

 

Op. 19: Impromptu Nr. 1 (H-Dur)

 

Op. 20: Klavierkonzert (g-Moll; ca. 1858)

 

Op. 21: Polonaise Nr. 2 (As-Dur)

 

Op. 22: Klaviersonate (h-Moll)

 

Op. 23: 8 Mazurken (2 Bände)

 

Op. 24: Violinsonate (d-Moll)

 

Op. 25: Fantaisie et Fugue (B-Dur)

 

Op. 26: Cellosonate (E-Dur)

 

Op. 27: Polonaise Nr. 3 (gis-Moll)

 

Op. 28

  - Overture in E-Dur für Orchester (ca. 1862)

  - Sur l'océan, Contemplation (H-Dur)

 

Op. 29: Barcarolle (B-Dur)

 

Op. 30: Valse de concert Nr. 2 (E-Dur)

 

Op. 31: Ballade (es-Moll)

 

Op. 32: Streichquartett (a-Moll; veröffentlicht 1882)

 

Op. 33: Étude de concert Nr. 1 (G-Dur)

 

Op. 34: Impromptu Nr. 2 (F-Dur)

 

Op. 35: Tarantelle Nr. 2 (a-Moll)

 

Op. 36: Étude de concert Nr. 2 (A-Dur)

 

Op. 37: Nocturne (e-Moll)

 

Op. 38: 4 Gesänge (veröffentlicht 1883)

  1. Entzückung: "Wenn ich weile bei dir" (H. Cazalis) / Zachwycenie / Extase

  2. Er liebte mich so sehr: "Nein, ich liebte ihn nicht" (E. de Girardin)

  3. Ich kehre nie zurück: "Wenn sich auf's Neu der Rasen kleidet" (Z. Krasiński)

  4. "Und hattest du mir nichts zu sagen" (V. Hugo)

 

Op. 39: 6 Pièces romantiques

  1. Idylle

  2. Evocation

  3. Jeux de Fées

  4. Ballade

  5. Elégie orientale

  6. Scène rustique

 

teils auch als:

Op. 39: 4 Pièces romantiques (Brüssel: Schott Frères, 1905)

  1. Ballade

  2. Jeux de Fées

  3. Elégie orientalne

  4. Scène rustique

 

Op. 40: Klaviertrio (G-Dur)

 

Op. 41:

  - Suite romantique für Orchester

  - Mazurek koncertowy (Mazurka de Concert) in D-Dur

 

Op. 42: Fantasie für 2 Klaviere (oder für Klavier und Orchester)

 

Op. 43: Guillaume le Taciturne, Ouverture dramatique für Orchester

 

Op. 44: 24 Études de mécanisme et de style für Klavier (4 Bände)

 

Op. 45: Rêverie (E-Dur) [Nr. 1]

 

Op. 46: Valse-caprice (A-Dur)

 

Op. 47: 6 Gesänge (für 2 Stimmen und Klavier)

- Heft 1:

  1. "Wach auf, o Herz"

  2. Omar der Khalif: "Einst hab' ich die Kameele meines Vaters geweidet"

  3. Die Spinnerin: "Rolle, liebe Spindel"

- Heft 2:

  4. "Viel Vögel sind geflogen"

  5. Mailied: "Wie herrlich leuchtet mir die Natur"

  6. Wandrers Nachtlied: "Über allen Gipfeln ist Ruh'"

 

Op. 48: Polonaise Nr. 4 (G-Dur; veröffentlicht 1892)

 

Op. 49: Symphonie (D-Dur) für Orchester (veröffentlicht 1890)

 

Op. 50: 6 Lieder

 

Op. 51: 4 Klavierstücke (4 Morceaux/Pièces)

  1. Impromptu (A-Dur)

  2. Etüde (C-Dur)

  3. Tristesse (a-Moll)

  4. Valse (F-Dur)

 

Werke ohne Opus-Zahl

 

- Overture für Orchester (D-Dur; ca. 1856)

- Adagio e rondo giocoso (1857)

- Fantaisie brillante (1858)

- Romance sans paroles (Pieśń bez słów; Es-Moll; Ruch Muzyczny, 1858)

- Menuet, gespielt bei der Aufführung des Tableaux vivants "Szlachectwo" (D-Dur; Ruch Muzyczny, 1859)

- Duo na motywach fińskich (Duo über finnische Themen) für Violine & Klavier (1851)

- Polonaise triomphale (veröffentlicht 1862 von Gérard für Klavier; eventuell Version der 2. Polonaise?)

 

 Kollaborationen

 

- Duo concertant über das Thema der russischen Hymne (von A. Lwow), mit Henryk Wieniawski (1851)

 

Transkriptionen

 

Nach Henryk Wieniawski (1835 - 1880):

- Souvenir de Posen, Op. 3

- Kujawiak in a-Moll

- 2 Mazurkas, Op. 12:

  - Nr. 1: Sielanka

  - Nr. 2: Pieśń polska

 

Nach Fryderyk Chopin:

- Etüde a-Moll, Op. 25 Nr. 11

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Deux Idylles, op. 1

Mit den Deux Idylles, seinem Opus 1, stellte Józef Wieniawski, der jüngere Bruder des berühmten Geigers Henryk Wieniawski (1835–1880), erstmals sein Talent als poetisch veranlagter Pianist und feinsinniger Komponist vor. Die beiden Stücke – Épanchement in Es-Dur und La Barque in A-Dur – entstanden in den späten 1850er Jahren während seiner Studienzeit am Pariser Konservatorium, wo er bei Antoine François Marmontel (1816–1898) Klavierunterricht erhielt und früh durch seine elegante Anschlagskultur auffiel.

https://www.youtube.com/watch?v=TjUhHSnwmB8 

 

Épanchement (wörtlich „Gefühlsausschüttung“) ist ein empfindsames Charakterstück, das in seiner kantablen Melodik und der harmonischen Schmiegsamkeit deutlich an die Lyrismen Chopins erinnert, zugleich aber bereits Wieniawskis eigene, etwas kühlere Klangsprache erkennen lässt. Das Werk entfaltet sich in weichen, fließenden Perioden, mit subtiler Chromatik und zartem Pedaleinsatz, wodurch sich eine Atmosphäre verhaltener Innigkeit ergibt – ein musikalisches Bekenntnis des jungen Komponisten zu romantischer Empfindsamkeit ohne Übertreibung.

La Barque („Das Boot“) in A-Dur steht in starkem Kontrast dazu: ein pastorales, leicht bewegtes Stück mit schaukelnden Begleitfiguren, die den Wellenschlag des Wassers evozieren. Die Melodie, zunächst schlicht, entfaltet sich in immer weiteren Bögen, bis sie in einer kurzen, strahlenden Klimax kulminiert. Wieniawski zeigt hier eine erstaunliche Reife im Umgang mit Klangfarben und motivischer Verdichtung. In seiner Mischung aus französischer Eleganz und slawischer Melancholie erinnert das Stück an Fétis’ und Chopins „Barcarollen“, bleibt jedoch kammermusikalisch-intim und von zarter Poesie geprägt.

Beide Idylles lassen bereits Wieniawskis feines Gespür für Stimmungsnuancen erkennen und begründen seinen Ruf als Komponist von lyrisch-virtuosen Charakterstücken, die zwischen romantischer Salonkunst und poetischer Miniaturkunst stehen.

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Opus 1

Allegro de Sonate g-Moll, op. 2 für Violine und Klavier

Das Allegro de Sonate in g-Moll, op. 2, entstand um 1848 und gehört zu den frühesten erhaltenen Werken Józef Wieniawskis. Es ist zugleich ein gemeinsames Jugendwerk der beiden Brüder — Józef, damals kaum elf Jahre alt, und Henryk Wieniawski (1835–1880), der bereits als Wunderkind auftrat und kurz darauf am Pariser Konservatorium studierte.

https://www.youtube.com/watch?v=9f4vAOMxlWg 

 

Die Komposition steht formal einem klassischen Sonaten-Allegro nahe, verbindet aber jugendliche Frische mit dem melodischen Schwung der polnischen Romantik. Der dramatische Gestus des Hauptthemas, das von der Violine energisch vorgetragen wird, kontrastiert mit einem lyrischen Seitengedanken, den das Klavier in warmem Klang begleitet. Der Dialog zwischen beiden Instrumenten ist lebendig und oft konzertant, was auf Henryks spätere Virtuosenwerke für Violine vorausweist, während Józefs Einfluss in der harmonischen Weichheit und pianistischen Faktur spürbar bleibt.

Trotz seines frühen Entstehungsdatums zeigt das Werk bereits erstaunliche Reife im formalen Aufbau und im Gespür für Balance zwischen Virtuosität und Ausdruck. Es verrät eine deutliche Bewunderung für Mendelssohn und den jungen Chopin, zugleich aber auch jene slawische Energie, die den Brüdern Wieniawski später eine besondere Stellung innerhalb der romantischen Instrumentalmusik sichern sollte.

Das Allegro de Sonate ist kein voll ausgeführter Sonatenzyklus, sondern ein einzelner Satz, der als selbständiges Konzertstück konzipiert wurde – ein klingendes Zeugnis der frühen Zusammenarbeit zweier außergewöhnlich begabter Brüder, deren Wege sich bald trennten: Henryk wurde zum gefeierten Geigenvirtuosen, Józef zum gefeierten Pianisten und Komponisten von eleganten, technisch anspruchsvollen Klavierwerken.

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Opus 2

Valse de concert Nr. 1 Des-Dur, op. 3

Mit seiner Valse de concert Nr. 1 in Des-Dur, op. 3, knüpft Józef Wieniawski an die glanzvolle Tradition der brillanten Konzertwalzer an, wie sie von Chopin, Schulhoff oder später von Moszkowski gepflegt wurde. Das Werk entstand um 1860, in einer Zeit, als Wieniawski sich in Paris als Pianist und Komponist etablierte und bereits den Einfluss seiner Lehrer Antoine François Marmontel (1816–1898) und Charles-Valentin Alkan (1813–1888) erkennen ließ.

https://www.youtube.com/watch?v=LacKUs-45Ks 

 

Der Walzer trägt deutliche Spuren französischer Eleganz: in der Leichtigkeit der rhythmischen Bewegung, in der funkelnden Oberstimme und im fein abgestuften Rubato, das die tänzerische Grundhaltung nie verliert. Die Tonart Des-Dur, auch von Chopin bevorzugt, verleiht dem Stück eine samtige, luxuriöse Klangfarbe. Formal folgt die Komposition einer erweiterten Rondo-Struktur, in der mehrere kontrastierende Episoden – mal graziös, mal virtuos – ineinander übergehen.

Besonders hervorzuheben ist die klangliche Balance zwischen Brillanz und poetischem Ausdruck. Wieniawski meidet die bloße Virtuosität und setzt stattdessen auf geschmeidige Läufe, schimmernde Arpeggien und ein nuancenreiches Pedalspiel, das an den Salons von Paris orientiert ist, ohne oberflächlich zu wirken. In der Mitte des Stücks öffnet sich ein lyrischer Abschnitt von großem melodischen Reiz, bevor das Hauptthema in gesteigerter Pracht zurückkehrt und das Werk in einer glanzvollen Coda endet.

Die Valse de concert Nr. 1 steht am Beginn jener Reihe von Salonstücken, mit denen Józef Wieniawski bald auch außerhalb Polens Beachtung fand. Sie zeigt ihn als einen Musiker, der die klassische Klaviertradition Chopins mit französischem Esprit und eigener, fast orchestraler Klangvorstellung verbindet – ein charakteristisches Merkmal seiner reiferen Schaffensperiode.

In der Originalausgabe (Richault, Paris) widmet Józef Wieniawski das Werk Frédéric Kalkbrenner (1784–1849), dem bedeutenden Pianisten und Pädagogen, der in Paris eine legendäre Klavierschule gegründet hatte. Diese Widmung gilt als Zeichen des Respekts gegenüber der französischen Pianistentradition.

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Opus 3

Tarantelle Nr. 1 e-Moll, op. 4

Mit der Tarantelle Nr. 1 in e-Moll, op. 4, wendet sich Józef Wieniawski einer Gattung zu, die im 19. Jahrhundert gern als virtuoses Schaustück diente. Das Werk entstand in den frühen 1860er-Jahren und wurde bald zu einem beliebten Paradestück des jungen Komponisten, der es häufig in seinen Pariser und Brüsseler Konzerten selbst spielte.

https://www.youtube.com/watch?v=ZPd-gIHAArY 

 

Die Tarantella, ursprünglich ein süditalienischer Volkstanz, ist hier nicht bloß ein temperamentvolles Finale, sondern eine pianistische Tour de force. Wieniawski verbindet den charakteristischen Sechsachteltakt mit raffinierter Harmonik und rhythmischer Schärfe. Schon die Einleitung schlägt mit ihrem nervösen Tremolo und den stürmischen Akkordfolgen eine fiebrige Stimmung an, die an Liszts brillante Etüden erinnert. Doch in der Mitte des Stückes öffnet sich der Klang zu einem lyrischen Seitenthema, das durch seine melodische Rundung und harmonische Wärme eine deutliche Chopin-Nähe verrät.

Das Virtuose und das Poetische stehen in dieser Komposition in feinem Gleichgewicht. Wieniawski verlangt dem Pianisten höchste Präzision ab – schnelle Repetitionen, Sprünge über weite Intervalle und schillernde Läufe –, doch nie verliert das Werk seine tänzerische Spannung. Die Tarantella endet in einer brillanten Coda von fast orchestraler Wucht, in der die Energie des Anfangs noch einmal aufglüht.

Das Stück markiert einen frühen Höhepunkt in Wieniawskis Klavierschaffen: Es vereint südliches Temperament mit nordeuropäischer Formstrenge und zeigt, wie selbstverständlich der Komponist die romantische Virtuosität seiner Zeit mit eigener Handschrift erfüllte. In dieser Mischung aus Leidenschaft und Eleganz kündigt sich bereits der reife Stil eines Pianisten an, der bald europaweit als Vertreter der polnischen Schule anerkannt werden sollte.

Die Tarantella Nr. 1 (e-Moll) – trägt nachweislich die Widmung „à Monsieur Stephen Heller“ (1813 –1888), dem ungarischen Pianisten und Komponisten, der in Paris lebte und für seine feinsinnigen Charakterstücke bekannt war. Damit bekennt sich Wieniawski offen zu einem Kreis, der zwischen Chopin und Liszt vermittelte und die lyrische Seite der Virtuosität pflegte.

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Opus 4

Grand Duo Polonais e-Moll, op. 5 für Violine und Klavier – gemeinsam mit Henryk Wieniawski (1835–1880)

 

Das Grand Duo Polonais in e-Moll, op. 5, ist eines der frühesten und zugleich repräsentativsten Gemeinschaftswerke der Brüder Józef und Henryk Wieniawski. Es entstand 1852 in Paris, wo beide am Konservatorium studierten, und wurde Lambert Massart (1811–1892) gewidmet, einem der bedeutendsten französischen Violinpädagogen des 19. Jahrhunderts und zentralen Vertreter der Pariser Musikszene, der zugleich Henryks Lehrer war. Das Werk, das in späteren Ausgaben auch als Henryks op. 8 erschien, vereint in beispielhafter Weise die pianistische Kraft des einen mit der melodischen Virtuosität des anderen.

 

https://www.youtube.com/watch?v=_yAlLcghZlM 

Die Komposition entfaltet sich in einer Folge kontrastierender, doch organisch miteinander verbundener Abschnitte. Nach dem energischen Allegro moderato (Beginn, 0:00), in dem sich beide Instrumente in virtuoser Eintracht begegnen, folgt ein lyrischer Andante-Abschnitt (Kozak par St. Moniuszko, ab 2:44), dessen Gesanglichkeit unverkennbar von Stanisław Moniuszkos volkstümlichem Idiom inspiriert ist. Der darauf folgende Satz (Macick par St. Moniuszko, ab 5:09) im Allegretto con fuoco zeigt den typisch polnischen Tanzcharakter mit markantem Rhythmus und rhythmischer Pointierung.

 

Daran schließen sich zwei Variationen an: die erste (Très rythmé, ab 6:08) betont den tänzerischen Schwung, während die zweite (Moderato, ab 6:49) das thematische Material in gesangliche Linien überführt. Ein weit ausgreifendes Andante (ab 7:59) bringt eine Phase lyrischer Ruhe, bevor in der abschließenden Polonaise de Werstowski (ab 11:51) die patriotische Energie des Werkes in einer glanzvollen Coda kulminiert.

 

Das Grand Duo Polonais ist weniger als Sonate im klassischen Sinn zu verstehen, sondern vielmehr als virtuoses Konzertstück mit symphonischer Spannweite. Die Violine führt mit brillanten Läufen und Doppelgriffen, während das Klavier die harmonische Architektur trägt und mit orchestraler Dichte antwortet. Hier begegnen sich zwei Brüder auf Augenhöhe – der eine Meister des Bogens, der andere des Anschlags. Gemeinsam erschaffen sie eine klingende Apotheose polnischer Romantik: heroisch, melodiös, voll innerer Glut und technischer Brillanz.

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Opus 5

Fantaisie et Variations de Concert sur des Motifs de La sonnambula de Bellini, op. 6 (Des-Dur)

Mit seiner Fantaisie et Variations de Concert sur des Motifs de “La sonnambula” de Bellini, op. 6, reiht sich Józef Wieniawski in die große romantische Tradition der Opernparaphrasen und Konzertfantasien ein, die von Liszt, Thalberg und Henselt geprägt wurde. Das Werk entstand um 1853–1854, in der Zeit seiner frühen Pariser Reife, und ist dem Komponisten Vincenzo Bellini (1801–1835) in dankbarer Verehrung gewidmet – eine Geste, die in Paris als Hommage an den damals hochverehrten Opernlyriker verstanden wurde.

https://www.youtube.com/watch?v=El1Ir74mfBI 

 

Wieniawski greift mehrere Themen aus Bellinis Oper La sonnambula auf und verwandelt sie in eine freie, brillant konzipierte Konzertfantasie. Das Werk eröffnet mit einer pathetischen Einleitung, deren weitgespannte Arpeggien und harmonische Dichte sofort an die Klangsprache Liszts erinnern. Danach entfalten sich die Hauptmotive der Oper – insbesondere Amina’s berühmte Kavatine Ah! non credea mirarti – in einem lyrischen, von Belcanto inspirierten Tonfall.

Die anschließenden Variationen steigern den Ausdrucksgehalt und die technische Herausforderung gleichermaßen: von zart ornamentierten Figurationen bis hin zu rasanten Oktavpassagen und kaskadenartigen Läufen über die gesamte Klaviatur. Wieniawski beweist hier nicht nur pianistische Virtuosität, sondern auch ein bemerkenswertes Gespür für Formbalance und dramatischen Aufbau. Der Höhepunkt des Stücks ist eine glanzvolle Schlussvariation im Stil einer Polonaise, in der Bellinis melodischer Geist mit polnischer rhythmischer Energie verschmilzt.

Die Fantaisie sur “La sonnambula” ist mehr als eine bloße Operntranskription: Sie ist ein klangvolles Bekenntnis zur Verbindung von Gesanglichkeit und Instrumentalbrillanz. In ihr zeigt sich Wieniawski als Komponist, der den poetischen Geist des italienischen Belcanto auf das Klavier überträgt – mit jener Noblesse und Leuchtkraft, die seine Pariser Zeit prägte.

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Opus 6

Valse de salon F-Dur, op. 7

gewidmet „à Son Altesse la Princesse de Hohenzollern-Hechingen“

 

Die Valse de salon in F-Dur, op. 7, entstand um 1855 und gehört zu jenen eleganten, klanglich feingliedrigen Salonstücken, mit denen sich der junge Józef Wieniawski in der Pariser Gesellschaft einen Namen machte. Veröffentlicht wurde das Werk beim Leipziger Verlag Kistner, zu einer Zeit, als Wieniawski durch seine Auftritte in Frankreich, Belgien und Deutschland bereits Aufmerksamkeit erregte.

 

Die Komposition ist der Prinzessin Amalie Zephyrine von Hohenzollern-Hechingen (1760–1841) gewidmet, einer außergewöhnlichen Frau, die als Mäzenin und Förderin der Künste in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hohes Ansehen genoss. Geboren als Tochter des Fürsten Louis Joseph de Rohan-Guémené und verheiratet mit dem Fürsten Friedrich Hermann Otto von Hohenzollern-Hechingen (1776–1838), lebte sie viele Jahre in Paris, wo sie einen angesehenen Salon führte, in dem sich Musiker, Literaten und Diplomaten begegneten. Auch nach ihrem Tod blieb der Name Hohenzollern-Hechingen mit dem Pariser Musikleben verbunden, weshalb Wieniawskis Widmung wohl als posthume Huldigung an die kunstsinnige Familie verstanden werden darf.

 

Die Valse de salon selbst ist ein Musterbeispiel jener kultivierten Klavierpoesie, die das Pariser Musikleben der 1850er Jahre prägte. Schon die eröffnende Passage zeichnet sich durch zarten Glanz und vornehme Grazie aus; Wieniawski verbindet klassische Walzerbewegung mit lyrischem Ausdruck und flüssiger Virtuosität. Die Mittelsektion entfaltet eine melodische Eleganz, die an Chopins Gesellschaftswalzer erinnert, bevor das Hauptthema in veredelter Form zurückkehrt und das Werk in einer glanzvollen Coda vollendet wird.

 

https://www.youtube.com/watch?v=auYfVfo1qJY 

Wieniawski versteht es, die tänzerische Leichtigkeit des Walzers mit feiner harmonischer Kultur zu verbinden. Der elegante Schwung, die weich geformte Melodik und die farbige Pedalführung verraten die Schule Marmontels ebenso wie den Einfluss der französischen Klaviertradition. In ihrer Mischung aus Anmut und Virtuosität spiegelt diese Valse de salon die Atmosphäre des Pariser Salons wider – ein Ort, an dem sich der Komponist, selbst von aristokratischer Bildung umgeben, wie zu Hause fühlte.

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Opus 7

Pensée fugitive in Des-Dur, op. 8

gewidmet Madame la Comtesse de Mercy-Argenteau

 

Mit der Pensée fugitive (etwa „flüchtiger Gedanke“) in Des-Dur, op. 8, betritt Józef Wieniawski den Bereich der poetischen Miniatur, der bei Chopin, Field und Henselt seine Wurzeln hat. Das Werk entstand um 1856 und wurde in Paris veröffentlicht. Es ist Madame la Comtesse de Mercy-Argenteau (1837–1890) gewidmet, einer belgischen Aristokratin und Pianistin, die als Mäzenin Franz Liszts und zahlreicher junger Komponisten hervortrat. Marie-Clotilde-Elisabeth de Riquet, Comtesse de Mercy-Argenteau, war die Tochter des Fürsten Eugène de Chimay und führte in Brüssel einen angesehenen musikalischen Salon, in dem auch Wieniawski zeitweise verkehrte.

 

Die Widmung an diese einflussreiche Persönlichkeit ist kein Zufall: Die Pensée fugitive verkörpert genau jene feine Mischung aus Gefühl und Geist, die das ästhetische Ideal der aristokratischen Pariser und Brüsseler Salonkultur bildete. Die Tonart Des-Dur, warm und samtig, dient Wieniawski als klangliches Medium für einen intimen, fast improvisatorischen Ausdruck.

 

https://www.youtube.com/watch?v=dgZgam_IxBs 

Das Stück beginnt mit einer schwebenden, von Arpeggien umspielten Melodie, die sich in weichen Wellen über das gesamte Klangspektrum des Klaviers legt. Harmonische Übergänge sind subtil, fast flüchtig – wie Erinnerungen, die kurz aufleuchten und wieder verwehen. Im Mittelteil verdichtet sich die Textur zu einer leisen, polyphonen Bewegung, die an eine verkappte Fuge erinnert und den Titel gleichsam wörtlich aufgreift. Danach kehrt das Hauptthema in verklärter Form zurück und löst sich in einer zarten, fast ätherischen Coda auf.

 

Die Pensée fugitive gehört zu jenen Werken, in denen Józef Wieniawski sein Talent für klangliche Transparenz, feine Rubato-Gestaltung und melodische Schlichtheit entfaltet. Es ist keine Virtuosenminiatur, sondern ein Stück kontemplativer Klavierlyrik, in dem sich die polnische Melancholie mit französischer Eleganz verbindet – ein musikalisches Porträt jener stillen, inneren Welt, die Wieniawski in seinen reiferen Jahren so oft anstrebte.

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Opus 8

Barcarolle-Caprice h-Moll, op. 9

(Erstes Stück der „Deux Morceaux de concert“)

 

Die Barcarolle-Caprice in h-Moll, op. 9, gehört zu jener Reihe von Konzertstücken, mit denen Józef Wieniawski in den 1850er Jahren seine pianistische Meisterschaft unter Beweis stellte. Das Werk bildet den ersten Teil der Deux Morceaux de concert, die vermutlich 1857–1858 entstanden und bald nach ihrer Uraufführung in Paris veröffentlicht wurden. Eine Widmung ist in der erhaltenen Erstausgabe nicht angegeben.

 

Schon der Titel deutet die doppelte Natur des Stücks an: Barcarolle – Ausdruck lyrischer Ruhe und fließender Bewegung – und Caprice – Hinweis auf freie Form, Virtuosität und Einfallsreichtum. Wieniawski verbindet hier zwei gegensätzliche Charaktere zu einer kompakten musikalischen Einheit. Der schwebende Sechsachteltakt der Einleitung evoziert das Bild eines Gondellieds, doch die dunkle Tonart h-Moll gibt dem Beginn eine gewisse Melancholie. Die Hauptmelodie, weit ausgesponnen und von harmonischer Wärme getragen, zeigt Wieniawskis feines Gespür für gesangliche Linien.

 

Nach dieser ruhigen Eröffnung verdichtet sich der musikalische Verlauf zu einem rhythmisch bewegten Mittelteil, in dem das „Caprice“-Element hervortritt: virtuose Läufe, Trillerketten und Sprungfiguren wechseln mit plötzlichen dynamischen Akzenten. Wieniawski beherrscht die Kunst, Brillanz und Eleganz in einem ausgewogenen Verhältnis zu halten – ohne Übertreibung, doch mit klarer pianistischem Anspruch. In der Reprise wird die Hauptmelodie mit gesteigerter Intensität wieder aufgenommen, bevor eine leise, weit ausklingende Coda das Werk beschließt.

 

Die Barcarolle-Caprice steht ästhetisch zwischen Chopins poetischer Intimität und Liszts konzertanter Klangfülle. Sie verlangt vom Interpreten sowohl technische Sicherheit als auch die Fähigkeit, den feinen Wechsel von träumerischer Ruhe und leidenschaftlicher Bewegung nachzuzeichnen.

 

Eine moderne Einspielung des Stücks scheint bislang nicht im regulären Katalog greifbar zu sein – ein Hinweis darauf, wie wenig das pianistische Erbe Józef Wieniawskis bisher erschlossen wurde. Gerade deshalb verdient die Barcarolle-Caprice Beachtung: als Beispiel dafür, wie sich ein polnischer Komponist im französischen Umfeld des 19. Jahrhunderts eine eigenständige, elegante Tonsprache erarbeitete, die zwischen Salon und Konzertsaal vermittelt.

 

Von der Barcarolle-Caprice h-Moll, op. 9, ist bislang keine Einspielung bekannt.

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Opus 9

Romance-Étude a-Moll, op. 10

(Zweites Stück der „Deux Morceaux de concert“)

 

Die Romance-Étude in a-Moll, op. 10, bildet den zweiten Teil der Deux Morceaux de concert und steht in direkter Beziehung zur Barcarolle-Caprice op. 9. Beide Stücke entstanden in den späten 1850er Jahren, vermutlich während Wieniawskis Pariser Zeit, und zeigen den Komponisten auf dem Weg von der virtuosen Brillanz des Jugendstils hin zu einem reiferen, innerlich verdichteten Ausdruck.

 

Der Titel selbst deutet auf den Dualismus zwischen Gefühl und Technik hin – eine Etüde, die zugleich poetisch gedacht ist. Die Melodie entfaltet sich in weit gespannten Phrasen, getragen von einer unaufdringlich fließenden Begleitung, deren gleichmäßige Bewegung zugleich als technische Übung wie als klangliche Grundlage dient.

 

Harmonisch bewegt sich Wieniawski hier in jener leicht melancholischen a-Moll-Färbung, die an Chopins lyrische Stücke erinnert. Im Mittelteil moduliert er in hellere Tonbereiche und steigert die Textur zu einer innig aufleuchtenden Höhe, bevor die Musik in den Ausgangston zurücksinkt und in einer leisen, fast resignativen Coda ausklingt.

 

Die Romance-Étude zeigt Wieniawskis Fähigkeit, technische Forderung in musikalischen Ausdruck zu verwandeln. Sie ist keine Schaustellung von Virtuosität, sondern ein Beispiel für jene „Kunst der klanglichen Verfeinerung“, die seine Pariser Ausbildung prägte. Der Komponist sucht hier die Verschmelzung von Etüde und Gesangsstück – eine Linie, die von Chopin über Henselt bis Saint-Saëns führt und bei Wieniawski eine eigenständige, durch Melancholie getönte Farbe erhält.

 

Bis heute ist keine gesicherte Aufnahme der Romance-Étude a-Moll, op. 10, bekannt. Das Werk scheint bislang unaufgenommen geblieben zu sein – ein Umstand, der sein feines, introspektives Wesen noch geheimnisvoller erscheinen lässt.

 

2 Morceaux de concert, opp. 9 und 10“ siind gewidmet „à son altesse royale Monseigneur le Duc Bernard de Saxe-Meiningen". Bernhard II. Erich Freund von Sachsen-Meiningen (1800–1882) war Herzog von Sachsen-Meiningen 1821–1866, Förderer der Künste, Sammler, Bildungsreformer und Mäzen. 

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Opus 10

Polka brillante D-Dur, op. 11

gewidmet dem Komponisten Leopold de Meyer (1816–1883)

 

Die Polka brillante in D-Dur, op. 11, entstand um 1858 und gehört zu Józef Wieniawskis frühen, noch ganz im Geist der brillanten Klavierschule des 19. Jahrhunderts stehenden Werken. Das Stück ist Leopold de Meyer gewidmet, einem österreichischen Pianisten und Komponisten, der in Wien, Paris und London als Virtuose der Tanzmusik Berühmtheit erlangte und für seinen glänzenden, orchestral gedachten Klavierstil gefeiert wurde.

 

Wieniawskis Komposition steht ganz in dieser Tradition. Die Polka verbindet schwungvolle Tanzrhythmen mit der formalen Eleganz eines Konzertstücks. Nach einer kurzen, fanfarenartigen Einleitung entfaltet sich das Hauptthema mit tänzerischer Leichtigkeit und einem feinen Spiel zwischen rechter und linker Hand. Rasche Läufe, Sprungfiguren und brillante Akkordketten verleihen der Musik funkelnde Energie, ohne den Charakter der Polka zu verlieren. Ein lyrischer Mittelteil sorgt für melodische Abwechslung, bevor das Hauptthema in gesteigerter Virtuosität wiederkehrt und das Werk in einer effektvollen Coda gipfelt.

 

Die Polka brillante ist ein typisches Beispiel für die Verbindung von Salonstil und pianistischem Glanz, die Wieniawski aus der Pariser Schule übernommen hatte. Sie zeigt ihn als Komponisten, der selbst in scheinbar leichtgewichtiger Tanzform Raffinement und technische Meisterschaft vereint.

 

Bis heute ist keine Einspielung dieses Werkes bekannt – es bleibt ein ungehobenes Beispiel jener eleganten Virtuosenkunst, die im 19. Jahrhundert zwischen Chopin, De Meyer und Gottschalk so geschätzt war.

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Opus 11

Souvenir de Lublin („Erinnerungen aus Lublin“)

Romance variée Ges-Dur, op. 12, gewidmet "à Monsieur Stanislas Moniuszko"

 

Mit der Romance variée Ges-Dur, op. 12, die den poetischen Titel Souvenir de Lublin trägt, kehrt Józef Wieniawski in seine polnische Heimat zurück – zumindest im Geist. Das Werk entstand um 1859 und ist Stanisław Moniuszko (1819–1872), dem Begründer der modernen polnischen Oper, gewidmet. Moniuszko war für viele junge Komponisten ein Symbol nationaler Musikkultur; Wieniawski ehrte ihn mit einer Widmung, die sowohl persönliche Bewunderung als auch künstlerische Verbundenheit ausdrückt.

 

https://www.youtube.com/watch?v=PUGmHDBvNwo

 

Formal handelt es sich um eine Folge kunstvoller Variationen über ein eigenes, weitgespanntes Thema von lyrischer Ruhe. Die einleitende Romance zeichnet sich durch ihre schlichte, fast volksliedhafte Melodie und den warmen, gesättigten Klang der Tonart Ges-Dur aus. Wieniawski entfaltet diese Grundstimmung in einer Reihe von Verwandlungen, die jeweils einen anderen Charakter annehmen: von eleganter Ornamentik über weiträumige Arpeggien bis zu kraftvollen Akkordpassagen.

 

Im Mittelteil lässt sich ein zarter Hauch melancholischer Erinnerung spüren – vielleicht ein musikalischer Rückblick auf Lublin, die Stadt, in der Józef Wieniawski seine Jugend verbracht hatte. Das Werk schließt mit einer ruhig verklingenden Coda, die die anfängliche Stimmung in verklärtem Licht zurückbringt.

 

Die Romance variée gehört zu den persönlichsten Werken Wieniawskis. Sie verbindet französische Eleganz mit polnischer Empfindung und zeigt einen Komponisten, der seine nationale Herkunft in die universelle Sprache der romantischen Klavierpoesie überführt.

 

Bis heute ist keine Einspielung des Souvenir de Lublin bekannt – das Werk bleibt ein stiller Schatz der polnischen Romantik, der auf seine Wiederentdeckung wartet.

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Opus 12

Polonaise Nr. 1 in C-Dur, op. 13

gewidmet à Monsieur Franz Liszt

 

Die Polonaise Nr. 1 in C-Dur, op. 13, erschien 1856 und gehört zu den repräsentativsten Werken von Józef Wieniawskis früher Virtuosenzeit. Das Stück ist Franz Liszt (1811–1886) gewidmet, den Wieniawski persönlich kannte und bewunderte; die Widmung ist Ausdruck einer künstlerischen Verbeugung vor dem überragenden Meister des romantischen Klaviers.

 

Wieniawski, der sich wie sein Bruder Henryk zunächst als Wunderkind etablierte, schlug bald eine eigene Laufbahn als reisender Pianist ein. Seine Kompositionen dienten dabei in erster Linie dem Konzertgebrauch – sie sollten glänzen, beeindrucken, „zeigen, was man kann“. Anna G. Piotrowska (* 1974) beschreibt ihn treffend als Vertreter jener Generation von Pianisten-Komponisten, die „für ihre eigenen Bedürfnisse schrieben – für den Saal, für den Augenblick“ und deren Werke dennoch einen erkennbar einheitlichen, persönlichen Stil besitzen.

https://www.youtube.com/watch?v=s2FUZXWx-Mc 

 

Die Polonaise steht formal der französisch-polnischen Schule nahe, deren Vorbilder Chopin, Liszt und Heller bildeten. Sie verbindet heroische Geste mit tänzerischer Eleganz: Nach einer kraftvollen Einleitung entfaltet sich das Hauptthema mit markantem rhythmischem Schwung und breiter Akkordführung, bevor lyrischere Episoden einen Moment der Ruhe schaffen. Wieniawski nutzt die kontrastreiche Anlage, um pianistische Brillanz zu entfalten – Läufe, Oktaven, Arpeggien und Triller erscheinen nicht als Selbstzweck, sondern als Ausdruck einer stolzen, festlichen Haltung.

 

Charakteristisch ist die Synthese aus nationalem Kolorit und virtuoser Form, die auch das Publikum seiner Zeit begeisterte: ein polnischer Tanz in der Sprache des internationalen Konzertsaals. Das Werk schließt mit einer machtvollen Coda, die die Polonaise als Symbol des Patriotismus und der künstlerischen Selbstbehauptung feiert.

 

Die Polonaise Nr. 1 wurde 2017 durch Elżbieta Tyszecka (* 1961) auf der CD Józef Wieniawski – Piano Works Vol. 3 (Acte Préalable AP0405) eingespielt. Die moderne Aufnahme des Werkes vermittelt einen Eindruck von jener glanzvollen Virtuosität, mit der Wieniawski einst die europäischen Konzertsäle eroberte.

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Opus 13
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